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Zehn Haltestellen, bis ich dort angekommen war, wo ich hinwollte.

Es war absolut lästig mit der U-Bahn zu fahren.
Die Dunkelheit außerhalb der Bahn, wie die Wände des Tunnels beinahe den Wagen berührten. Es fühlte sich eingequetscht an.

Gefangen.

Da war dieser Typ. Er stand mitten im Wagon, ohne sich festzuhalten.
Sein Blick war in die Ferne gerichtet, obwohl man nicht weit schauen konnte.
Er wirkte wie eine lebende Leiche.

Blass.
Müde.
Leer.

Ich beobachtete die anderen Leute im Wagon.
Ein Geschäftsmann mit Laptop auf dem Schoß, ein verliebtes Pärchen, welches immer wieder Küsse austauschte, vier Jugendliche, die über irgendetwas laut lachten, was die anderen Mitfahrer aufsehen ließ.
Besonders die alte Dame mir Gegenüber schüttelte immer wieder den Kopf darüber.

Zehn Personen in diesem Wagon.

Mitten in der Nacht.

Und ich war eine davon.

Ich wandte meinen Blick von den neun anderen Fahrgästen ab und hielt meinen Blick auf das zerschundene Plakat, welches neben der Tür zur Fahrerkabine hing.

Darauf war ein Mädchen gedruckt. Halb nackt. In schwarz weiß.
Ziemlich absurd und viel zu aufreizend für diese heruntergekommene Bahn.

Drumherum war alles mit Edding oder Spraydosenfarbe bemalt.

Ich ließ mich etwas weiter in den Sitz hineinsinken und blickte aus dem Fenster.
Auch, wenn ich sowieso nichts sah, außer dunklen Beton und zwischendurch eine rot blinkende Lampe.

Irgendwann wurde ich ganz schläfrig und als die Bahn langsam an der nächsten Haltestelle hielt, schrak ich auf.

Und erschrak.

Die ganze Bahn war in ein seltsames rotes Licht getaucht.

Ich setzte mich auf.

Die anderen Fahrgäste waren allesamt verschwunden.
Bis auf einen.

Der Typ mit den braunen Haaren, dem bleichen Gesicht und dem leeren Blick stand immer noch genau dort, wo er zuvor gestanden hatte.

Sein Blick war immer noch aus dem Fenster gerichtet und das rote Licht tauchte ihn in beängstigende Schatten.

"Was ist hier los?", fragte ich ganz außer Atem.

Mir war zunehmend unwohl und ich hielt mich verkrampft an dem alten Sitz fest.

Der junge Mann reagierte nicht.
Er zuckte nicht mit der Wimper.
Nichts.

Bloß diese Leere in seinem Blick.

Wonach hielt er die gesamte Zeit Ausschau?

Ich erhob mich von dem Sitz aus massivem Plastik und dem zerschundenen Bezug aus billigem, festem Stoff.
Ohne zu zögern lief ich auf den jungen Mann zu.
Ich setzte an zu sprechen, doch als er seinen Blick zu mir wandte, blieb mir das, was ich sagen wollte, im Halse stecken.

Das Ganze kam mir vor wie ein komischer Traum.
Dieses rote Licht, das alles dunkel und gefährlich erscheinen ließ.
Diese plötzliche Leere.
Dieses beklemmende Gefühl.

"Du wirst sie retten müssen.", sprach er zu mir. Seine Stimme war gebrochen, er hörte sich kränklich an.

"Wen? Wen werde ich retten müssen?", fragte ich ihn erstaunt.
Ein heftiges Ruckeln brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich fiel meinem Gegenüber in die Arme.

Als ich zu ihm aufsah, zierte ein Lächeln sein Gesicht.
Ein schreckliches, beängstigendes Lächeln, welches durch das rote Licht böse und durchtrieben wirkte.

Truth Seeker || jung hoseokWhere stories live. Discover now