Kapitel 1 || Teil 3

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Ein lauter Schuss zerriss die matte Luft und ließ sämtliche Schüler, inklusive mich, erschrocken hochfahren. Den Schlaf schnell aus den Augen blinzelnd, bemerkte ich mehrere Dinge auf einmal und musste mit Entsetzen feststellen, dass nichts davon positive Eigenschaften besaß.

Die zwei Türflügel standen einladend weit offen und ließen eine gesunde Menge des aschfarbenen Lichts in die restliche Lagerhalle. Anscheinend war der Sturm vorbei, doch ein leichter Nieselregen prasselte verspielt auf das Dach und ließ mich wenige Momente wieder schläfrig werden. Wären da nicht die fremden Gestalten, die sich in mein Blickfeld drängten und mit irgendwelchen Dingern herumfuchtelten...

Ein weiterer Schuss, gefolgt von einem jämmerlichen aufheulen ließ mein Interesse dem Regen gegenüber endgültig fallen, und zwang mich praktisch aufzustehen. Mit einem leichten, dennoch auffordernden Stoß teilte ich Samuel mit, er solle das Gleiche machen. Die immer noch nassen Socken meinerseits gaben bei jeder Bewegung ein schlurfenden Geräusch von sich, als das heiße Wasser zuerst rausgepresst- und dann wieder eingezogen wurde. Ein widerliches Gefühl.

„Was ist da hinten los?", fragte ich flüsternd ein paar andere Schüler im Vorbeigehen, und brachte sie ebenfalls dazu aufzustehen. „Hey! Was ist da los? Herr Weber?"

Mehrere Personen stämmiger Statur hatten sich vor dem Ausgang aufgestellt und musterten deren unfreiwillige Besucher mit grimmigen- leicht amüsierten Blicken. Hin und wieder befeuchtete einer dieser Männer seine Unterlippe mit der Zunge, als ein hübsches Mädchen in die Nähe kam. In den Händen – und das beunruhigte mich am meisten – hielten sie beachtlich große Sturmgewehre, den Zeigefinger immer bereit zum abdrücken haltend.

Perplex lieferte ich mir einen langen Starrwettbewerb mit einen dieser Leute, bevor mein Blick hinter die Reihe wanderte und mir das Herz in die Hose rutschte.
Herr Weber lag leblos wie ein Sack Mehl da. Auf seiner Stirn zeichneten sich zwei Einschusslöcher ab und war wahrscheinlich auch der Grund des unsanften Weckens gewesen.

Ein Mädchen begann hysterisch zu schreien und hielt sich schluchzend ihre Hände vor den Mund, während es sich an den nächstbesten Jungen presste. Dieser wiederum schien eine ganz andere Art von Panikattacke zu haben, denn nasse Abdrücke bildeten sich auf seiner Hose, gefolgt von dem beißenden Geruch nach Urin.

„Сегодня наш счастливый день", ertönte plötzlich eine tiefe Stimme von hinten und zeitgleich drehten sich alle Schüler um, die geistig imstande dazu waren. „Wir hatten schon Sorge, dass nichts aus der monatlichen Lieferung wird. Doch anscheinend war uns das Glück hold und brachte eine gesamte Einheit von potenziellen Produkten zu uns."

Ein hagerer, ziemlich großer Mann schritt in einem gemächlichen Tempo auf uns zu und stützte sich dabei immer wieder auf den schwarzen Gehstock ab. Nur der Knauf am oberen Ende war silbern, leicht gebogen und mit etlichen Verzierungen versehen. Dunkles, dichtes Haar mit einigen weißen Strähnen fiel ihm gelockt bis zu den Schultern, umgab das bleiche Gesicht wie ein Kranz.

Ich schätzte ihn Mitte vierzig, verbiss mir aber ein Kommentar dazu.

Stattdessen lauschte ich mit geweiteten Pupillen den weiteren Anweisungen des Typs, und erfüllte diese ohne jeglichen Widerstand. Immerhin wollte ich nicht wie mein Lehrer enden und eine gute Chance würde sich schon noch ergeben.

Auf den Knien waren wir nebeneinander aufgereiht, hielten unsere Hände hinter den Köpfen und die Blicke gesenkt. Sämtliches Geschluchze wurde kalt ignoriert, und als ein Mädchen – Tabea – anfing bitterlich zu weinen, wurde sie nur mit einer festen Ohrfeige bestraft.

„Alle aufstehen und Hände hinter dem Kopf lassen. Außerhalb der Halle stehen mehrere Laster, in die ihr steigen werdet.", befahl der Mann uns und erntete dabei mehrere verängstigte Blicke. „Versucht ihr zu fliehen, werden wir euch abknallen, verstanden? Zwar wäre es eine Verschwendung von solchen hübschen Gesichtern, aber Gehorsamkeit müsst ihr früher oder später lernen."

Mit einem Nicken traten die jeweils mittleren Männer der Reihe zur Seite, und ließen uns nacheinander hinaus. Auf der einst noch ziemlich unbelebten Landstraße, tummelten sich drei kleine- und ein riesiger Laster. Ein Werbeplakat war an den Seiten Letzteres angebracht worden, doch ich erkannte das stabile Material des Fahrzeugs. Immerhin etwas gutes hatte es, wenn der Vater Kopf einer gewaltigen Autofirma war.

„Fasst mich nicht an!", kreischte plötzlich eine bekannte weibliche Stimme und ich wagte einen kurzen Blick über die Schulter. Fiona's Arme waren von zwei der großen Russen gepackt worden, weshalb sie sich tapfer mit den Beinen wehrte. Es brachte nichts, denn sie befand sich bereits in der Luft und wurde von den lüstern grinsenden Männern wieder in die Lagerhalle getragen. Dann schlossen sich dessen Türen.
In Dauerschleife schrie sie unerbittlich, jagte nicht nur mir eine Gänsehaut ein und verstummte dann auf einmal.

„Scheiße...", fluchte ich leise und befürchtete das Schlimmste. Auch Samuel schien mit dem Bedürfnis zu kämpfen, in Richtung Halle zu rennen, um nach dem Rechtem sehen zu können.

Diese verfluchte Ungewissheit war es, die mich am meisten mitnahm. Nicht die Tatsache, das mein unbeliebter Lehrer ins Gras gebissen hatte, oder das wir uns nun in der Gewalt von irgendwelchen Typen mit Sturmgewehren befanden. Es war schon geschehen, deswegen hatte ich damit abgeschlossen.
Weitaus störender fand ich die kläffende Leere, wenn ich versuchte herauszufinden, was in den folgenden Stunden geschehen würde. Wurden wir verkauft? Getötet? In ein Lusthaus gebracht?

Scheiße... was ist das für eine Freakshow?

Nachdem alle Schüler in kleinere Gruppen aufgeteilt worden waren, wurden wir in die Fahrzeuge verfrachtet und fuhren los.
Schweigend saßen wir da, außer mir noch Samuel, Nico und zwei Mädchen an deren Namen ich mich derzeitig nicht erinnern konnte. Keiner von uns wollte etwas sagen, auch wenn ein einziges, richtig gewähltes Wort diese bedrückende Stimmung sicher hätte bröckeln lassen können.

Entführt Where stories live. Discover now