Kapitel 1 || Teil 2

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Es dauerte nicht lange ein paar weitere Anhänger zu finden und dann gruppenweise auf die hohen Tannen zuzutreten. Deren Spitzen fingen einen dichten Nebel ein, und schienen diesen etwas zu kitzeln, während am anderen Ende nahe der Stämme mehrere Zapfen verteilt herumlagen. Hier und da bäumte sich eine mutige Wurzel aus den Boden auf und bildete einem schmalen Zufluchtsort für Mäuse, Spinnen oder andere relativ kleine Tierchen.

Samuel hatte die Führung übernommen und unterstrich mit dem andauernden Gerede, dass diese Idee der absolute Wahnsinn war und bestimmt zu einem riesigen Abenteuer ausarten würde. Ich war da etwas misstrauischer und vergrub ruhig meine ausgekühlten Hände in den Jackentaschen. Natur war noch nie wirklich meine Stärke gewesen, immerhin war sie kaum zu kontrollieren und daher nicht in meinem Interessenbereich. Die Begeisterung der anderen konnte ich daher nicht nachvollziehen.

„So, meine Damen und Herren. Hier sind wir außer Sichtweite unseres Lehrers und wagen ein paar Schritte ins Unbekannte!", verkündetet mein Freund dramatisch und richtete seine kreisrunde Brille. „Irgendwelche Freiwillige?"

Schweigen, ummantelt von einem nervösen Gemurmel. Jeder wollte hinein, aber keiner hatte den Mut es als erstes zu tun. Selbst wenn einige schon über fünfzehn waren, das Bedürfnis horrorfilmmäßig zerfetzt zu werden war deutlich schwach.
Meinen Kumpel schien das nicht zu gefallen und begann erneut wie ein schadenfroher Kobold zu grinsen.

„Fiona, Herzchen? Wie wäre es mit dir?"

Nun sahen alle zu ihr und ich erkannte meine einmalige Chance. Zwar war ich kein Aufreißer, aber hatte dennoch das Bedürfnis ein neues Mädchen für mich zu beanspruchen und wollte zeitgleich Samuel zeigen, wie man es richtig machte. Innerlich breit grinsend, äußerlich aber nur einen gelangweilten Gesichtsausdruck aufsetzend trat ich vor die Blauhaarige und verschränkte die Arme.

„Ich mach das schon, keinen Grund sie darum zu bitten.", sagte ich und hätte schwören können, ein erleichtertes durchatmen von hinten gehört zu haben. Einige Jungs warfen sich vielversprechende Blicke zu und begannen verheißungsvoll zu raunen, während die Mädchen kicherten.

Ruhig machte ich die ersten Schritte in den Wald und spürte ein ungewöhnliches prickeln auf den Armen, welches kurz darauf meinen kompletten Körper einnahm. Trotz der Tatsache, dass sich nicht weit entfernt lauter Schüler befanden, hörte ich keinen Ton mehr. Diese beruhigende Stille kam mir unnatürlich für und sorgte für eine dementsprechende Gänsehaut.
Schluckend ließ ich meinen Kehlkopf springen und drehte mich zu den restlichen Kameraden zu, begann höhnisch zu grinsen und machte eine einladenden Bewegung.

„Habt ihr Schiss, oder was? Keine Eier in der Hose?"

Nur langsam folgten sie mir, wobei die Mädchen in ihren Gruppen blieben und Schulter an Schulter nebeneinander herliefen. Die Jungs waren da schon etwas lockerer, schubsten sich gegenseitig tiefer hinein und glucksten amüsiert vor sich hin. Nur Samuel blieb draußen stehen und sah mit zusammengekniffenen Augen in den gräulichen Himmel.
Mit erhobener Augenbraue ging ich zurück und klopfte den Rotschopf leicht gegen den Hinterkopf, gewann somit seine Aufmerksamkeit.

„Was ist? Sag bloß, der große Anführer hat die Hosen voll.", schnaubte ich und verschränkte die Finger im Nacken.

Mein Gegenüber zeigte mir den Mittelfinger und nickte dann nach oben zu den bedrohlich aufbäumenden Wolken. „Ich hab 'nen Regentropfen gespürt und wollte nur sichergehen... der Bus wird erst in ein paar Stunden kommen und ich hab keinen Bock ein Gewitter in der Wildnis zu erleben."

Tatsächlich spürte auch ich nun auch einen kleinen Tropfen auf die Stirn klatschen, gefolgt von vielen mehr. Bald schon wurden die vereinzelnden Tropfen zu einer richtigen Einheit und prasselten erbarmungslos auf die Wiese herab. Viele Blumen ließen wegen dem zusätzlichen Gewicht ihre Köpfchen hängen, oder verloren diese vollkommen. Eine kleine Mulde wurde überflutet bildete ein kleines Bächlein, das den einst trockenen Boden in einen schlammigen Sumpf verwandelte. Grollend kündete sich nun ein wirkliches Unwetter an und ließ alle Schüler zum Lehrer laufen, die Köpfe mit den Händen schützend. Als ob das was bringen würde.

„Sind alle da?", versuchte der große, bärtige Mann den heulenden Wind zu übertönen und bekam von einigen Kindern ein zustimmendes 'Ja'.

Mit lauter Stimme fasste er die derzeitige Lage nochmal zusammen – was er sich meiner Meinung hätte sparen können, denn das mir mein Arsch abfriert konnte er somit auch nicht verhindern – und erklärte dann unseren nächsten Schritt. Da dieser Ausflug eigentlich einen ganzen Tag beinhaltet hätte, gab es keine Chance das der Bus früher schon kam. Noch dazu das wir alle unsere Handys im Hotel hatten lassen müssen, damit sie uns nicht von der 'Schönheit der Natur' ablenkten. Schöne Scheiße, Herr Lehrer.

Plötzlich drängte sich Markov durch die eng beisammenstehende Menge, und ging direkt auf den Lehrer zu. Der Wind war zu stark, als das ich hätte hören können was sie da redeten, aber der Mann schien nickend einen Entschluss zu fassen. Mit einer offensichtlichen Bewegung brachte er seine Schüler dazu ihm zu folgen, während der junge Russe die wirkliche Führung übernahm. Mir missfiel es, sehr sogar. Dennoch konnten klappernde Zähne und nasse Füße sehr überzeugend sein, weshalb ich mühselig ebenfalls diesen Weg einschlug.

Vermutlich kannte er sich in dieser Gegend einfach aus, da er vor drei Jahren noch hier gelebt hatte. Bestimmt mit den Bären in einer Höhle, oder sonstigen wilden Viechern.

Nach einer Weile, ich machte mir nicht die Mühe mitzuzählen, erreichten wir eine breite Landstraße. Nicht aus Asphalt, aber allemal besser als der kürzlich entstandene Sumpf. Sie führte in mehrere Richtungen, doch wir untersuchten nur eine, da man an deren Ende in nicht allzu weiter Ferne ein gewaltiges Gebäude erkennen konnte. Trotz dieser Situation, atmete ich einmal tief beruhigend durch und beschleunigte meine Schritte mehrmals. Stolpergefahr hin oder her, ich wollte in dieses Haus.

Je näher man kam, desto mehr konnte man erkennen, dass es sich um eine alte Lagerhalle handelte und diese schon ein bisschen zerfallen war. Hier und da entdeckte man ein paar Schlingpflanzen, die sich an den Betonwänden hinaufränkelten und ein wenig den Eindruck eines Gewächshauses vermittelten.
Mit vereinten Kräften zogen wir die riesigen Türhälften auseinander und konnten in die gewaltige Halle endlich eintreten, klitschnass und frierend.

„Hört mir gut zu, wir bleiben zusammen und warten das Gewitter ab. Sollte es länger dauern, dann werde ich die Leuchtpistole benutzen.", verkündete der Lehrer und schloss eine der beiden Türhälften wieder, bevor er sich zu uns umdrehte. „Ruht euch jetzt aus."

Augenblicklich ließ ich mich auf den Hintern fallen und fuhr durch meine dunkelbraunen, ziemlich kurzen Haare. Wenige Momente später leistete mir auch schon Samuel Gesellschaft, der fluchend seine beschlagene Brille putzte.
„Schöne Scheiße.", murrte er und lauschte den lauten prasseln, als der Regen gegen das Dach des Gebäudes klatschte. „So habe ich mir mein erstes Mal mit einem Mädchen unter einem Dach nicht vorgestellt."

Brummend schüttelte ich den Kopf, lehnte mich erschöpft gegen die Wand und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie dieser Russe wieder mit dem Lehrer sprach. So neugierig ich auch war, meine Lider fielen fast schon automatisch zu.

Nicht wissend, morgen in einem Alptraum aufzuwachen, döste ich ein.

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