Kennenlernen

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„Sie sind sich also
zum ersten Mal im Treppenhaus
begegnet und haben
eine Konversation geführt,
an die sie sich nicht mehr erinnern können."

*nick*

„Und wann haben Sie sich persönlich kennen gelernt? Wann haben sie mehr übereinander erfahren?"

„Ich glaube...
das war...
kompliziert."

„Kompliziert?
Was meinen Sie damit?"

„Naja äh...
es gab nie das
"Kennenlerngespräch".
Es ist einfach passiert."

„Und wie ist es passiert?"

„Wir sind uns
begegnet und...
dann ist es
einfach passiert..."

„Was ist denn
genau passiert?"

*schluck*

Der Himmel färbte sich langsam rosa und eine kühle Brise strich durch meine Haare.
Die Geräusche der Straße unter mir wirkten so weit entfernt.
Eher wie ein Echo, das im hintersten Teil meines Kopfes wieder halte.
Doch plötzlich schob sich ein Geräusch in den Vordergrund, das nicht so recht zu dem Rest passen wollte.
Und dann wurde mir bewusst,
dass jemand weinte.
Kein Kind, das hingefallen war und sich die Knie aufgeschlagen hatte.
Kein Teenager, der seinen ersten Korb bekommen hatte.
Das Weinen eines Menschens,
der den Sinn am Leben verloren hatte.
Dem alles egal geworden war.
Der nichts mehr spürte außer Schmerz.
Suchend drehte ich mich um
...und entdeckte sie.
Rote Augen, nasse Wangen
und bebende Schultern.
So stand sie ein paar Meter hinter mir
und starrte mich einfach nur an.
Ich wusste nicht so recht,
was ich tuen sollte.
Aber das musste ich auch gar nicht.
Mein Körper bewegte sich von ganz allein.
Meine Beine bewegten sich auf sie zu und meine Arme schlangen sich um ihren zierlichen Körper.
Ihre Haut war so kalt...
So als wäre sie schon längst tot...
Sie fing wieder an zu schluchzen und vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter.
Ich wusste nicht,
warum es ihr so ging wie es ihr ging.
Ich wusste nicht einmal wie sie hieß.
Aber das war egal.
Ich wusste nur,
dass ich einmal in meinem Leben zur
richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Wir standen lange so da.
Der Himmel wurde orange,
dann rot und schließlich
von lila zu einem dunklem Nachtblau.
Vorsichtig löste ich sie von mir.
»Hey...?«
Flüsterte ich, damit sie mich ansah.
»Danke« sagte sie und schenkte mir
ein kleines Lächeln.
Sie drehte sich um und
lief den Weg zurück,
den sie gekommen war.
Wie in Trance bemerkte ich
das verschmierte Blut an ihren Armen,
das nun an meinem Shirt klebte.

„...sind Sie sicher,
dass es ihnen gut geht?"

„Ja."

„Ich bin mir aber nicht sicher.
Sie saßen gerade für fünf Minuten einfach nur da und haben die Wand
hinter mir angestarrt.
Sie sind ganz blass geworden.
Ich bin Psychologe.
Ich weiß, was mit Menschen ist,
wenn sie sich so verhalten.
Ich finde für heute ist es genug.
Machen Sie sich heute
einen schönen Abend und
versuchen Sie sich in den nächsten
Tagen etwas abzulenken."

„Okay, ich werde es versuchen."

„Gut, dann sehen wir
uns nächste Woche wieder.
Auf Wiedersehen."

„Auf Wiedersehen."

Hold OnWhere stories live. Discover now