Kapitel 43: „Trauer und Schmerz sitzen tief"

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Während des gesamten Rittes hatte die Blonde sich umgesehen, nach weiteren Pfeilen Ausschau gehalten, aber außer ihnen schien sich niemand hier aufzuhalten.
Bald schon hörten sie lautes Gelächter, Geschirr klappern und entdeckten die vertraute Gaststätte. „Wir sind da...!", flüsterte Rapunzel sanft und küsste vorsichtig Eugenes Wange. Maximus war den beiden wieder insofern behilflich, dass er sich auf den Boden legte, damit sie leichter absteigen konnten.
Rapunzel stützte ihren Ehemann und führte sie auf die Gaststätte zu. Sie warf dem weißen Hengst noch einen dankbaren Blick zu, ehe sie sich wieder dem Braunhaarigen zuwandte: „Lass mich jetzt nicht alleine, hörst du?" Eugene lächelte sie beruhigend an, sofern das eben bei seinen Schmerzen möglich war. „Keine Angst, ich habe schon viel Schlimmeres durchgestanden! Das ist..."
Er knickte ein und schaute auf seine blutverschmierte Hand hinab. „Ah... Gar nichts!" Dann drückte er die Hand wieder auf seine Schulter, die nun stärker zu bluten schien als vorher.
Immer noch durch Rapunzel gestützt, öffnete er die Tür der Gaststätte und so traten die beiden in die mit Holz ausgekleidete Hütte ein.
Dort wurden sie mit einem lauten, jubelnden Ruf der Ganoven empfangen, denn alle bemerkten sie sofort und waren außer sich vor Freude, dabei sahen sie jedoch nicht, dass die beiden verletzt waren.
Eine junge Frau, schätzungsweise 27 oder 28 Jahre jung, stand an der Bar und schrubbte gerade an einem Bierkrug herum. Sie trug ein schmutziges, rotes Kleid, worum eine Schürze gebunden war. Der Herzausschnitt betonte ihr fülliges Dekolleté, denn sie war mit einem ziemlich gut geformten beschenkt worden. Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt, um besser arbeiten zu können. Gerade zupfte sie an ihrer roten Schleife, die ihre dunklen Haare zurückhielt, wobei sie die beiden Eintretenden musterte und Eugene nach einiger Überlegung schließlich wiedererkannte. Also füllte sie den Krug rasch mit etwas Bier auf und stellte ihn vor einem mageren Mann mit kurzen, braunen Haaren ab, der eins bestellt hatte. Sie hatte ihn nicht wirklich angesehen, aber der Mann sah dem ehemaligen Dieb, der jetzt in der Tür stand, verdammt ähnlich.
Doch die Braunhaarige zuckte nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich täuschte sie sich, denn sie sah Eugene ja auch ziemlich ähnlich, da konnte es ebenso passieren, dass ihm auch andere Leute ähnlich sahen.
Die Frau lief nun zu ihrem alten Freund hinüber. „Hey, Flynn! Ich dachte schon, du beehrst uns nicht mehr. Was war denn los in den letzten Jahren?", begrüßte sie ihn, doch dann bemerkte sie den Pfeil, der aus seiner Schulter ragte und schlug die Hand vor den Mund. „Also wirklich, Flynn! Was war es diesmal? Was hast du jetzt schon wieder mit dir anstellen lassen?", meinte die Braunhaarige genervt, aber gleichermaßen besorgt, „Und wer ist dieses reizende Fräulein neben dir? Habe ich irgendwas nicht mitbekommen? Und, ich dachte, ich sei immer gut informiert!" Sie lachte leicht auf und winkte ab.
Doch Eugene schenkte ihr nur einen bittenden Blick. „Gwen, bitte nicht jetzt, lass uns später reden, ja? Erst einmal brauchen wir Hilfe! Gut, ich brauche wohl die meiste, aber Rapunzel hat auch eine Wunde am Oberarm, die versorgt werden muss...", murmelte er, wobei er zwischendurch mehrmals Luft holen musste, aber Gwen verstand seine Bitte auch so und nickte nur. „Keine Sorge, ich kümmere mich darum!" Sie stellte keine weiteren Fragen, sondern vertraute Eugene vollkommen. Dann winkte sie die beiden zu sich und stieg mit ihnen die Treppe hinauf, die zu den Zimmern der übernachtenden Gäste führte, wo auch sie Unterschlupf fand, wenn sie in der Gaststätte arbeitete. Und momentan war dies zum Glück von Eugene und Rapunzel der Fall.
Als sie durch die Tür am Obergeschoss traten, kamen sie in einen langen Flur, der 5 bis 6 weitere Türen beherbergte, die zu den einzelnen Zimmern führten. „Kommt, hier herein!" Gwen wies auf die Tür rechts von ihnen und verschwand dann im Inneren davon. Der Raum war eher schlicht eingerichtet. Er hatte ein Doppelbett an der einen Wand und einen Tisch mit drei Stühlen an der anderen. Ein kleines, eckiges Fenster spendete schummriges Licht und auf dem Brett davor stand eine Vase mit bunten Blumen darin, offensichtlich um ein wenig Farbe hineinzubringen. Überall im Raum lagen Kerzenstummel verteilt.
Gwen lief zur Kommode, links vom Bett, und kramte darin herum, bis sie Verbandszeug und ein wenig Salbe auf die Ablage des Schränkchens stellte. „So, bring ihn am besten zum Bett und lass ihn vorsichtig darauf nieder!", befahl sie Rapunzel, wobei sie von dieser nur einen skeptischen Blick erntete. Doch Eugene nickte seiner Frau lächelnd zu, um ihre Zweifel auszuräumen. „Es ist okay, vertrau' ihr! Gwen weiß, was sie tut." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, da er sich bemühen musste, überhaupt ein Wort über die Lippen zu bringen.
„Ich glaube dir mal einfach...", gab sich die Blonde geschlagen und tat dann, wie Gwen ihr befohlen hatte. Halb trug, halb führte sie Eugene zum Bett hinüber und setzte ihn dann darauf ab. Sie wollte sich gerade neben ihm niederlassen, doch da schubste die Braunhaarige sie nur zur Seite und machte sich daran, Eugenes Wunde zu beäugen. Rapunzel wusste, dass sie jetzt nicht viel helfen konnte. Von Wunden hatte sie wirklich überhaupt keine Ahnung, und das Blut, das aus der Wunde ihres Mannes quoll, wie Wasser aus einer Quelle, sorgte bei ihr nur dafür, dass sich ihr Magen umdrehte. Und so warf sie Eugene noch einen sehnsüchtigen, sorgenvollen Blick zu, ehe sie das Zimmer verließ.
Auf dem Flur lehnte sie sich gegen die Wand und fuhr an dieser hinunter. Sie zog ihre Knie an, umschlang diese mit ihren Armen und begann zu weinen. Dicke Tränen strömten über ihre Wangen, während sich die Bilder immer und immer wieder in ihrem Kopf abspielten; Der Pfeil, der die Schulter ihres Mannes durchbohrte, der, der ihren Arm traf...
Ihr Arm!
Rapunzel warf ihrem linken Oberarm einen Blick zu. Zu Beginn hatte sie gedacht, es sei nur ein Streifschuss, doch das Blut an dem weißen Stofffetzen bewies ihr, dass der Pfeil wohl doch getroffen hatte. Allerdings wagte sie es nicht nachzusehen. Stattdessen zog sie sich an der Türklinke nach oben und taumelte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dort waren nun alle verstummt und sahen besorgt zur Treppe hinüber und als die Raufbolde Rapunzel entdeckten, stürmten diese auf sie zu und nahmen sie fest in den Arm.
Es vergingen endlose Minuten, vielleicht sogar Stunden – jedenfalls fühlte es sich so an –, in denen niemand ein Wort sprach. Doch dann reichte Hakenhand ihr ein winziges Glas mit Schnaps darin und lächelte.
„Tut manchmal ganz gut!"
Dankbar nickte Rapunzel. 2, 3, 5, 10...
Irgendwann hörte Rapunzel auf die Gläser zu zählen, deren Flüssigkeit in ihrem Rachen verschwand und auch die Getränke nahm sie irgendwann nicht mehr wahr. Der Alkohol benebelte immer mehr ihre Gedanken und dieses eine Mal war sie so unfassbar froh darüber.
Doch bei ihrer Eile hatten Eugene und Rapunzel ein bestimmtes Etwas – Besser gesagt, einen ganz bestimmen Jemand – übersehen. Und dieser Jemand war Raymond. Der königliche Berater saß an der Theke, raufte sich die langen Haare und starrte auf seinen Bierkrug.
Diese beiden hatten genau eine Aufgabe, dachte er wütend, was ist am Zielen bloß so schwer?!
Mit einer merkwürdigen Genugtuung betrachtete er Eugenes Blut, das auf dem Boden eine deutliche Spur hinterlassen hatte. Doch als er an Rapunzels Wunde zurückdachte, fing sein Blut an zu brodeln. Sie hatten geschworen, dass ihr nichts passieren würde, dass sie sicher sein würde! Bei dem Gedanken, dass seine süße, liebe Rapunzel verletzt wurde...
Nein, er wollte gar nicht darüber nachdenken! Stattdessen nahm er einen großen Schluck Bier und sah zu seinem Vater hinüber. Er sah wirklich schrecklich aus.
Sein sonst so gepflegter Bart war um einiges länger, seine braunen Haare waren fettig und seine haselnussbraunen Augen trüb. Er war jahrelang im Krieg gewesen und als er wiederkam, hatte er erfahren müssen, dass seine Frau verstorben war. Raymond wusste, dass sein Vater sich mit vielen Frauen eingelassen hatte, aber so war er doch mit seiner Mutter – seiner leiblichen Mutter – verheiratet gewesen.
Raymond seufzte tief und überlegte, was er sagen könnte, aber da spürte er, wie sich zwei schlanke Arme um seinen Hals schlangen.
Verwundert sah er auf und musste unwiderruflich lächeln, als er Rapunzel hinter sich stehen sah. Sie war betrunken, das stand fest, aber sie roch trotzdem so wunderbar fruchtig und süß. Sie hatte geweint, das sah er sofort, in ihren Augen lag Verzweiflung. Und trotzdem sah er dieses verführerische Leuchten in ihnen.
Nun erhob er sich und lächelte sie warm an. „Na, wollen wir dich mal waschen?" Das Kleid der Blonden war mit Eugenes Blut befleckt und in ihren meterlangen Haaren hatten sich Äste und Laub verfangen.
Er legte seinem Vater ein paar Goldmünzen hin und sah ihn eindringlich an. „Denk' darüber nach...", meinte er, „Ich meine das Angebot ernst; Ich hätte dich gerne bei uns im Schloss!"
Dann legte er Rapunzel einen Arm um die Schultern und ging zu Hakenhand hinüber, den er um den Schlüssel fürs Badezimmer bat. Nun kam es ihm zu Gute, dass er nach Velvelas Tod so depressiv gewesen war, dass er den Verlust mit Alkohol hatte ausblenden wollen, denn so kannte er jeden Winkel der Gaststätte.
Gemeinsam mit der Prinzessin ging er die Treppe hoch in den kleinen Raum, der sich Badezimmer schimpfte. Er hatte nichts mit dem goldenen Badesaal des Schlosses zu tun. Er war um einiges schlichter.
In der Mitte des kleinen Raumes stand eine einfache Badewanne und auf dem Fensterbrett lagen neben einer Waschschüssel ein paar Handtücher. Nicht, dass Raymond anderes gewohnt war. Sein Badezimmer, dass er mit Velvela gehabt hatte, war auch nicht besonderer gewesen. Und vermutlich war das Badezimmer des Turmes auch nicht besser gewesen.
„Dann wollen wir dich mal ausziehen, hm?" Er schloss die Tür hinter sich und entzündete ein paar Kerzen auf der Fensterbank. Dann bedeutete er Rapunzel sich auf den Rand der Badewanne zu setzen, was sie auch gehorsam tat. Von unten hatte Raymond bereits einen Eimer heißes Wasser mitgenommen, das er nun in die Wanne goss. „Raymond?", murmelte Rapunzel leise. „Was ist?", fragte er und musste schmunzeln, denn sie klang wirklich ziemlich betrunken. Er machte sich daran, ihr das verschmutzte Kleid auszuziehen und reichte ihr dann eine Hand, um ihr in die Wanne zu helfen. Doch die Blonde blickte in nur verwirrt an. „Was? Kommst du nicht mit rein?" Wie gerne er gewollt hätte, doch er wusste, das sollte er besser nicht riskieren.
Wenn Eugene sie jetzt sah, würde er ihm vermutlich eh den Kopf abschlagen, aber wenn sie dann auch noch zusammen in der Badewanne säßen...
Und so verführerisch der Gedanke auch war, der Berater schlug ihn sich ganz schnell wieder aus dem Kopf. Stattdessen nahm er einen Waschlappen von der Fensterbank und kniete sich neben die weiße Wanne.
„Ich fass' dich an, ja?", murmelte er sanft und tunkte den Waschlappen dann ins Wasser. Als Rapunzel nickte, begann er dann, sie von dem Schmutz und dem Blut zu befreien.
Ab und an hörte er, wie Rapunzel wohlig seufzte und er konnte nicht verneinen, dass ihm die Situation nicht gefiel. Es war unfassbar schön, ihre Haut zu spüren. Nachdem ihr Bauch sauber war, begann er sanft ihre Brüste zu waschen und selbst als diese längst sauber waren, strich er immer und immer wieder darüber. Irgendwann nahm er seinen Mut zusammen und begann ganz vorsichtig ihren Venushügel zu streicheln. Dass Eugene sich im Nebenraum befand, war ihm mittlerweile egal geworden. Alles, was zählte, war der Moment.
Plötzlich öffnete jemand schließlich die Tür und ein kleines Mädchen, ungefähr sieben, kam in das winzige Bad hineingehüpft. Es sah so aus, als sei sie Draußen im Wald gewesen, denn sie trug ein kleines, weiß-graues Kaninchen auf dem Arm, das verletzt zu sein schien.
„Oh, tut mir leid! Ich wollte nicht stören, aber dem armen, kleinen Häschen geht es nicht gut. Ich wollte nur seine Wunden reinigen, darf ich?" Das Mädchen lächelte betrübt und ihre kleine Hand verschwand dabei im weichen Fell des Tieres. Als Raymond jedoch nur widerwillig nickte, hatte sich ein breites Grinsen auf ihr süßes Gesichtchen gelegt. „Danke, das rettet ihm das Leben!" Was wohl nicht stimmte, weil das Kaninchen so stark nun nicht verletzt war, aber das Mädchen hatte wohl auch schon viel Schmerz im Leben erfahren müssen, da rechnete sie wahrscheinlich immer mit dem Schlimmsten.
Langsam verbeugte sich das kleine Mädchen vor den beiden, wobei der Berater bemerkte, dass ihre kurzen braunen Kringellocken wirr vom Kopf abstanden und das bunte, aus Flicken bestehende Kleid an ihrem kleinen Körper herunterhing. Sie hatte sogar winzige Pausbäckchen, die sie einfach entzückend machten.
„Wow, Sie haben aber schönes langes Haar, Fräulein! Sie sehen aus wie eine Prinzessin." Die Kleine strahlte nun über beide Ohren, dabei glühten ihre Wangen auf und gaben ein gesundes Rosa von sich. „Ich wünschte, meine Haare wären auch so wunderschön lang. Dann würde ich auch eine richtige Prinzessin sein, nicht wahr, Klopfer?" Sie drückte das Kaninchen an ihre noch wachsende Brust und kicherte zuckersüß, „Und du wärst dann mein Prinz!" Dann wandte sie sich von den beiden, an und in der Badewanne, ab.
Sie lief zu der Waschschüssel am Fenster, um das Kaninchen darin absetzen zu können. Danach fing sie an mit einem Waschlappen, der ebenfalls auf den Handtüchern gelegen hatte, seine Wunden abzutupfen, die er sich womöglich zugezogen haben musste, als er in eine Falle der Jäger hineingelaufen war.
„Ach, ich bin übrigens Paige!", schmiss die Kleine noch in den Raum, während sie sich ganz der Pflege ihres Tieres hingab. Raymond lächelte sanft. „Und ich bin Raymond!", antwortete er dann und reichte Rapunzel eine Hand, um ihr aus der Wanne zu helfen. Dies dauerte allerdings länger als gedacht, da die Blonde noch ihre meterlangen Haare aus dem Wasser fischen musste.
Der Berater hielt ihr ein Handtuch hin, das sie sich umbinden konnte, denn ihr schmutziges Kleid wollte sie keinesfalls wieder tragen. Nun nahm sich Raymond noch den Wasserkrug und schüttete den eiskalten Inhalt über Rapunzels Kopf aus. Diese brauchte daraufhin eine Weile, um zu realisieren, was eigentlich gerade vor sich ging. Offensichtlich hatte seine kleine Schreck-Therapie sie wieder halbwegs nüchtern gemacht.
Die letzten Reste Alkohol, die ihr Handeln benebelte, wollte er aber noch ausnutzen. Also schlang er die Arme um sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Rau und verlangend, während seine Finger sich in ihren Haaren verankerten. Als er von ihr abließ, blickte er tief in ihre Augen. In diese wundervollen Augen, die er immer wieder vor sich sah.
Die Prinzessin schüttelte sich rasch und murmelte abwesend. „I-Ich sollte wohl nach Eugene sehen!" Der Berater sah ihr nach, wie sie zur Tür hinüber torkelte und dann draußen auf dem Flur verschwand.
„Na, Kleine? Brauchst du Hilfe?", fragte er dann lächelnd und wandte sich an Paige. Er ging zu ihr hinüber, kniete sich neben sie und blickte zuerst sie und dann den Hasen an. „Hey, er ist schon viel sauberer als vorher!", grinste er und begann vorsichtig, den Hasen zu kraulen.

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