Kapitel 2 || Teil 1

1K 51 6
                                    

Ich hatte mir nie wirklich Gedanken über meine Zukunft gemacht. Denn egal wie ich es drehte und wendete, für mich würde es immer rosig und gesichert enden. Dafür hatte nicht nur meine verstorbene Mutter gesorgt, deren Vermögen in meinem Erwachsenenalter automatisch auf mich übertragen wurde, sondern auch die erfolgreiche Firma meines Vaters. In dessen Fußstapfen wäre ich getreten, und hätte es ohne Anstrengung weit gebracht.

Aber Schule musste einen alles versauen.

Die Stille wurde nur von den Aussetzern des Motors unterbrochen, als wir schweigend im Lastwagen ins Ungewisse fuhren. Unschön klebte mein Gaumen auf der Oberseite meines Mundes, so viel Durst hatte ich bekommen. Doch anstatt meinen Rucksack zu packen, der unschuldig neben mir ruhte, machte ich keine unnötigen Bewegungen. Wahrscheinlich war die Aggressivität nicht das einzige, was diese Typen hier geladen hatten.
Hin und wieder wanderte mein Blick zur Seite, doch anstatt den eines anderen Schülers zu treffen, vernahm ich nur eine dicke Wolke.

Eine Wolke aus Angst.
Samuels eigentlich ziemlich große Klappe war verklungen, als die Sache mit Fiona stattgefunden hatte. Was für ein Trottel. Wir hatten jetzt keine Zeit für Liebe und Trauer!

Plötzlich stoppte es. Der Motor machte noch ein paar letzte stotternde Versuche, doch dann war es komplett ruhig. Meine Ohren noch immer von dieser dauerhaften Tortur dröhnend, blinzelte ich mir meine Benommenheit weg und starrte gebannt auf die Innenseite der Hintertüren. Keine zwei Herzschläge später wurden diese brutal aufgerissen und wir nach draußen gezerrt, nicht wirklich imstande Gegenwehr zu leisten. Bevor ich jedoch meine Augen auf die Umgebung richten konnte, wurde mir auch schon ein kleiner Sack über den Kopf gezogen.

Der beißende Geruch von getrockneten Blut und Erbrochenen stieg mir in die Nase, und ich musste mein würgen gezwungen unterdrücken. Hätte man diesen Sack nicht zuerst säubern können?

Grob packte man mich an beiden Armen und schliff mich - inklusive der anderen vier, wie ich an dem Geräusch der Schritte feststellen konnte. - über eine Art Platz. Warum Platz? Es war heiß, der Boden fühlte sich recht sandig und ein nervendes Summen nahm mein rechtes Ohr ein. Fliege, oder Tinnitus? Ich hoffte mal ersteres, womit sich mein Gedankengang auch weiter bestätigen würde.
Erst nach gezählten fünf Minuten wurde mit einem schrillen Quietschen irgendeine Tür geöffnet, und kaum innerhalb des Gebäudes spürte ich den starken Temperaturunterschied.

„Кто эти дети?", ertönte plötzlich eine weibliche Stimme von rechts und brachte mich dazu, meinen Kopf in diese Richtung zu neigen. Bringen tat es nicht wirklich was, aber Hoffnung starb zuletzt.

Einer von den beiden die mich festhielten, räusperte sich hustend. Der Gestank von Alkohol war fast schon bestialisch... Noch nie hatte ich geglaubt, dass man allein beim einatmen von etwas high werden könnte. Doch hier bestand definitiv die Chance.

„Рабы. Где босс?"

Plötzlich verlief alles recht schnell. Wir wurden weiter gezerrt und dann endlich unserer Säcke entledigt, als wir in einem kreisrunden Raum angekommen waren. Es erinnerte an ein Büro, war aber viel schmutziger und roch nach alten Mottenkugeln. Vor uns saß... ein glatzköpfiger Mann. Fremdes Gesicht, und damit noch nicht wirklich zu beurteilen.
Diese Meinung änderte sich aber schnell, als er den anderen befahl uns auszuziehen und wir dann vollkommen entblößt vor ihm standen.

Eines der Mädchen versuchte instinktiv ihre Brüste zu verstecken, bekam aber nur einen warnenden Tritt in die Kniekehlen und sank somit zu Boden. Wimmernd schlang sie ihre Arme um den zitternden Körper.
Der Mann schritt gemächlich auf uns zu, beäugte jeden Zentimeter unserer nackten Körper haargenau. Es kostete mich sehr viel Selbstbeherrschung ihn nicht ins Gesicht zu spucken, als er mein Gesäß musterte. Mit der Zunge schnalzend schüttelte er den Kopf und zeigte auf mich.

Augenblicklich wurden meine Arme wieder gepackt und hielten mich fest. Der Russe nahm mein Kinn und drehte meinen Kopf so in alle Richtungen, als wolle er irgendeinen Makel finden. Ich war nicht narbenlos, vielleicht war das der Grund der genaueren Inspektion?
Wie dem auch sei, dieses anfassen mit dem wurstigen Finger des Anderen brachte mein Fass schon fast zum überlaufen. Warnend zog ich meine Oberlippe zurück und setzte an, ein Unwetter von Schimpfwörtern loszulassen, als er weiterging. Nun lag seine Aufmerksamkeit bei Samuel.

Ich hätte ihn in den Finger beißen sollen.
Scheiße.

Nachdem der Typ wohl seine 'Zustimmung' gegeben hatte, wurden wir wieder nach draußen in den langen Gang gezogen.
Immerhin kein Sack mehr... aber auch keine Kleidung. Zart zeichnete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ab, als wir in den hinteren Teil des anscheinend sehr großen Gebäudes kamen. Hier waren einige Türen aufgereiht, Seite an Seite wie alte Kriegsgenossen.

Mit einem Schlüssel öffnete eine Frau das rostige Schloss einer dieser Türen, und wir wurden allesamt in eine Zelle gesperrt. Frustriert schlug ich mit der Faust gegen die Wand und ignorierte meinen nackten Zustand. So ein intimes Problem war mir gerade ziemlich egal. Ich wusste wie Brüste aussahen.
Was mir nicht ganz gefiel, war die restliche Situation in welcher ich mein Dasein verbrachte. Entführt von Russen, eingesperrt in einer Zelle und das ohne ein wirkliches Wort von denen verstehen zu können.

Hätten sie nur einen Dolmetscher, dann würde immerhin die Chance auf Verhandlung bestehen. Mein Vater war reich. Es bestand kein Zweifel darin, dass ich hier im Nu wieder rauskommen würde.

Nicht wahr?

Entführt Where stories live. Discover now