5. Dezember - Familie

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Heiligabend war wohl der einzige Tag im Jahr, an dem unsere ganze Familie zusammenkam. Manchmal konnten fünf Leute im Haus schon genug sein - ich hätte meinen älteren Bruder Max liebend gern gegen meine Cousine Mara eingetauscht, die für mich viel mehr eine Freundin als eine Verwandte war.

So kam es auch, dass ich diejenige war, die die Haustür aufriss, als es klingelte.

"Hübsches Kleid!", meinte Sophie, Maras große Schwester und zupfte an dem schwarzen Kleidungsstück, in das mir meine Mutter angedreht hatte. Ich hasste Kleider - ganz im Gegensatz zu Sophie, die das typische Klischee eines Mädchens fast perfekt erfüllte. Hätte sie mit Tieren sprechen können, ich hätte sie glatt für eine Disney-Prinzessin gehalten. Sie trat an mir vorbei in das Haus ein, wobei ihre Absätze auf dem Boden klackerten.

"Mia!", rief Mara, in deren Haaren sich feine Schneeflocken gesammelt hatten - dieses Jahr war das erste weiße Weihnachten seit langem. Sie erdrückte mich beinahe - es war ein Wunder, dass ich nach ihrer Umarmung überhaupt noch lebte.
"Keine... Luft... mehr!", keuchte ich und sie ließ mich schließlich los.
Mein Onkel lachte: "Unsere M&Ms glücklich vereint." Er benutzte diesen Spitznamen, seit wir vier waren und Mara hatte ihm allzu oft die Zunge herausgesteckt.

"Claudia!", rief Tante Evelin nach meiner Mutter. Vermutlich wollte sie die vier Keksdosen loswerden, die sie in den Armen hielt. Eigentlich müsste man meinen, sie hätte inzwischen gemerkt, dass die gefühlte Tonne Plätzchen, die sie jedes Jahr backte, viel zu viel war, doch stattdessen gab es zu dem Festessen, das meine Mutter gerade vorbereitete, noch so viele Plätzchen, dass nicht einmal mein Bruder sie alle essen konnte - und das wollte etwas heißen. Nun ja meine kleine Schwester Olivia hatte letztes Jahr den halben Nachmittag über dem Klo gehangen. Aber wer konnte es ihr übel nehmen, denn diese Plätzchen schmeckten verdammt gut!

Mein Vater, Olivia und Max saßen auf der Couch und schauten einen Märchenfilm an. Es war bei uns eine Art Tradition geworden. Das einzige Problem dabei war, dass es auf dem Sofa ziemlich eng werden konnte, wenn dort sieben oder acht Leute saßen.

Gerade wollte ich mich auf die Couch neben Mara fallen lassen, als es erneut an der Tür klingelte. Mein Vater wollte schon aufspringen, doch ich sagte: "Ich geh schon" und lief zur Tür. Er hatte in den letzten Wochen so viel Stress gehabt, da sollte er sich wenigstens an Weihnachten entspannen können.

Außerdem stand vielleicht das einzige Familienmitglied außer Mara vor der Tür, auf dessen Besuch ich mich wirklich freute. Oma Emma war eine Frau, die man vielleicht "Katzenlady" nennen würde, aber dann wäre ich vermutlich auch eine. Während sich Olivia und Max immer einen Hund gewünscht hatten, wollte ich immer eine Katze haben - Oma Emma hatte am Ende tatsächlich die Katze für mich durchgesetzt, etwas wofür ich ihr heute noch dankbar bin.

Manchmal hatte ich das Gefühl, Oma Emma war die einzige aus meiner Familie mit der ich tatsächlich verwandt war.

Doch nicht sie stand vor der Tür, sondern ihre jüngere Schwester Margareta. Alles in allem war sie vollkommen in Ordnung, bloß war sie der Ansicht, Mädchen müssten Kleider tragen. Ich hängte gerade ihre Jacke auf, als aus dem Wohnzimmer und der Küche gleichzeitig ein "Verdammter Mist!" ertönte. Meine Großtante stürzte in die Küche und mir schlug aus der Tür heraus der Geruch nach Verbranntem entgegen.

Es war nicht unbedingt die beste Idee mit meiner Mutter in einem Raum zu sein, wenn sie sich ärgerte (ich hörte schon, wie sie Margareta anschrie, obwohl die ja gar nichts für dieses Missgeschick konnte), also ging ich ins Wohnzimmer, um nachzusehen, was dort passiert war.

"Da gibt's einmal im Jahr was Ordentliches zu essen und dann lässt sie's anbrennen!", hörte ich meinen Bruder meckern.
Das ließ sich mein Vater allerdings nicht gefallen: "Max, sei still! Du erzählst mal wieder Dinge, die gar nicht stimmen und überhaupt.."
"Ich will eure Unterhaltung ja nicht stören, aber was genau ist "verdammter Mist"?", unterbrach ich ihn.
"Emma steht im Stau. Sie kommt erst in einer Stunde."
'Na toll!', dachte ich mir und setzte mich neben Mara. "Ich glaube, ich brauche erstmal 'n Plätzchen."
"Bedien' dich!", sagte Mara und verdrehte die Augen. "Es sind genug da." Wie recht sie hatte - auf dem Couchtisch standen drei große Teller voller Weihnachtskekse.

Das Abendessen fiel eher spärlich aus, schließlich war die Hälfte angebrannt. Nachdem wir uns zumindest einigermaßen satt gegessen hatten, wurden wir Kinder rausgeschickt, um im Hausflur die Zeit bis zur Bescherung abzuwarten.

Mara, die neben mir auf der Treppe saß, wippte die ganze Zeit vor und zurück. Olivia spielte mit dem Rock von Sophies weißem Kleid, in dem sie mit ihren langen blonden Haaren wie ein Engel aussah. Max lief, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, im Flur auf und ab.
"Kannst du vielleicht mal damit aufhören? Du machst mich total irre!", blaffte ich ihn an. Eigentlich hatte ich gar nicht so wütend klingen wollen, aber das Ganze zeigte immerhin Wirkung und Max stellte sich in die Ecke.

Auf einmal klingelte es an der Tür, worauf ich öffnete: Oma Emma war endlich angekommen. Ich umarmte sie ganz fest und wäre ich noch nicht 14 Jahre alt gewesen, dann hätte sie mich einmal im Kreis gewirbelt.

"Wartet ihr etwa schon auf die Bescherung?", fragte sie, während sie ihren dicken Wintermantel auszog und wir nickten. Doch statt das Wohnzimmer zu betreten, blieb sie bei uns. "Da fühlt man sich gleich wieder wie ein Kind.", meinte sie.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ertönte der Klang einer Glocke und wir durften die Stube betreten. Im Hintergrund erklang "Oh du Fröhliche" und der Weihnachtsbaum leuchtete schöner als jeder Stern.

Olivia saß wie immer direkt an der "Quelle", las die Namensschildchen und überreichte jedem sein Geschenk. Es war schön auf dem Boden zu sitzen, Päckchen auszupacken und den anderen dabei zuzusehen, bis wir am Ende des Abends alle elf auf dem Sofa saßen. Wir aßen Plätzchen, redeten über dies und das und lachten gemeinsam.

Am Ende war es egal, dass das Essen angebrannt war und Oma Emma im Stau gestanden hatte. Das wichtigste war, dass wir alle zusammen waren.



Das ist ein bisschen eskaliert...

Ich wollte nicht 1000 Worte schreiben, aber es ist irgendwie passiert.

Habt ihr eigentlich eine Weihnachtstradition in der Familie?

~Sarah

Wie man eine Welt in Lametta einwickelt- Adventskalender 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt