Tears of the black memory

16 0 0
                                    

Ein dunkles Zimmer.
Ein Mädchen auf einer Matratze.
Im Schneidersitz.
Ein Bett ist nicht vorhanden. Doch die Matratze reicht völlig aus, sie ist genügsam.
Alles ist dunkel, das Licht ist ausgeschaltet. Das hält die Blicke von draußen fern.
Ihr Kopf ist voll. Voller Gedanken wie auf einem bunten Karussell auf einem belebten und lauten Jahrmarkt.
Vor ihr ein Laptop. Viele Tasten. So viele Möglichkeiten Wörter zu "Papier" zu bringen. So viele Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Unzählige Wege, ihr Umfeld zu bewegen.

Der Laptop... sein erleuchteter Bildschirm - die einzige Lichtquelle im großen und leeren Zimmer.
Das Mädchen mit den dunklen Haaren und den dunklen Augen will etwas erzählen. Sie hat so viel zu erzählen. Und sie weiß, dass sie dabei weinen wird. Unumgänglich.
Sie entscheidet sich für folgende Geschichte:

Familie:

Drei kleine Brüder. Sie ist die Älteste. Und die Einzige. Wenn ihre Brüder mal älter sind, werden sie sie beschützen. So ist es doch?
Aber was passiert, wenn sie, bevor das geschehen kann, getrennt werden und niemals wieder zusammenfinden? Was ist dann? Steht das Mädchen dann alleine da? Ist Familie alles? Kann man sich seine Familie aussuchen? Ist Blut tatsächlich dicker als Wasser? Warum gibt es so viele Fragen?

Und wo sind meine Brüder hin?

Warum werden sie getrennt? War das meine Entscheidung?
In gewisser Weise vielleicht. Allerdings war es nicht meine Absicht, euch zu verlassen. Ich vertraue darauf, dass ihr stark seid. Dass ihr stark werdet. Und eines Tages werdet ihr eure Frau lieben und beschützen können.
Aber jetzt möchte ich, dass ihr Kinder seid. Kinder, die verschmutzt nach Hause kommen, sodass mummy die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und sich nur ein paar Sekunden später an eurem breiten Grundschulzahnlückengrinsen entzückt. Weil ihr ihre Kinder seid.
Ich musste einfach gehen.

Steht das Mädchen allein da? Tue ich das?
Nein. Niemals. Man ist nie allein, auch wenn man es für einige Momente glaubt und daran zu verzweifeln droht. Ihr seid niemals, nie, nie, niemals allein. Haltet die Augen offen nach denen, die euch lieben. Mag sein, dass sie das nicht so sagen oder sagen können. Sie drücken es immer anders aus. Vielleicht ist eine kleine Rüge ihr Liebesbeweis. Vielleicht ist es aber auch nur ein kleiner kurzer Blick, eine Phrase. Oder sie sind einfach immer für dich da, halten ihre Schulter für dich bereit.

Ist  Familie alles?
Familie ist vielleicht fast alles, doch wenn sie alles wäre, würden viele von uns nicht lange bestehen. Nein, Familie ist nicht alles. Für manche schon, für mich nicht.

Ist Blut dicker als Wasser?
Manchmal, ja. Manchmal.

Warum gibt es so viele Fragen?
Und wie soll ich diese Frage jetzt beantworten?

So viele Erinnerungen, Träume, die einen verfolgen. Die das Herz in Millionen von kleinen Splitter zerspringen lassen. Man fühlt den Schmerz und ruft sich ins Gedächtnis, dass man das vielleicht auch schonmal einer Person angetan hat. Und dieser Gedanke scheint schier unerträglich zu sein.

Eine Erinnerung drängt sich in den Vordergrund:

"Hallo kleiner Bruder. Wie war die Schule?"

"Gut."

"Aha, schön. Was habt ihr gemacht?"

"Nichts."

Also wie immer. Er streift sich im Flur die Schuhe ab und hängt seine Jacke an den Haken der kleinen bunten Kindergarderobe. Ein Lächeln schmückt sein Gesicht, doch das Gefühl der Freiheit hält nur kurz an, bis ihm einfällt, dass er noch die Hausaufgaben zu erledigen hat.
Der Geruch von frischgebackenen Pfannkuchen lässt seine Augen jedoch wieder aufleuchten.

Da, die Träne fällt. Sie saugt sich in den Stoff der Matratze und hinterlässt lediglich einen kleinen salzigen Fleck.

Er will einen Pfannkuchen mit Apfelmus und einen mit nutella.

Nach gemachten Hausaufgaben, dem Fußballspiel draußen und der nötigen Dusche geht der Kleine zu Bett.

Damit endet die Erinnerung an einen Tag.

Poetry {english~german}Where stories live. Discover now