Verbandszeug

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„Gab es Ereignisse,
die Ihre Beziehung
zueinander verstärkt haben?"

„Natürlich gab es die."

„Nennen Sie mir ein Beispiel."

„Hmpf."

„Ich kann Ihnen
nur helfen wenn..."

„...wenn ich bereit dazu bin.
Blah blah.
Schon klar."

„..."

*seufz*
„Na gut, schön.
Also ich habe ihr Pflaster gegeben,
weil sie keine mehr hatte."

„Warum wollte sie
Pflaster haben?"

„Sie war verletzt
und hat geblutet."

„Warum war sie verletzt?"

„...das weiß ich nicht."

Und wieder stand sie vor meiner Tür.
Dieses Mal war sie
noch blasser als sonst.
Sie hielt ihre Hände hinter ihrem Rücken,
so als wolle sie etwas verstecken.
»Hey ähm... Entschuldigung, dass ich dich schon wieder störe, aber ich brauche etwas sehr dringend und kann gerade nicht einkaufen gehen und...ähm du bist die einzige Person, die ich hier aus dem Haus kenne..."
Ich sah sie verwirrt an.
Was sollte das alles?
»Was brauchst du denn?«
Sie sah verlegen auf den Boden.
Hätte es nicht auch am Licht liegen können,
dann hätte man denken können,
dass sie noch blasser wurde.
»Ich...ich brauche Pflaster.«
»Pflaster?«
»Na Verbandszeug oder so...«
»Hast du dich verletzt?«
»N-NEIN...ich brauche es nur...bitte?«
Ihr Verhalten war wirklich sehr seltsam
und selbst ich bemerkte,
dass sie versuchte etwas zu verstecken.
»Okay...ich gehe es schnell holen.«
»Danke.«
Sie sah erleichtert aus.
Ich warf ihr noch
einen misstrauischen Blick zu und
verschwand dann wieder in
meiner Wohnung.
Mal sehn...wo hatte ich
das Verbandszeug hingetan?
Ich öffnete das kleine Schränkchen
im Badezimmer und durchwühlte es.
Was war ihr nur zugestoßen?
Ich bekam eine weiße Rolle,
die in durchsichtige Folie eingepackt war,
in die Hände.
Bingo! Verbandszeug!
Schnell schloss ich den Schrank und
lief wieder zu ihr zurück ins Treppenhaus.
»Ist das okay?«
Ihr Gesicht sah gequält aus,
doch sie versuchte mir
einen dankbaren Blick zu schenken.
»Ja, danke.«
Schnell nahm sie es mit dem rechten Arm,
doch das Blut an ihrer Handfläche
fiel mir trotzdem auf.
Ohne groß darüber nachzudenken,
fragte ich:
»Hey, soll ich ihn dir umbinden
Sie sah mich unsicher an.
»Ich glaube die Wunde muss
auch desinfiziert werden.
Ich hab alles drinnen, soll ich dir helfen?«
Nachdenklich blickte sie zur Seite.
Warum fiel ihr diese Entscheidung
so schwer?
Eine ganze Weile standen wir so da und
ihr Gesicht verzog sich immer mehr
vor Schmerzen.
Dann endlich sagte sie:
»Okay...das wäre echt lieb von dir...«
Ich nickte erleichtert und lief in
meine Wohnung, darauf bedacht,
dass sie mir folgte.
Ich zeigte auf die Waschmaschine,
damit sie sich darauf setzte.
Sie war etwas klein und
schaffte es nicht alleine,
also nahm ich sie an der Hüfte und
half ihr hoch.
Die Situation war mehr als seltsam.
Ich räusperte mich.
»Also, wo hast du dich verletzt?«
Sie sah an die Wand und hielt mir
ihren linken Unterarm hin.
Und plötzlich sah ich es.
All diese langen Narben...
Das war kein Zufall.
Sie waren alle mit einem Messer geführt wurden und es war klar, dass sie sich um eine bestimmte Ader am dichtesten sammelten.
»Sag einfach nichts...«
Sie flüsterte so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte.
Einige Narben waren älter und verblassten schon langsam, andere sahen aus wie frisch verheilt und auf wieder anderen war sogar noch etwas Grint...
Und da waren auch frische Schnitte...
Das Blut quoll hervor und
benetzte ihre Haut.
Nun wusste ich, was sie so krampfhaft
versuchte zu verstecken.
Mir wurde schlecht
bei dem Gedanken daran,
wie diese Wunden entstanden waren...
und vorallem als mir die Anzahl
der Narben bewusst wurde...
Ich wusste nicht so recht,
was ich tuen sollte.
Wahrscheinlich hätte das niemals
irgendwer sehen sollen.
Aber ich sah es gerade.
Bevor ich etwas dummes sagen konnte,
suchte ich das Desinfektionsmittel.
Es war nicht so versteckt
wie das Verbandszeug,
deswegen fand ich es relativ schnell.
Ich nahm ein bisschen Klopapier
und treufelte es darauf.
»Das wird jetzt brennen«, sagte ich,
um sie vor dem Schmerz zu warnen.
Sie drückte nur ihre Lippen auf einander
und schloss die Augen.
Vorsichtig strich ich mit dem Klopapier
über ihren Arm.
Dann nahm ich das Verbandszeug
und packte es schnell aus.
Ich hätte nie gedacht,
dass ich einmal so dankbar sein würde
über den Erste-Hilfe-Kurs,
den wir in der siebten Klasse
machen mussten.
Ich wickelte den Verband um ihren Arm
und machte einen kleinen Knoten hinein,
damit es hielt.
»Danke«, flüsterte sie und lächelte leicht.
»Versprich mir nur,
das nie wieder zu tuen.«
Ich sah sie flehend an.
Die Sorge schwoll in meiner Brust
zu einem Maß an,
dass es schon weh tat.
»Bitte...«
»Ich kann es nicht versprechen...«
Mein Herz rutschte mir in die Hose.
Nein.
»Aber ich kann es versuchen.«
Sie sah mir direkt in die Augen.
Der Lebenswille strahlte nur so aus ihnen
und ich bekam Zuversicht,
dass sie es schaffen würde.
»Ich werde immer hier sein.
Falls du etwas brauchst,
komm einfach zu mir.«
Ihr Lächeln wurde etwas heller.
»Danke. Wirklich.«
Ich nickte.
»Okay dann... möchtest du einen Tee?«
»Sehr gerne.«
Sie sah schon fast wieder
ein bisschen glücklich aus.

„Kann es sein,
dass sie mir nicht immer
alles erzählen?"

„Nein, ich erzähle immer alles."

„Sie sind aber auch sehr häufig
in Ihren eigenen Gedanken und
ich kann kaum zu Ihnen
hindurch dringen."

„Vielleicht will ich auch
gar nicht, dass sie
zu mir hindurch dringen!?"

*Stirn runzel*
„Beruhigen Sie sich.
Niemand will Ihnen etwas böses."

„Achja?
Das hat meine Mutter
auch immer gesagt und
dann hat mein Vater
mich geschlagen!"

„Sie wurden von
Ihrem Vater geschlagen?"

*schnauf*
„Das war ein Fehler
mit der Therapie."
*auf steh und aus Tür geh*

Hold OnWhere stories live. Discover now