Kapitel 34

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Zwei Stunden später saßen die Frauen am Feuer und grillten ihre Marshmallows.

„Ich habe mich schon immer gefragt, wieso du Psychologin werden wolltest", stellte Emma fest, als sie ein neues Marshmallow aufspießte und über das Feuer hielt. „Also nicht das du jetzt schlecht darin wärst, denn das bist du wirklich nicht! Du machst einen verdammt guten Job, aber es ist doch ein ungewöhnlicher Beruf oder?"

Regina lächelte sanft. „Ich verstehe schon, Emma. Du musst nicht erklären"

„Also, wieso Psychologin?", fragte Emma dann.

Regina starrte eine Zeit lang ins Feuer. Ihr Blick war leer doch ihre Körperhaltung angespannt.

„Entschuldigung, du musst es mir nicht sagen", sagte Emma sofort und lächelte die Frau entschuldigend an.

„Nein, ist schon okay, Emma. Es ist nur... Ich habe noch nie mit jemandem darüber geredet", sagte sie dann, vermied aber jeglichen Augenkontakt.

Emma wartete geduldig und gab Regina all die Zeit der Welt, um weiter zu reden.

„Weißt du, Emma. Wir sind gar nicht so unterschiedlich. Ich hatte eine ähnliche Kindheit wie du", begann sie und Emma erstarrte. War sie auch ein Waisenkind? Nein, sie hatte ja von ihrem Vater erzählt. Hatte sie gewalttätige Eltern? Wurde sie auch vergewaltigt?

Doch das ergab keinen Sinn, denn als Regina nur wenige Stunden zuvor von ihrem Vater erzählt hatte, schien sie so glücklich.

„Versteh mich nicht falsch, Emma. Ich habe nicht das gleiche durchgemacht, doch in einer Art dasselbe", sprach Regina dann leise weiter.

Emma verstand nicht und wartete geduldig darauf, dass Regina erklärte.

„Ich war auch auf eine Art eine Gefangene, doch in meinem eigenen zu Hause. Meine Mutter war sehr", sie war einige Sekunden ruhig um das richtige Wort zu finden. „Streng" vervollständigte sie dann ihren Satz.

„Sie ignorierte mich so oft wie möglich, schloss mich in mein Zimmer ein und tat, als würde ich nicht existieren. Deshalb hatte ich keine Freunde", sie schloss kurz ihre Augen um die Tränen zu unterdrücken.

„Ich habe mir oft welche gebastelt und mit ihnen geredet. Mama hat mich dafür bestraft. Sie hat mich gedemütigt, mir gedroht mich verhungern zu lassen oder mich beschimpft", Ihre Fingernägel bohrten sich in die Rinde des Baumstamms.

„Ich habe um ihre Aufmerksamkeit und Liebe gebettelt. Bei den seltenen Fällen, bei denen ich etwas gut gemacht hatte, hat sie mich umarmt und ich... ich habe für diese Umarmungen gelebt. Es gab für mich bald keinen anderen Sinn mehr als... meine Mama zufrieden zu stellen", ihre Stimme brach ab und eine Träne kullerte ihre Wangen hinunter.

Emma schloss die Frau sofort in ihre Arme.

„Und das schlimmste ist, dass ich es immer noch machen möchte. Ich möchte sie immer noch glücklich machen. Ich möchte, dass sie stolz auf mich ist", ein Schluchzen ließ ihren Körper erbeben und Emma drückte sie noch fester an sich.

„Shh, Regina. Es ist okay", flüsterte Emma in das Oh der Brünette und streichelte ihr Sanft über das Haar.

Regina vergrub ihr Gesicht in Emmas Schulter und ließ ihre Tränen laufen.

„Mein Papi war zu schwach um sich gegen meine Mama zu stellen. Er starb als ich zehn war und dann war ich alleine. Als endlich jemand mitbekam, was in meinem Haus passierte, war ich schon 19. Sie haben meine Mama eingesperrt", redete sie dann weiter, ließ aber nicht von Emma los.

„Und ich fühle mich schuldig! Jeden Tag fühle ich mich schuldig dafür, dass sie nun im Gefängnis ist", wieder brach ihre Stimme ab und Emma drückte sie noch näher an sich.

„Shh, es ist nicht deine Schuld, Regina. Du bist das Opfer", flüsterte sie unbeholfen in Reginas Ohr. Noch nie war sie in einer Situation, wo sie jemand anderen hatte beruhigen müssen.

Regina nickte schwach bevor sie weiterredete: „Sie haben mich zu einem Psychologen geschickt. Ich war in einem wirklich schlechten Zustand. Jeden Tag wollte ich sie besuchen, mich entschuldigen, sie glücklich machen. Und der Psychologe konnte mir nicht helfen. Ich musste mich alleine durchkämpfen".

„Ich wollte Menschen helfen, damit sie nicht alleine da stehen so wie ich es tat. Verstehst du, Emma?", fragte sie dann und schaute dem Mädchen in die Augen.

Emma nickte und brachte eine Hand zu Reginas Wange um die Tränen weg zu wischen. „Es tut mir leid, dass dir das passieren musste. Niemand verdient so etwas", flüsterte sie und starrte der Frau in die Augen.

Regina starrte geradewegs zurück und schneller als Emma denken konnte, spürte sie plötzlich Reginas Lippen auf ihren.

Sofort verspürte das Mädchen den Drang, die Frau wegzudrücken, doch schnell erinnerte sie sich daran, dass dies Regina war, ihre Regina, die gerade ihr ganzes Herz vor ihr ausgeleert hat. Nicht Greg. Sie war in Sicherheit.

Also lehnte sie sich in die Umarmung und küsste zurück.

Doch viel zu schnell war der Kuss auch schon wieder vorbei und geschockt zog Regina zurück.

„Oh mein Gott, Entschuldigung, ich hätte nicht... Schei... Geht es dir gut? Alles okay? Oh Gott!", fing Regina stotternd an. Emma zu küssen könnte schwere Folgen für ihre Besserung haben.

„Regina. Regina!", sagte Emma laut und nahm ihre Hand. „Es geht mir gut!"

Regina atmete einmal tief durch. „Oh Gott... Unser erstes richtiges Date und ich weine und küsse dich... Entschuldigung Emma. Ich hätte nicht-"

„Regina!", sagte Emma noch einmal laut. „Es geht mir gut! Schau", sie stand auf und drehte sich einmal im Kreis um für Regina zu sehen, dass ihr nichts fehlte. „Es ist okay, auch einmal zu weinen. Bitte entschuldige dich nicht dafür", sie setzte dich wieder neben Regina und nahm ihre Hand.

„Geht es dir gut?", fragte sie dann und schaute der Brünette tief in die Augen.

Die Frau nickte nur, doch bald verwandelte sich dies in ein Kopfschütteln und sie biss sich zweifelnd und mit Tränen in den Augen auf die Unterlippe.

Emma nahm die Frau in die Arme. Sie kämpfte mit den Tränen, lehnte sich aber in die Umarmung.

„Es ist okay, zu weinen, Regina", sagte Emma sanft und streichelte über das braune Haar. Und wie auf Kommando liefen sie ihr über die Wangen.

Emma saß einfach da und hielt Regina, bis ihre Tränen langsam weniger wurden.

„Ich mach das Feuer aus, leg dich schon mal ins Zelt", sagte Emma und gab der Frau einen Kuss auf die Haarkrone.

Sie wartete bis die Brünette im Zelt verschwunden war und machte sich dann auf um das Feuer zu löschen.

Wenige Minuten später betrat sie ebenfalls das Zelt. Vor ihr lag Regina eingerollt unter der Decke und schaute sie von unten an. Emma wusste, dass sie Regina noch nie so verletzlich gesehen hatte.

Schnell schlüpfte sie ebenfalls unter die Decke und schaltete die Taschenlampe aus, die das Zelt erleuchtete. Wenige Sekunden später spürte sie, wie ihre Psychologin näher an sie heranrückte. Emma öffnete ihre Arme und zog sie noch näher an sich.

Emmas Augen, die sich schon an die Dunkelheit gewöhnt hatte, starrten nun direkt in Reginas. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

„Gute Nacht", flüsterte Emma.

„Gute Nacht", flüsterte Regina.

Und dann nahm Emma all ihren Mut zusammen und lehnte sich nach vor um die paar Zentimeter zwischen ihnen zu schließen.

Der Kuss war zärtlich und sanft. Als Emma etwas zurück zog, konnte sie ein kleines Lächeln auf Reginas Lippen erkennen.

Die Augen der Brünette blieben geschlossen und wenige Minuten später war sie eingeschlafen. Emma bewunderte die Schönheit vor ihr noch einen Moment, bevor auch sie ihre Augen schloss und einschlief.

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