Kapitel 37: „...Und nicht zurück!"

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Rapunzel hockte auf ihrem Bett, die Knie angewinkelt, während dicke Tränen über ihr Gesicht liefen.
Warum?! Warum nur...? Was hab' ich denn getan?
Sie vergrub ihr Gesicht immer tiefer und krallte sich ins Bettlaken. Es war wie damals, als er tot in ihren Armen gelegen hatte und sie nichts hatte tun können.
Nur war es anders, denn er war noch am Leben, war nah – Und doch so fern!
Hab' ich ihn jetzt etwa endgültig verloren...?
Nein, bitte, das kann nicht sein! Ich will nicht alleine sein – Das kann ich nicht!
Sie wusste, sie war nie wirklich alleine gewesen, aber das wollte sie auch nie sein. Rapunzel wusste, wie schmerzlich das sein musste. Und sie wollte kein Leben in Einsamkeit führen.
Warum hat er mich denn geheiratet?", fragte sie niemand bestimmten, „Wieso?! Weshalb, wenn er mich eh verlassen will?" Ihre Stimme wurde immer lauter und brüchiger. Sie hatte Angst – Furchtbare Angst.

Wie lang ist die Nacht?
Wieso erstrahlt sie nicht in ihrer üblichen Pracht?
Wo sind all' die Sterne, wo steckt der Mond, der mich sonst anlacht?
Wieso ist es so dunkel da draußen?
Warum kann man mich denn nicht verstehen?
Sag es mir jetzt,
Sag es mir nun,
Es lässt mich nicht ruhen!
Wie lang ist die Nacht?
Warum zieht Perseus nicht in die Schlacht?
Was ist das nur?
Wieso schmerzt es nur?
Wie lang ist die Nacht?
Wellen kommt, tragt mich fort!
Nun Wind komme und nimm' mich mit!
Raus aus dieser Welt,
Weg von diesem Ort,
Irgendwohin!
Sei vorbei Nacht!
Ich lieb' dich doch.
Liebst du mich auch?
In dieser Nacht...
Unsre Liebe hält,
Je dunkler es wird.
Antworte mir!
Wie lang ist die Nacht?

Eugene streckte seine Hand aus und versuchte noch den Ring zu ergreifen, aber es war zu spät. „Nein! Das darf nicht sein...!", stieß er schluchzend aus, wobei er, über die Reling gebeugt, auf das tosende Gewässer unter ihm hinab sah. Doch dann packte ihn die Wut und er kam mit verzerrtem Gesicht auf die Elfe zu.
„Was hast du nur getan?", schrie Eugene es Diantha förmlich entgegen, wobei aus seinen haselnussbraunen Augen wieder dicke, runde Tränen über seine Wangen liefen.
„Ups!", machte Diantha nur. Sie flog ein wenig zurück und grinste verlegen. „Ähm, es tut mir leid, ist ja nichts passiert – Friede, Freude, Eierkuchen?" Die Elfe hielt Eugene eine Hand hin, doch dieser sah sie nur wutentbrannt an. Anscheinend war das nichts, mit Friede, Freude, Eierkuchen.
„Du kannst ihr doch einfach einen neuen machen!", schlug Diantha vor, „Is' nur 'n Ring, is' doch nix Besonderes!" – „Es ist nicht nur irgendein Ring – Es ist ihr Ehering!", fuhr Eugene sie an. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte Diantha fest an. „Er verband unsere Herzen und machte sie zu einem. Ihr Ring war das Gegenstück zu meinem. Sie waren genau gleich!" Seine Stimme brach, „Und, ich weiß auch nicht, wenn ich einen neuen machen würde, wäre dieser so anders, gegenüber meinem. Sie sind dann so verschieden, wie wir zwei es ohnehin schon sind!" Er wandte sich von der Elfe ab und sah wieder über die Reling. Noch nicht einmal den Grund des Meeres konnte Eugene erkennen. „Diese identischen Ringe brachten uns noch ein Stück näher zusammen. Sie sind ein Symbol unserer Liebe! Eine Erinnerung an jenen Abend, als an ihrem achtzehnten Geburtstag die Laternen in den Himmel aufstiegen, und sie diese zum ersten Mal aus der Nähe sehen konnte. ‚Ich sehe das Licht' hatte ich deshalb hineingravieren lassen!" Er ließ seine Schultern hängen und gab die Hoffnung auf, „Und durch dich, Diantha, ist es nun so, als gäbe es sie nicht, als wäre unsere Liebe, unsere gemeinsame Erinnerung, nur ein Traum gewesen, aus dem wir jetzt erwacht sind."
Verlegen rieb sich Diantha das Handgelenk und schluckte. „Kennst du diese Momente im Leben, wenn man sich so richtig scheiße fühlt? Danke, du hast mich gerade zu so einem gebracht!", seufzte sie und wickelte eine Haarsträhne um ihren Finger, „Ich werd' mal nach ihm suchen! Hab' schließlich Wasserkräfte, aber..."
Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Eigentlich bräuchtest du ihn nicht! Ich glaube, wenn du sie liebst, dann reicht das doch als Beweis, oder nicht? Dann ist egal, wieviel älter du bist, aus welcher Schicht der Bevölkerung du stammst, dann zählt doch nur, dass ihr zusammen seid, hab' ich nicht Recht?"
Zum ersten Mal blickte Diantha ihn nett, ruhig und verständnisvoll an. „Vielleicht war es ja sogar nur ein Traum und es ist gut, dass ihr erwacht seid?"
Eugene schwieg eine ganze Weile, bis er schließlich genervt aufseufzte. „Ja, du hast Recht, unsere Liebe reicht als Beweis für uns aus! Und wahrscheinlich ist es auch gut, dass uns die Augen für die Realität geöffnet wurden? Ich weiß, dass es nicht gut ist, nur in einer Traumwelt zu leben. Auch wenn diese so sehr friedlicher als die harte, normale Welt der Realität ist, so wollte ich doch, dass Rapunzel nicht in dieser leben muss. Sie sollte nicht in dieser grausamen Welt leben, von der ihr diese Hexe von Mutter immer erzählt haben musste, sondern in einer fröhlichen, farbenfrohen und glücklichen Welt. Ich wollte sie doch nur beschützen!"
Er senkte den Blick und gestand sich ein, dass er sie vor der Welt nicht beschützen konnte. Das hatte ihre Fake-Mutter ja auch versucht und das war kläglich gescheitert.
Na, wunderbar! Jetzt fühle ich mich schon, wie diese olle, alte Hexe. Kann es eigentlich schlimmer kommen?
Er rollte resigniert mit den Augen und musste anfangen zu schmunzeln. „Aber vielleicht war es falsch, ihr eine Traumwelt vorzugaukeln, in der alle in Frieden leben? Vielleicht hätte ich ihr viel früher die Augen öffnen müssen und ihr die Welt zeigen sollen, so wie sie wirklich ist? Doch ich hatte einfach Angst. Ich wollte ihre Welt nicht zerstören, denn eine Welt, in der für alle und jeden Frieden herrscht, wie sie es sich vorstellt, wird es nie geben. Deshalb hast du wirklich Recht, Diantha!" Eugene hob wieder seinen Blick, drehte sich zu der winzigen Elfe um und lächelte sie dankend an, „Rapunzel sollte die Welt so sehen, wie sie ist! Dennoch möchte ich, dass sie sich bewahrt, die Welt auch weiterhin so zu sehen, wie sie sein könnte."
Diantha schluckte. Das hatte sie nicht gewollt. „Ich bin dann mal suchen!" Mit ihren Kräften zerteilte sie das Meer und tauchte hinunter auf den Grund. Sekunden und Minuten vergingen, doch die Elfe fand nichts.
Sie wollte gerade wieder hochtauchen, als sie etwas glitzern sah.
Der Ring!
Sie ergriff ihn, flog hoch, doch hielt inne.
Er sollte ihn nicht sehen!
Durch ihre Kräfte wurde er zu Feenstaub und floss in ihren Anhänger hinein. Dann flog sie zurück zum Schiff. „Nichts gefunden...!"
„Wirklich, nichts?", fragte er mehr zu sich selbst, als zu der Elfe, doch anstatt in Hoffnungslosigkeit zu versinken, lächelte er nur tapfer, „Nun, gut, ich weiß, du hast dein Bestes gegeben. Danke, Diantha!" Er wandte sich von dieser ab, lief rasch zur Luke, die unters Deck führte, und kletterte wieder in den Bauch des Schiffes hinein, wohin ihm die kleine Elfe nach kurzem Zögern folgte.

Frozen & Tangled I: Beware the frozen HeartDonde viven las historias. Descúbrelo ahora