Der Weg zum Verlies schien ihr heute ungewöhnlich kurz und so stand sie viel zu früh wieder vor den vier Kerkerwachen, die an dem kleinen Holztisch saßen. Einer schaute auf und hielt dem Blick ihrer rot schimmernden Augen ohne Mühe stand.
"Welcher, Lady Windläufer?", fragte er ruhig, doch ein wenig mehr Respekt als zuvor schien sie überraschenderweise entgegengebracht zu bekommen."Nebelsang", antwortete sie unbeeindruckt und umschloss den Schlüssel, der in ihre ausgestreckte Hand gefallen war. Der Gang zu den einzelnen Zellen war heute irgendwie ungewöhnlich flach und schmal, als hätte er sich verändert. Verkleinert. Vielleicht hatte sie sich verändert. Geschmeidig glitt der Schlüssel in das Schloss und wurde herum gedreht.
Die junge Diebin saß da in der selben aufrechten Pose wie beim letzten mal und doch wirkte sie ganz leicht verändert.Ihr Blick hatte sich gewandelt. Er war etwas weicher geworden und kurz fragte sich Sylvanas, ob sie mittlerweile doch um ihr Leben fürchtete. Als sie allerdings ihre Hand ausstreckte um an den Handfesseln der Hochelfe zu ziehen und diese nicht die Spur zurück wich, wusste sie, dass sie Angst vergeblich im Antlitz der Schurkin suchen würde.
Ohne aufzubegehren ließ sich Cerise in die Höhe ziehen und folgte der dunklen Fürstin durch die Gänge des Kerkers. Sylvanas wagte einen kurzen Blick auf sie, als sie an dem Verhörraum vorbeigingen, den sie das letzte mal angesteuert hatten und beobachtete zufrieden den Funken Überraschung in der Miene der Anderen.
Sie gingen noch eine Weile weiter, bis sie in einen Gang traten, an dessen Ende eine weitere Wache vor einer zugesperrten Tür stand. Auf einen Blick der Banshee stieß er sie für die Königin auf.
Der Raum war auch nicht viel größer als die Zellen. Seine Einrichtung hingegen unterschied sich ganz massiv davon.Inmitten des Raumes stand eine Streckbank. Sowie ein großes Kreuz an der Wand, an denen genauso Laschen zum Festschnallen befestigt waren. An den Wänden, fein säuberlich aufgereiht, ein ganzes Arsenal an Folterutensilien. Die Miene der Schurkin war erstarrt, wenn auch sich noch immer kein Funken Angst darin finden lassen wollte. Erwartungsvoll und herausfordernd schaute sie nun direkt in die glühenden Augen der dunklen Fürstin.
Der freche, grüne Glanz der darin tanzte faszinierte Sylvanas und sie brauchte viel länger als beabsichtigt um zu erklären, was Cerise nun bevorstehen würde.
"Sag mir jetzt was du mit meiner Kette gemacht hast, ansonsten kann ich dich vor all dem hier nicht mehr beschützen", sagte die Herrscherin der Verlassenen ruhig und machte eine ausladende Handbewegung in den Raum.Cerise schnaubte verächtlich.
"Ihr mich beschützen? Lachhaft. Es ist mir gleichgültig, ob ich hier unten mein Leben lasse, Bansheekönigin!" Wieder der von sich selbst überzeugte Glanz auf dem eitlen Antlitz der jungen Schurkin. Sylvanas ließ den Moment verstreichen.
"Wenn du denkst, dass dein Leben hier ein schnelles Ende finden wird, dann täuschst du dich ganz gewaltig. Bleib hier und überlege dir deine nächsten Schritte. Ich komme bald zurück, bis dahin mach dich doch mit den Gerätschaften schon mal etwas vertraut."Cerise starrte sie unbeweglich an, was Sylvanas nickend hinaus schreiten ließ. Auf einen weiteren Blick ließ der mürrisch drein blickende Wachman die Tür zurück ins Schloss fallen. Die dunkle Fürstin hatte ihre ungezügelten Gefühlsregungen im Zaum gehalten, was sie äußerst zufrieden den Gang weg von der Folterkammer schreiten ließ. Natürlich war Cerise Reaktion durchaus vorhersehbar gewesen weshalb sie sich besser hatte darauf vorbereiten können, aber dennoch. Es war ein kleiner Sieg gegen sie selbst.

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Im Verlies der dunklen Fürstin
FantasySylvanas Windläufer wurde ihrer kostbaren Halskette beraubt, die sie einst vor ihrer Schwester geschenkt bekommen hatte. Die Diebin wurde zwar gefasst, doch wo ist die Kette?