Kapitel 45: „Eine große Überraschung"

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„Wo sind sie?"
Ruckartig blieb David stehen. Jemand hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Als er sich umsah, entdeckte er Raymond. Der königliche Berater hatte ein eisiges Gesicht aufgesetzt und sah David eindringlich an.
„Im Bad...", antwortete der Blonde und riss sich los, „Tut mir Leid, aber sie leben."
„Ich hab' genug von deinem Versagen! Hör' zu, ich geb' dir noch eine Chance!", zischte Raymond, „Sie gehört uns, vergiss' das nicht!"
Eine Weile schwieg David. Dann nahm er allen Mut zusammen und zog sein Schwert, welches er auf den Berater richtete. Die Gäste erschraken und verstummten sogleich.
Selbst das Getuschel der Adligen hatte abgenommen, sie alle richteten ihre Aufmerksamkeit dem Thronfolger von Lunaris. Die gesamte, anwesende Gesellschaft stand nun da wie festgefroren.
„Dir gehört sie nicht! Sie gehört mir – Und niemandem sonst!", sagte der Blonde geradezu lautstark dem Schwarzhaarigen ins blank entsetzt erstarrte Gesicht.

* * * *

„Hey, alles okay? Geht es dir nicht gut?" Eugene kam zu ihr hinübergeschwommen und strich sachte über Rapunzels Rücken, „Soll ich Fulvia rufen lassen?" Langsam sah er über den Rand der Wanne und beäugte den dickflüssigen, gelben Mageninhalt seiner Frau, der sich auf den kunstvollen Fliesen unter ihnen verteilte.
Das war doch nicht etwa das erste Symptom dafür, dass sie ebenso sterben musste, so wie es auch mit all' den anderen Frauen geschehen war, mit denen er geschlafen hatte.
Eugene überkam ein kalter Schauer. Er konnte jetzt nicht wieder in dem Glauben leben, dass sie bald von ihm gehen würde. Das wollte er nicht. Hatte er denn nicht schon genug erduldet?
Die Tatsache, dass Rapunzel in Arendelle beinahe gestorben wäre, brachte seine Nerven immer noch auf Hochtouren. Und er wusste immer noch nicht so recht, wie er es geschafft hatte, dass sie doch nicht starb. Letztlich war er aber einfach nur froh darüber, dass sie noch hier bei ihm war, auch wenn er nicht sagen konnte, wie lange ihre gemeinsame Zeit noch anhalten würde? Denn irgendwann würde der Tod sie scheiden, das stand mit sehr genauer Gewissheit fest.
Das Leben ist ein Geschenk, aber es gilt nicht für ewig, dachte Eugene gedankenversunken im brodelnden Wasser, wobei er Rapunzel über die noch zittrigen Glieder fuhr.
„Ich weiß nicht, was los ist...", gab Rapunzel leise zu. Sie rang sich dazu durch einmal tief durchzuatmen, ehe sie weiter sprach. „Glaubst du, ich bin schwanger...?", murmelte sie jetzt kleinlaut und konnte den Schock nicht verbergen. Natürlich hatten sie und Manimus nicht ausführlich über Schwangerschaften geredet, aber trotzdem wusste sie, dass Frauen an Übelkeit leideten, wenn sie schwanger waren oder zumindest meinte sie, so etwas mal gelesen zu haben.
Die Blonde strich sich ein paar Haare aus der Stirn und verharrte noch ein paar Minuten, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht mehr übergeben musste. Dann richtete sie sich wieder auf, doch als sie sich gerade zu ihrem Mann umdrehen wollte, erbrach sie einen weiteren Schwall.
Ihre zitternden Finger klammerten sich an den Rand der Wanne, um sich so über Wasser zu halten.
„Es wird alles gut, keine Angst, ich bin ja bei dir!", sprach Eugene behutsam und sanft seiner zitternden Frau zu, „Ich denke nicht, dass du schwanger bist... Na gut, theoretisch wäre es möglich, aber vielleicht hast du einfach 'was Verkehrtes gegessen oder eben zu wenig – Wer weiß? Das Wichtigste ist, dass du jetzt ruhig bleibst."
Er umfasste Rapunzels Schultern und befahl ihr, tief ein- und auszuatmen, sodass sich ihr Körper ebenso beruhigen konnte. Rapunzel tat wie ihr befohlen und mit jedem Atemzug wurde sie ruhiger. Nach und nach klang das Zittern ab und die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. „Geht wieder...", murmelte sie dann und drückte sich fest gegen ihren Mann, „Danke! Können wir raus, das Ganze schnell hinter uns bringen und dann... ab ins Bett?" Verlegen kicherte sie und löste sich aus der Umarmung, um Eugene in die Augen blicken zu können. „Natürlich, ich bin absolut dafür!", nickte Eugene ihr zustimmend zu.
Er löste sich nun von ihr und stieg vorsichtig aus der hohen Wanne hinaus. Dann beugte er sich nochmals zu ihr hinunter und küsste seine Frau flüchtig, ehe er sie auch schon mit beiden Armen packte und aus dem warmen Wasser heraushebte. „Oh, ich glaube, das könnte etwas länger dauern beim Haare trocknen!", lachte Eugene und ging einmal um die Badewanne herum, um die Masse an blonden Strähnen aus dem Wasser zu fischen. Er achtete jedoch behutsam darauf, dass er ihr nicht zu sehr an den blonden Strähnen herumzuppelte, damit er Rapunzel nicht wehtun würde.
„Ich lass sie einfach immer an der Luft trocknen...", erklärte Rapunzel und lächelte verlegen, „Mit Handtüchern kommt man da einfach nicht weit!" Nun zog sie den Rest ihrer Haare an sich und bedankte sich bei ihrem Mann mit einem sanften Lächeln für seine Hilfe. Sie wickelte sich in ein großes, violettes Handtuch ein und begann dann ihre Haare über einem Nachttopf auszuwringen.
Als nur noch kleine Wassertropfen auf den Fußboden tropften, beschloss sie, dass es genug war. Die Haare auf ihrer Kopfhaut rubbelte sie jedoch komplett trocken, damit das Bett nicht nass werden würde.
Rapunzel setzte sich auf einen Hocker und begann sich abzutrocknen, währenddessen kamen ein paar Dienerinnen herein. Während zwei ihnen die Kleidung brachten, begannen die anderen damit, das Wasser aus der Badewanne zu schöpfen, um es nach draußen zu bringen. Neela trug Rapunzels Kleid und eine Dienerin namens Clarice reichte Eugene seine Kleidung.
Lächelnd bedankte sich Rapunzel und dann verschwanden die Dienerinnen auch rasch wieder, um den beiden Privatsphäre zu gönnen.
Rapunzels Kleid war türkis, mit langen Ärmeln, die sich am Mittelfinger befestigen ließen. Der weite Rock war mit weißem Tüll überzogen und der Ausschnitt des Kleides trug unzählige, weiße Perlen. Außerdem hatte Neela ihr ein dunkelblaues Korsett gebracht. Denn seit sie im Schloss lebte, stand das Tragen eines Korsetts auf dem Tagesplan, auch wenn Rapunzel diese nicht gerne trug; Schließlich konnte man schlecht atmen und am Ende des Tages hatte sie immer fürchterliche Rückenschmerzen, deswegen trug sie so gerne ihr lila Lieblingskleid, das lag nämlich so eng an, dass das Tragen eines Korsetts darunter unmöglich war.
Die Prinzessin ließ das Handtuch nun zu Boden fallen, drückte das Korsett sanft gegen ihre nackte Brust und versuchte verzweifelt die Schnüre am Rücken zu ergreifen.
Als sie es nicht schaffte, ließ sie einen weinerlichen Laut erklingen und wandte sich an ihren Mann: „Hilfst du mir? Ich kann das nicht alleine, tut mir leid..."
Eugene nickte daraufhin nur zustimmend, schnappte sich aber erst einmal seine Kleidung. „Warte kurz, ja? Ich zieh' nur schnell meine Sachen an...", murmelte der Braunhaarige, während er schon in die schwarze Anzughose hineinstieg – Unterwäsche hatte er sich davor drunter gezogen –, danach schlüpfte er rasch in die Ärmel des seidenen, grünen Hemdes und knöpfte es bis über die Brust zu, jedoch ließ er den Kragen ein wenig lockerer sitzen, damit er sich nicht zu eingeengt fühlte. Dann steckte er die Enden des Hemdes ordentlich in die Hose hinein und schlang seine muskulösen Arme in die zur Hose passenden Jacke hinein, die hinten ein bisschen länger war als vorne.
„So, Schatz, jetzt helfe ich dir!", meinte Eugene lächelnd und kam zu Rapunzel herübergelaufen. Dabei zog er sich noch die bereitgestellten, schwarzen Stiefel über, die einen leichten, grünen Schimmer im Leder imitiert hatten. Generell war die Kleidung der beiden nicht unbedingt aufeinander abgestimmt.
„Bereit?", fragte Eugene seine Frau, als er hinter ihr die Schnüre ihres Korsetts zu fassen bekommen hatte. Rapunzel nickte und legte sich die Haare über die Schulter.
Instinktiv hielt sie die Luft an, während Eugene kräftig, aber vorsichtig, an den Schnüren ihres Korsetts zog. Seine Finger arbeiteten schnell und rasch war das Korsett gebunden. „Danke!", murmelte Rapunzel und atmete einmal tief ein. Sie gab sich ein wenig Zeit, sich an das Gefühl der Enge zu gewöhnen, bevor sie sich das Leinentuch nahm, das Neela mitgebracht hatte. Rasch band sie sich es um – denn sie hatte ja immer noch ihre Tage –, und schlüpfte dann in das türkisfarbene Kleid. Da sie ja eh keine Schuhe trug, war sie fertig.
„Na dann, lass uns mal los, hm?" Sie ergriff Eugenes Hand und verließ gemeinsam mit ihm den Badesaal.
Auf dem Flur bog Rapunzel in einen kleinen Nebengang und öffnete eine unscheinbare Tür, die von zwei Wachen bewacht wurde. Auf einem violetten Samtkissen in der Mitte des Raumes lag ihre Krone. Aber nicht nur ihre Krone befand sich dort, sondern auch weiterer Schmuck, denn dieser kleine, unscheinbare Raum war die Schmuckkammer des Schlosses. Unter dem vielen Gold und dem Schmuck befanden sich auch die Kronen des Königs und der Königin, die ihnen nach dem Tod abgenommen wurde. Eingewickelt in ein blaues Tuch lagen der Siegelring und die Kette mit dem Wappen Coronas daran, die ihrem Vater gehört hatten.
Rapunzel schenkte den Sachen ihrer Eltern keine Beachtung, sondern setzte sich einfach ihre Krone auf. Als sie den Glaskasten wieder schloss, spiegelte sich darin der Blick ihres Ehemannes. Sie wusste, dass er mit ihr mitfühlte. Also setzte sie ein Lächeln auf und schüttelte den Kopf.
„Ist schon in Ordnung, Eugene, mir geht es gut!" Dann drehte sie sich wieder zu ihm um und verließ den Raum. Sie hakte sich bei ihm unter und schlenderte mit ihm gemeinsam den Flur entlang.
„Weißt du, was mich wundert?", durchbrach sie jetzt die unangenehme Stille, „Dass du keine Krone hast! Gut, du bist kein richtiger Prinz, sondern hast dich nur hier eingeheiratet, aber Prinzen tragen doch normalerweise Kronen? David hat auch eine. Wollten Mama und Papa etwa nicht, dass du eine kriegst? Oder hast du bloß keine bekommen, weil du nicht adlig bist? Also, ähm... weil du kein „blaues Blut' in dir trägst?"
Die Blonde kicherte. „Als wenn wir Adligen blaues Blut hätten! Wenn ich blute, ist das genauso rot wie deins."
Im Ballsaal tummelten sich immer noch unzählige Gäste, von denen aber niemand die Abwesenheit der beiden zu bemerkt haben schien. Rapunzels Griff an Eugenes Arm verfestigte sich, aber sie rang sich ein kleines und nervöses Lächeln ab. „Mischen wir uns wohl unters Volk, was?" ...
„Juhu, ihr Turteltäubchen!"
Verwundert blieb Rapunzel stehen. Da entdeckte sie Rose, mit Anna im Schlepptau, die auf die beiden zustolziert kam. Sie winkte ihnen zu und hatte ein breites Grinsen auf den Lippen.
Rapunzel musste leicht kichern, als sie die beiden entdeckte. „Hihi... Hallo, Rose; Hallo, Anna!"
Anna sah sie besorgt an. „Geht's dir nun etwas besser, Rapunzel?", fragte sie mitleidig, lächelte sie danach jedoch wieder optimistisch an, „Ich weiß genau, wie du dich jetzt fühlst und glaub mir, es kann alles nur besser werden! Das, was du jetzt empfindest, ist zwar keine schöne Art von Trauer – Gut, wann ist Trauer schon ‚schön', nicht? –, aber du wirst sehen, bald gibt es da etwas in deinem Leben, dass dir wieder Hoffnung verleiht, auch wenn die Situation gerade noch so ausweglos scheint." Die arendellische Prinzessin grinste der Blonden entgegen, woraufhin ihr Mann einen Arm um ihre schlanke Schulterpartie legte.
„Sie hat Recht! Für den Moment ist es gut, zu trauern, aber du solltest wissen, wann es Zeit ist, neue Hoffnung zu schöpfen. Das würden deine... Eltern ebenso wollen!", meinte Eugene, in keine bestimmte Richtung nickend und streichelte mit seinen Fingern sanft über Rapunzels Oberarm.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Rapunzels Gesicht und sie nickte langsam. „Ich weiß doch, dass ihr Recht habt, dennoch...", doch da wurde sie von der jungen Schneiderin unterbrochen, die nun ihren Arm ergriff und sie in Richtung Schlossgarten zerrte.
„Fulvia hat 'was ganz tolles für euch organisiert, wobei wir natürlich mitgeholfen haben, versteht sich ja, ne? Hast du Hunger? Hm? Bestimmt, nicht?"
„Ehrlich gesagt..."
„Gut. Sehr gut sogar!"
Auf dem großen Hügel mit dem Apfelbaum machte Rose halt. Dort war eine Decke ausgebreitet worden und ein randvoller Picknickkorb stand neben dieser. Anwesend waren nicht nur Fulvia, Elsa und Kristoff, sondern auch Diantha, Maximus und Pascal.
Maximus fraß genüsslich die Äpfel der unteren Äste, während Pascal und Diantha auf Fulvias Schulter saßen. Überall summten Glühwürmchen in der frischen Nachtluft umher.
Rose ließ sich nun auf die Decke fallen und zog Rapunzel mit sich hinunter. „Also, was möchtest du?"
„Ich..."
„Steh' nich' nur da rum!", meinte Rose jetzt an Eugene gewandt und zog ihn auf die Decke hinunter, „Is' deine Frau, nich' meine!" Dann sprang sie auf und ging zu den Anderen hinüber.
„Kommt mit, lassen wir die Laternen steigen!", flüsterte sie leise. „Oh, ja!", quiekte Anna begeistert und lief Rose nach, packte ihre Schwester und ihren Verlobten dabei aber noch an den Händen und zerrte sie mit sich.
Staunend betrachtete Rose die Laternen, die durch ein Netz am Fortfliegen gehindert wurden.
„Mach' den Mund zu, Rose!", murmelte Fulvia, die an ein paar Seilen zu Gange war. Rose schüttelte sich und schlang die Arme um Fulvias Hals. „Hast du super gemacht!" Ohne Vorwarnung drückte die Schneiderin ihr einen Kuss auf die Wange, daraufhin lief die junge Italienerin rot an. „Ähm... Ja, danke!"
„Hm, was dir wohl jetzt machen?", fragte Eugene schmunzelnd und reichte Rapunzel ein belegtes Brot, das er aus dem Picknickkorb entnommen hatte. „Unsere Freunde haben sich hiermit aber echt ins Zeug gelegt, was? Hat Fulvia nicht zu viel versprochen...", lachte er und ließ sich rücklings auf die Decke fallen.
„Hm? Versprochen? Was denn versprochen?", fragte Rapunzel verwundert und nahm das Brot entgegen, „Ich wüsste nicht, dass sie etwas von einer Überraschung gesagt hat?" Die Blonde betrachtete nachdenklich ihr Brot und legte es schließlich einfach wieder zurück in den Korb. „Ich hab' keinen Hunger, iss' du ruhig..."
„Naja, wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht!", entgegnete Eugene lachend, „Eigentlich haben wir ja auch erst vor kurzem gegessen und da sollen wir jetzt nochmal 'was essen? Irgendwie grenzt das ja schon fast an Verschwendung, während andere gar nichts haben..."
Mit diesen Worten verstummte er jedoch rasch und überlegte, wie er das Gespräch wieder in eine positivere Richtung lenken konnte. „Nun, ja, Fulvia hatte mir heute Morgen einen Zettel überreicht, woraus ich schon geahnt habe, dass sie irgendetwas planen würde. Ich hätte nur nicht vermutet, dass sie sich so ins Zeug legt, immerhin ist sie ja sonst ziemlich – Wie soll ich sagen? – ‚verschlossen'. Da fragt man sich doch, wie sie das ohne Rose nur hingekriegt hätte?", meinte er dann schmunzelnd.
Eugene setzte sich auf und sah verträumt in den Himmel hinauf, der sich durch die Abenddämmerung in verschiedene Rottöne verfärbt hatte.
„Tja, wenn wir Rose alle nicht hätten, dann wäre unser Leben ganz schön langweilig, was?", doch dann wies er mit leicht gehobenen Augenbrauen auf die kleine Truppe bei den Laternen und die von Rose umarmte Fulvia.

Frozen & Tangled I: Beware the frozen HeartWhere stories live. Discover now