Ihre Residenz glich dem reinsten Chaos, doch Sylvanas suchte ruhig und systematisch den Raum ab. Bisher hatte sie nichts finden können worauf der Dieb es abgesehen hatte. Selbst ihr Bogen Totenschrei samt Köcher war nur achtlos aus dem Weg gestoßen worden.
Sie hob ihn auf und lehnte ihn an die Wand nah ihres Schreibtisches. Auf dem Tisch lagen die Dokumente achtlos verstreut. Es machte keinen nennenswerten Unterschied, aber Sylvanas wusste, dass sie eine andere Unordnung zurückgelassen hatte. Der Blick ihrer rot schimmernden Augen glitt weiter. Die Schubladen standen offen. Nein. Nur die erste. Und die dunkle Fürstin wusste plötzlich, dass der Dieb gefunden hatte wonach er gesucht hatte.
Sie riss die Schublade aus ihrer Führung und stürzte ihren Inhalt auf den Tisch. Sie fehlte. Allerias Halskette fehlte.In dem Moment, als sie sich vom Stuhl gerissen hatte, erklangen Schritte im Gang zu ihrer Residenz, die ihren sensiblen Ohren nicht entgingen, obwohl sie nicht schwerfällig waren, wie sie es von ihren Verlassenen sonst gewohnt war.
"Nathanos!", stieß sie hervor, bevor sie abrupt in ihrer Bewegung inne hielt. Für einen Herzschlag setzte ihre Atmung aus. In seinem Griff eine aufrechte Elfe. Ganz in schwarzes Leder gekleidet, die Kaputze tief ins Gesicht gezogen und das Gesicht von einer Maske verdeckt.Nathanos, der Pestrufer, Sylvanas Champion, warf zwei reich verzierte Dolche vor sich, gefolgt von einem Kleinen, einigen Wurfsternen und einem Dietrich.
"Ich habe ihre Spuren bis nach Tirisfal verfolgt, meine Königin." Die schlanke Elfe wand sich im Griff des Pestrufers, doch sein Griff war, geschwächt von ihrer offensichtlich verletzten Schulter, erbarmungslos. Verwunderung zeichnete sich auf dem Antlitz der Bansheekönigin ab, als sie kein vertrautes Schimmern aus dem Inneren der Kaputze wahrnahm und so trat sie langsam näher."Seid ihr sicher, dass sie es war?", fragte Sylvanas ihren Champion.
"Ohne Zweifel, Mylady." Die dunkle Fürstin kam vor der Elfe zum Stehen und zog ihr erst den Mundschutz vom Gesicht und dann die Kapuze vom Haupt. Was sie erblickte ließ die Herrscherin der Verlassenen für den Herzschlag einer Ewigkeit erstarren. Mehr graue als blaue Augen fixierten sie hasserfüllt und ein kleiner frecher Grünstich schlich sich funkelnd herein. Ihr von Schweiß benetztes ebenmäßiges und jugendliches Gesicht war umrahmt von hellbraunen Haaren, die im Einklang zu ihrer hellen Haut standen."Eine Quel'dorei", stellte die Bansheekönigin verblüfft fest. Die grauen Augen verengten sich zu Schlitzen, bevor die Diebin ohne zu zögern zielsicher mitten in das Gesicht der dunklen Fürstin spuckte. Sylvanas erstarrte einen Augenblick und wischte sich schließlich den Speichel mit dem Mundschutz der Hochelfe von der Wange. Ganz kurz bewunderte sie den selbstmörderischen Schneid, den die Schurkin an den Tag legte, doch eine schallernde Backpfeife folgte als Antwort auf dem Fuße.
Trotz der brachialen Kraft, die sie vermochte in diesen Schlag zu legen, fing sich die Diebin äußerst schnell und bedachte die Bansheekönigin wieder mit ihrem von Hass verzerrten Blick.
"Man sollte meinen, dass eine Elfe von Hoher Geburt mehr Anstand hätte", zischte Sylvanas gefährlich leise.
"Ich bringe keinem Mitglied der Horde Anstand entgegen."Die klare Stimme drang hart durch Sylvanas Bewusstsein. Die häßlichen Worte straften ihre zarte Stimme Lügen. Zu lange hörte die dunkle Fürstin nur noch die verzerrten und gezeichneten Stimmen ihrer Untergebenen.
Sylvanas entfernte sich ein wenig von den beiden und wandte sich an ihren Champion.
"Ist das alles was du bei ihr gefunden hast, Nathanos?", fragte sie und deutete mit den Augen auf die Waffen der Schurkin."Ja, meine Königin." Der ergebene Ton in dem er sprach reichte ihr bei weitem nicht.
"Bist du sicher? Hast du sie gründlich durchsucht?", hakte sie nach, bemüht ihre aufgebrachte Stimme zu zügeln.
"Selbstverständlich, Sylvanas", sagte er ruhig und die persönliche Ansprache erinnerte sie daran, dass sie selbst den Pestrufer einst ausgebildet hatte und er ihr absolutes Vertrauen genoss.Der erste und einzige Mensch, den Sylvanas je unterrichtet hatte. Ewigkeiten war das her, wie ihr schien. Damals hatte er selbst einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen, dass die Quel'dorei in die Allianz aufgenommen wurden. Die dunkle Fürstin sog leise, aber tief die Luft ein und rief sich zur Ruhe.
"Wo ist sie?", verlangte sie nun von der Hochelfe zu wissen. Die sah ihr siegessicher, herausfordernd und überheblich direkt in die Augen.
"Ich weiß nicht wovon ihr sprecht, Bansheekönigin."

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Im Verlies der dunklen Fürstin
FantasySylvanas Windläufer wurde ihrer kostbaren Halskette beraubt, die sie einst vor ihrer Schwester geschenkt bekommen hatte. Die Diebin wurde zwar gefasst, doch wo ist die Kette?