Du erkennst ihn, wenn du ihn siehst

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Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich langsam den Gang entlang lief. Ich hatte keine Ahnung wo ich hinmusste und folgte dem Gang einfach, ignorierte sämtliche Abzweigungen und lief immer weiter. Wenn ich stehen geblieben wäre, hätte ich mich vermutlich umgedreht und wäre panisch davongerannt. Und das ohne einen Drachen. Ich schüttelte mich. Ein Drache. „Nicht darüber nachdenken", riet mein innerer Beutlin. Ich nickte zustimmend und sang in Gedanken stattdessen ein Lied. Es beruhigte ungemein. Und sorgte auch dafür, dass ich leicht hüpfte und mit dem Kopf im Takt mitnickte. Der Gang endete abrupt in einem Raum mit einigen wenigen Steinbänken. Von dort aus gab es mehrere Durchgänge zu weiteren Gängen oder Treppen. Ich entschied mich für eine der Treppen, die tiefer in den Berg hineinführten. Die Luft veränderte sich. Es roch stark nach Tod und etwas anderem, dass meine Nase nicht identifizieren konnte. Die Treppe machte einen Bogen, führte zu einem majestätischen Torbogen und endete auf einer Plattform mit beeindruckendem Balkon. Doch es waren nicht der Torbogen und das edle Treppengeländer, die meinen Blick auf sich zogen. Es war die gewaltige Halle darunter. Ich trat an das Geländer heran und mein Mund klappte auf. Da war Gold. Viel Gold. Massenhaft. Berge und Tonnen an Gold. Ein glänzendes Meer aus Münzen, Blöcken und Schmuck und alles funkelte unter mir. Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Doch es war real. Diese Reichtümer waren echt. Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fassen. Sobald dies geschehen war, lief ich zur nächsten Treppe, die nach unten führte und beeilte mich zu dem Meer aus Gold zu gelangen. Die Stufen der letzten Treppe endeten in den Massen an Reichtümern. Vorsichtig betrat ich den prachtvollen Untergrund. Münzen raschelten unter meinen Füßen und das änderte sich nicht, egal wie leise, vorsichtig und langsam ich mich auch versuchte zu bewegen. Fluchend setzte ich meinen Weg fort. Jeder Schritt musste mit Bedacht gewählt werden, da ich keine Lust hatte eine Lawine auszulösen und unter Tonnen an Gold begraben zu werden. Vor mir blitzte etwas auf. Ich eilte darauf zu und hob einen großen weißen Klunker auf. Ich wog ihn in der Hand und verzog das Gesicht. Das konnte unmöglich der Arkenstein sein. Oder doch? Ich legte ihn zurück und sah mich um. „Ein großer, weißer Edelstein, der von innen heraus leuchtet", murmelte ich. „Ganz toll!", fügte ich hinzu, denn als ich meinen Blick schweifen ließ, fielen mir überall weiße Edelsteine auf. Die Halle, in der ich mich befand, war riesig. Ich raufte mir die Haare und begann zu suchen. Anfangs nahm ich die Steine und Schmuckstücke voller Ehrfurcht und Sorgsamkeit in die Hand, doch mit der Zeit, hob ich sie einfach hoch, wog sie und entschied, dass es doch nicht der Arkenstein war. Irgendwann saß ich einfach nur noch gegen irgendeinen Säulenkopf gelehnt, der aus den Goldmassen herausragte und spielte mit den Münzen um mich herum. „Ein großer, weißer Edelstein", wiederholte ich. „Danke Balin, präziser ging es wohl nicht!", murmelte ich säuerlich. Ich nahm eine Handvoll Münzen auf und ließ sie durch meine Finger rieseln. Sie prasselten auf andere Münzen und klirrten leise. „So eine Pleite", fluchte ich und ließ ein paar Goldstücke in meine Tasche gleiten.

Nach weiteren gefühlten Stunden, beschloss ich einfach irgendeinen weißen Stein zu nehmen und nach draußen zu bringen. Ganz so einfach wollte ich es mir letztendlich dann doch nicht machen. Ich suchte nach einem schönen, wenn nicht sogar dem Schönsten. Ich fand einen, der perfekt in eine Zwergenhand passen würde, glatt war und im schwachen Licht, das hier drinnen herrschte, leuchtete. Am Tageslicht wäre dieser Effekt vermutlich noch beindruckender. Es war mir egal, dass es nicht der echte Arkenstein war. Ich hatte einen Vertrag als Meisterdieb unterzeichnet, nicht als Edelsteinsucher. Läge das Königsjuwel unter der Klaue eines schlafenden Drachen, der in einer leeren Halle schlief, dann wäre es eine Aufgabe für einen Dieb gewesen den Stein zu besorgen. So war es einfach nur eine sehr anstrengende Suche. Ich beschloss mich auf den Rückweg zu machen, zwang mich das Gold, das ich eingesteckt hatte, wieder auszuleeren und lief los. Der Weg über Gold war anstrengend. Doch das interessierte niemanden. Oder es war niemand hier, den es interessieren konnte. Plötzlich verhedderte sich mein Fuß in einem teuren Stück Stoff, das zwischen den Münzen herausragte und ich fiel der Länge nach hin. Dem Gefühl in meinem Mund nach zu schließen, war mir einen Zahn abgebrochen. Ich spuckte die Krümel aus und schüttelte angewiderte den Kopf. Dann lachte ich. Ich könnte mir ja einen neuen Zahn aus Gold machen lassen. Es hätte mich nicht mal gewundert, wenn ich hier Goldzähne gefunden hätte. Ich hörte ein Rauschen. Münzen rieselten in einer kleinen Lawine nach unten und mein Herz blieb für einen Moment stehen. Dann erfassten meine Augen etwas und ich lief aufgeregt los. Unter einer Art Podest, vor einem riesigen, kreisrunden Opal, der einen schwarzen, ellipsenförmigen Topas einschloss lag ein strahlender weißer Edelstein. Er leuchtete so hell wie kein anderer und strahlte eine Macht aus, die mich erschauern ließ. Ich ging auf die Knie und hob den Stein auf. Diesmal musste ich mich nicht fragen. Es war der Arkenstein. Glücklich und unglaublich zufrieden mit mir selbst, steckte ich ihn in die Innentasche meiner Jacke und lief zurück. Während ich unter dem Podest hervorkommen wollte, fiel mir etwas auf. Ich erstarrte und mein Herz musste wirklich aufgehört haben zu schlagen. Mit einem mal war mir eiskalt und ich zitterte. Langsam, ganz langsam machte ich einen Schritt nach vorn und mein Verdacht bestätigte sich. Der Opal bewegte sich. Es war gar kein Opal. Genauso wenig war der Topas wirklich ein Topas. Es handelte sich vielmehr um ein Auge. Ein gewaltiges Auge. Und es hatte mich beobachtet. Ich legte den Kopf in den Nacken und mir wurde klar, dass auch das Podest keines war. Es war eine Klaue. Ich wollte rennen. Und schreien. Vor allem schreien. Doch ich brachte keinen Ton heraus, noch konnte ich mich rühren. Das Auge blinzelte. Ich wimmerte. Dann begannen sich die Massen an Gold zu bewegen. „Besuch!", ertönte ein lautes Grollen und ich zuckte erschrocken zusammen. Münzen rutschten unter meinen Füßen und ich fiel. Eine Lawine riss mich mit und ich spürte, wie sich immer mehr Münzen auf mir häuften. Der Druck auf meiner Brust wurde unerträglich. Mit einem Mal wurde ich fortgerissen. Etwas bohrte sich in meinen Rücken. Ich schrie. Mitten in der Luft wurde ich angehalten. Das Etwas, das mich hielt, drehte mich herum und der nächste Schrei blieb mir im Hals stecken. Da war er. Der Drache, in seiner vollen Pracht und Größe. Ich hing direkt vor seiner Schnauze. „Bitte friss mich nicht!", wisperte ich so leise und mit so schwacher Stimme, das ich glaubte er würde es nicht hören. „Fressen?", fragte er. Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nicht fressen!", rief ich mit erstickter Stimme. Der Drache lachte und es hallte in der gesamten Halle nach. „Wieso sollte ich dich fressen wollen? Besucher frisst man doch nicht", sagte der Drache. „Ach nein?", fragte ich. „Natürlich nicht", sagte der Drache. Seine Stimme war dunkel rau und ein wenig unangenehm fürs Ohr. „Du bist doch ein Besucher?", fragte der Drache. Ich nickte hastig. Wenn das hieß, dass ich leben durfte, dann war ich alles. „Interessant. Sag, kleiner Dieb, was bist du?", fragte der Drache. „Ein Hobbit", antwortete ich. „Die kenne ich nicht", stellte der Drache fest. „Geht den Meisten so", entgegnete ich. „Hast du einen Namen, kleiner Dieb?", fragte er. Ich nickte. „Wie lautet er?", fragte der Drache in einem befehlsheischenden Ton. „B-Bilbo. Bilbo Beutlin", antwortete ich. „Ich bin Smaug", stellte sich der Drache vor. „Freut mich dich kennenzulernen, Smaug", sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Ich wollte einfach nur weg von dort. Doch ich hing an der Klaue eines Drachen. Der Drache öffnete sein Maul und ich zuckte erschrocken zusammen, machte mich ganz klein und schloss die Augen. „Entschuldige, habe ich dich erschreckt?", fragte der Drache und klang vergnügt. Plötzlich begann er zu schrumpfen. Fassungslos starrte ich ihn an. Seine Schnauze wurde in seinen Schädel gedrückt, bis sie vollständig verschwand und durch einen normalen Mund ersetzt wurde. Meine Füße trafen auf Untergrund. Erleichtert atmete ich aus, dann sah ich zu der Person vor mir. Es war tatsächlich eine Person. Unnatürlich groß, größer als Elben und Menschen, doch längst nicht so groß wie der Drache, der er eben gewesen war. Seine Haut war wie die seiner Drachengestalt, geschuppt. Seine Augen hatten immer noch die Farbe von Opalen. Er griff sich einen Mantel und warf ihn sich über. „Nun Bilbo Beutlin, mache ich dir immer noch Angst?", fragte er. Ich starrte in seine Augen und nickte. „Ja", sagte ich ehrlich. „Komm mit mir, ich zeige dir mein Königreich", sagte er, ohne darauf einzugehen, legte eine Hand auf meinen Rücken und schob mich voran. Mein Herz raste. Davon hatte mir keiner erzählt. „Dies hier ist eine der vielen Schatzkammern. Eine Meisterleistung an Baukunst, wie ich zugeben muss", sagte Smaug. „Wirklich schön", murmelte er. Wir stiegen ein paar Treppen hinauf, liefen nach links, dann nach rechts und kamen in eine gewaltige Halle. Am Ende stand ein Thron. Er war zur Hälfte zerstört, doch es war noch zu erkennen, wie prachtvoll er einst war. Smaug ging darauf zu und ließ sich auf dem Thron nieder. Ich schluckte. In mir brannten die Worte, dass er sich von dort verziehen sollte. Immerhin war dies Thorins rechtmäßiger Platz! „Ich habe so selten Besucher", sagte Smaug. „In den letzten sechzig Jahren kam nicht einer. Man vereinsamt mit der Zeit. Desozialisiert", erzählte er. „Aha", machte ich nur. „Erzähl mir, kleiner Dieb, was treibt dich hier her?", fragte er. „Ein Vertrag und eine große Menge Dummheit", murmelte ich. „Ein Vertrag?", fragte Smaug. Ich nickte. „Du hast etwas, das mir gehört", sagte Smaug. „Nimm es mir nicht übel, kleiner Dieb, aber ich hätte es gern wieder", fügte er hinzu. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen", sagte ich automatisch. „Lüg nicht!", brüllte er auf einmal und ich zuckte erschrocken zusammen. Das dort war noch immer der Drache und mir fiel wieder ein, wieso ich Angst vor ihm hatte. „Belüg mich nie wieder!", sagte Smaug grimmig. „Wozu brauchst du den Arkenstein?", fragte er. Meine Worte blieben mir im Hals stecken. Ich konnte nicht mehr sprechen. Smaug knurrte. Er stand vom Thron auf, kam mit großen Schritten auf mich zu, packte meinen Kopf und presste seine Hände an meine Schläfen. Seine Fingernägel wurden wieder zu Krallen und bohrten sich in meine Haut. Ich hatte das Gefühl, als spiele jemand meine Erinnerungen wie einen Film rückwärts ab. Bilder durchfluteten meinen Kopf und ich war mir sicher, dass Smaug sie sehen konnte. Die Seestadt. Thorin und ich. Der Streit. Thorin. Die Fässer. Die Zellen in der Stadt der Waldelben. Das war alles privat. Es waren immerhin meine Erinnerungen! Das ging niemanden etwas an! Verzweifelt wehrte ich mich gegen den Griff, auch wenn ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Plötzlich ließ Smaug mich los. Er fauchte. „Du bist mit Zwergen hergekommen! Sie warten draußen auf deine Rückkehr!", fluchte er und sein Augen blitzten gefährlich auf. Ich zuckte zusammen, wich zurück und hielt mir die blutenden Schläfen. „Eichenschild! Dämlicher Zwergenprinz! Er hätte dort bleiben sollen, wo er war! Dieser arrogante Zwerg will mir mein Königreich rauben!", sagte Smaug und lief zornig auf und ab. „Genau genommen, warst du es, der ihm das Königreich zuerst geraubt hat", sagte ich und ohrfeigte mich kurz darauf innerlich selbst. „Du!", brüllte Smaug plötzlich. „Du hast ihm geholfen hier her zukommen!", brauste er auf. „Und das alles für eine Anteil an MEINEM SCHATZ!". Ich schluckte. Plötzlich begann Smaug irre zu lachen. „Für Gold! Du hast es für Gold gemacht! Weißt du wozu dich das macht? Zu seiner Hure!", spuckte er mir entgegen. „Gar nichts habe ich für Gold gemacht!", erwiderte ich. Auch wenn mir mein Herz bis zum Hals schlug und ich furchtbare Angst hatte, so wollte ich das wenigstens richtig stellen. „Für kein Gold der Welt hätte ich mein zu Hause verlassen! Ich bin gegangen, weil ich die wahnwitzige Idee hatte, das ein Abenteuer spaßig werden könnte!", sagte ich und merkte selbst, das meine Stimme bebte. Smaug musterte mich und hob eine Augenbraue. Ein widerliches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Spaß hattest du scheinbar ziemlich fiel. Ich kann diesen Zwerg an dir riechen! Und ich habe deine Erinnerungen gesehen. Erbärmlich! Eichenschild scheint sehr angetan von dir zu sein und du... einfach nur erbärmlich", sagte er verächtlich. Ich schluckte. „Kommen wir zu dem zurück, was mir gehört", sagte er kalt. Ich wich zurück. „Der Arkenstein. Das Königsjuwel. Gib ihn mir zurück und du kannst leben", sagte Smaug. Ich wich noch einen Schritt zurück. „Nein", sagte ich so entschlossen wie möglich. „Nein?", fragte Smaug. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Es war laut und unheimlich. So laut, dass die Wände des Thronsaales bebten und es im ganzen Berg zu hören sein musste. „Ich sehe, du nimmst deine Aufgabe sehr ernst. Hast du schon mal überlegt, wieso Eichenschild dich geschickt hat? Nein? Weil er zu feige ist. Lieber schickt er etwas wie dich vor! Du bist austauschbar, kein großer Verlust", sagte Smaug. „Du lügst!", rief ich. „Oh, glaubst du das wirklich? Wie viel kannst du ihm bedeuten, wenn er dich hier her geschickt hat, obwohl er weiß, dass dies mein Königreich ist?", fragte er abfällig. Ich antwortete nicht, sondern versuchte mich ein weiteres Stück zu entfernen. „Es hätte einen gewissen Reiz dir den Stein zu lassen. Ich würde nur zu gern sehen, wie Eichenschild daran zerbricht. Es wird ihn in den Wahnsinn treiben und jedes bisschen Vernunft und Verstand, dass er besitzt auslöschen!", murmelte Smaug und legte den Kopf schief. Ich schüttelte meinen eigenen. „Nein, das wird nicht passieren!", sagte ich fest entschlossen. „Es ist mit seinem Vater und seinem Großvater passiert. Ihm wird es genauso ergehen. Gold und Edelsteine sind nichts für schwache Geister!", sagte Smaug. „Ich habe eine Idee", sagte er dann mit einem fiesen Grinsen. „Wir machen ein kleines Tauschgeschäft. Du kannst den Stein und dein Leben behalten, dafür bekomme ich, was du bei dir trägst", sagte er. Ich war verwirrt. „Was ich bei mir trage?", fragte ich. „Du hast einen eigenen Schatz. Mächtiger und wertvoller als alles hier in diesem Berg! Das für den Arkenstein und dein Leben", sagte Smaug und kam auf mich zu. Er meinte den Ring. Sofort versteinerte meine Miene. „Niemals", sagte ich. „Wie bitte?", fragte Smaug. „Ich sagte, niemals! Eher sterbe ich!", wiederholte ich. Smaug stieß ein markerschütterndes Brüllen aus, riss die Arme auseinander und verwandelte sich. „Das lässt sich einrichten!", rief er, während er seine richtige Gestalt wieder annahm. Ich stolperte zurück, fiel, stand wieder auf und rannte. Ich sah einen Ausgang, nicht weit von mir und sprintet darauf zu. Hinter mir wurde es heiß. Smaug spie Feuer. Mein Mantel wurde angesengt, doch ich schaffte es rechtzeitig aus der Halle, um dem nächsten tödlichen Feuerstoß zu entgehen. Ich hatte jedoch keine Zeit zum Verschnaufen. Smaug brüllte laut, schrie, spie Feuer und es klang, als ob er einige der Säulen im Thronsaal einriss. Er konnte mich vermutlich riechen. Er würde kommen und mich töten. Ob fressen oder verbrennen war mir ganz egal, ich wollte noch nicht sterben. Deswegen rannte ich um mein Leben.

Der Hobbit - der Meisterdieb und der König unter dem BergeWhere stories live. Discover now