Fifty-Four. Return

17.2K 689 66
                                    


♦ Emily ♦

„Peewee! Aus!", schreie ich und hetze mit in die Hüften gestemmten Armen zu ihm hin. Sofort als ich mich ihm nähere, spuckt er die Pflanze aus seinem Mund und sieht mich aus seinen treuen Augen von unten herab an. Er ist in den letzten paar Wochen unwahrscheinlich gewachsen. Nicht nur von seiner Größe, auch auf der Frechheits-Skala. Der kleine Riese hat es Faustdick hinter den Ohren und liebt es mittlerweile die Wachen auf dem Gelände an der Nase herumzuführen. Mich beschützt er vor jedem außer Ben. Egal wer sich in meiner Nähe befindet, wird erst einmal angeknurrt. Genauso wie er neuerdings alles anknabbert was seinen Weg kreuzt. Da ich mich mit den hiesigen Pflanzen nicht auskenne und noch immer keinen Zugang zum Internet habe, bin ich lieber übervorsichtig. „Du weißt doch, dass du nicht einfach alles fressen darfst", schimpfe ich. Begleitet von einem leisen Bellen legt er den Kopf schief und ich kann nicht anders als weich zu werden und ihm grinsend über den Kopf zu kraulen. Für ihn scheint die Schimpftirade damit beendet und er setzt zufrieden schnüffelnd seinen Gang durch den Garten hinweg fort.

Kopfschüttelnd bleibe ich in einem kleinen Abstand an ihm dran um ihn weiterhin im Auge behalten zu können. Es macht mich unheimlich glücklich wie gut es ihm mittlerweile geht. Die Entzündung an seinem Vorderlauf ist abgeheilt und Ben hat sogar eigens einen Tierarzt herbeordert, der ihn untersucht und geimpft hat. Allgemein ist seit dem Vorfall mit Peewee eine fast schon erschreckend normale Routine eingekehrt.

Meine täglichen Trainingseinheiten mit Carlos tragen so langsam Früchte und bieten mir einen guten Ausgleich zu meinem sonst eher tristen Alltag, der in der Zwischenzeit sogar die Arbeit im Büro beinhaltet. Ben hat mich gleich am Tag nach dem – wie ich es betitle – Wiederholungsfehler, eingearbeitet und mir gezeigt wie ich seine Bücher zu führen habe. Die zu meiner Überraschung sogar völlig legal sind. Seine Absichten sind sogar logisch, jetzt, da ich weiß, dass er einen Teil seines Geldes mit dem Ertrag von stinknormalen Farmen einnimmt, womit ich mich natürlich bestens auskenne. Einsicht in seine anderen Geschäfte gewährt er mir nicht, aber das ist mir sogar Recht so. Vor allem tut es mir gut meinen Kopf benutzen zu können und nicht nur in meinen Büchern zu versinken.

Ich gehe täglich mehrere Stunden durch das weitläufige Gelände Gassi, nachdem meine „Befugnisse" erweitert wurden und ich bekomme auch jeden Abend ein Bild von Zuhause zu sehen. Dadurch fühlt es sich beinahe an, als würde ich an dem Leben meiner Familie teilhaben. Das hilft mir ungemein mich hier einzugewöhnen – wenn dies vielleicht auch ein sehr großes Wort für meine Situation sein mag. Mit meiner Situation arrangiert, trifft es vermutlich besser. Auch wenn es mir oft schwerfällt, vor allem in Bens Gegenwart, der so tut als hätte es besagten Wiederholungsfehler niemals gegeben. Noch verwirrender ist, dass er mich im Allgemeinen nicht mehr wie seine Gefangene behandelt, sondern eher wie eine uralte Freundin, die ihn mal wieder besucht. Ich werde aus diesem Mann einfach nicht schlau und bezweifle, dass ich es je werde. Seine Stimmungsschwankungen sind unvorhersehbar und so abrupt, dass einem schwindelig davon werden kann.

„Emily?" Eine bekannte Stimme von der Terrasse lässt mich herumschrecken. Diego kommt die Treppen in den Garten hinunter, die Hände in den Hosentaschen vergraben und ein so ehrliches Lächeln auf den Lippen, dass ich nicht anders kann, als es zu erwidern. Peewee ist sofort zur Stelle, vergisst sein Schnuffeln und platziert sich mit gestelltem Kamm und gefletschten Zähnen vor mir. „Ist schon gut", rede ich ihm gut zu und klopfe ihm auf den Rücken, woraufhin er sich etwas beruhigt. Dennoch weicht er nicht von meiner Seite, als Diego zu uns kommt und grinsend den Hund vor mir mustert. Kurz lasse ich meinen Blick über ihn schweifen um ihn auf mögliche Verletzungen zu checken, werde aber glücklicherweise nicht fündig.

„Ich hab schon von deinem neuen Bodyguard gehört", sagt er lachend, streckt die Hand nach Peewee aus und zieht sie sofort wieder zurück, als dieser bedrohlich anfängt zu knurren. „Und ich dachte nicht, dass ich dich wiedersehen würde. Wo hast du gesteckt?" Sein Lächeln verschwindet und weicht einem spitzbübischen Grinsen. „Ben hatte in der Stadt einige Aufgaben für mich", antwortet er mit zuckenden Achseln. Ich ziehe nur die Augenbrauen nach oben und schüttle mit dem Kopf. In meinen Augen ist es unverantwortlich einen verletzten jungen Mann einige Tage nach einer Schusswunde schon wieder arbeiten zu lassen. „Auf jeden Fall siehst du besser aus, als das letzte Mal als wir uns gesehen haben." Ich nicke leicht und stupse Peewee mit dem Knie an, sodass er seine Abwehrhaltung endlich aufgibt. Ausnahmsweise hört er sogar auf mich und dampft mit einem tiefen Schnaufen wieder ab.

Diegos Blick geht über seine Schulter zurück zum Haus und er zeigt mir mit einem Kopfnicken an, ein Stückchen zusammen zu gehen. Mir ist klar, dass er nach Ben Ausschau gehalten hat, doch da er mich ja auch mit Carlos alleine lässt, ignoriere ich das ungute Gefühl in meinem Bauch und schlendere mit dem Kolumbianer hinter Peewee her durch den Garten. Wir schweigen, aber ich spüre Diegos prüfende Blicke von der Seite förmlich auf meiner Haut brennen. „Geht's dir wirklich gut?", fragt er sanft und ich reibe über meine Arme, da es mich plötzlich fröstelt.

„Ja. Den Umständen entsprechend schon, glaube ich."

„Behandelt er dich gut?" Seine Direktheit verblüfft mich und ich sehe zu ihm auf. „Ja...ja...er... es ist okay", stammele ich.

Diego fährt sich durch den Nacken und bläst die Backen auf. „Du weißt, dass du mir die Wahrheit sagen kannst, oder? Nachdem er so ausgeflippt ist, als ich dir das Armband gegeben habe, habe ich mir wirklich Sorgen gemacht." Die Aufrichtigkeit in seinen Augen wärmt meine Brust. Meine Finger wandern instinktiv zu seinem Geschenk an meinem Handgelenk und ich runzele die Stirn. „Was meinst du mit ausgeflippt?", frage ich vorsichtig. Er bleibt stehen, schnauft tief durch und sieht mich durchdringend an. Womöglich glaubt er in meinem Gesicht zu sehen, ob ich wirklich keine Ahnung habe wovon er spricht. Ich erinnere mich jedoch nur an Bens Aufforderung in seinen Geschäften mitzumischen und den anschließenden Besuch im Club, den ich am liebsten für immer aus meinem Gedächtnis löschen würde. „Ach nichts", nuschelt er, winkt ab und läuft weiter. „Sag schon."

„Ach Emily, er war eifersüchtig. Er ist eifersüchtig und keinesfalls davon begeistert mich in deiner Nähe zu sehen. Ich hatte Schiss, dass er dir irgendetwas angetan hat." Ich schnaube und schüttele ungläubig mit dem Kopf. Es ist völliger Quatsch zu denken, dass Ben zu solchen Gefühlen im Stande ist – dass er überhaupt zu irgendwelchen Gefühlen im Stande ist. Umsonst ignoriert er wohl nicht die Tatsache, dass er mich geküsst hat nachdem er einen halben Nervenzusammenbruch hatte. „Er hat mir nicht mehr wehgetan seitdem ich hier angekommen bin, Diego. Und eifersüchtig ist er sicher nicht." Mir entgeht nicht, wie er seinen rechten Mundwinkel nach oben zieht. Er antwortet nicht. Wir gehen stillschweigend nebeneinander her und beobachten Peewee auf seinem Fährtengang.

„Darf ich dich was fragen?", möchte ich kleinlaut wissen und knete nervös meine Finger. Das Terrain auf dem ich mich befinde ist gefährlich und mir wurde oft genug bewiesen, dass ich hier niemandem vertrauen darf. Aber aus irgendeinem Grund vertraue ich Diego und bin felsenfest von seiner Aufrichtigkeit überzeugt. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Ben nicht doch irgendwie von diesem Gespräch erfahren wird. Und wie er darauf reagieren würde. „Klar."

„Wer ist Carmen?" Ich dürfte nicht so neugierig sein und erst Recht sollte ich nicht nach Gründen suchen, die eventuell Bens Verhalten verständlicher machen würden. Doch mein Instinkt schreit mir immer wieder zu, dass dieser Name der Schlüssel für so vieles sein könnte.

Diego versteift sich neben mir und bleibt abrupt stehen. Seine Augen sind weit aufgerissen und mein Puls beschleunigt, als ich einen unbändigen Schmerz darin erkennen kann, den ich niemals bei ihm vermutet hätte. „Was? Woher?"

„Ich habe euch vor Wochen belauscht und gehört wie du ihren Namen gesagt hast. Tut mir leid, wenn ich dich damit irgendwie in Bedrängnis bringe, aber Ben wirkt oftmals so abwesend, als würde ihn etwas quälen und ich glaube, dass es mir ihr zusammenhängt." Erstaunt blickt er mich an, fast als könnte er nicht fassen was ich da von mir gebe. Kurzerhand lässt er sich ins Gras plumpsen, setzt sich im Schneidersitz hin und klopft neben sich auf den Boden. Es ist ihm deutlich anzumerken, dass ihm das Thema missfällt, umso froher bin ich, als er Luft holt und beginnt zu erzählen. „Carmen war meine Schwester."

_________________

Hallöli und Grüß Gott zu der ersten Lesenacht von Afraid ;)

Ich würde sagen, jetzt könnte es interessant werden, oder? Diego is back !! x) Und er hat wohl einen kleinen Redefluss. Ein eifersüchtiger Ben ... Aufgaben in der Stadt ... und Carmen ist Diegos Schwester. Was vermutet ihr noch dahinter? Wird er ihr wirklich erzählen, was sie mit den beiden Männern zu tun hat?

In einer Stunde in etwa geht es dann weiter :)

Eure Lary<3


Afraid of youWhere stories live. Discover now