chapter thirty-six

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Etwas rüttelte an meiner Schulter und ich nahm viele Geräusche wahr.

»Melli... Melli, wach auf.« flüsterte Harry, während er meinen Arm berührte.

»Was, wie... spät ist es?« nuschelte ich vor mich hin und war gerade wieder dabei einzuschlafen, als mich ein Satz von Harry die Augen aufreißen ließ.

»Melli das Krankenhaus ruft an.« sagte er und deutete auf das Handy, welches auf dem Nachttisch vibrierte.
Ich richtete mich augenblicklich auf und nahm es.

»Hallo?« nahm ich den Anruf an und mein Herz raste.

»Spreche ich da mit Sifford? Melanie Sifford?« hörte ich die Stimme, einer jungen Frau fragen.

»Ja, das bin ich!« sagte ich voller Hoffnung, die Stimme würde mir sagen, dass Sam wach war.

»Der Zustand Ihrer... Freundin Samatha hat sich drastisch verschlechtert. Wir sind dazu verpflichtet Sie und Miss Gabin, als erste Ansprechpersonen, umgehend darüber zu informieren. Wir bitten Sie, insofern es Ihnen möglich ist, ins Krankenhaus zukommen.«

»Ich... Ich bin sofort da.«
Ich legte auf, warf mein Handy achtlos auf das Bett und sprang auf. Tränen strömten über mein Gesicht, während ich mir einfach nur eine Jeans anzog und Jacke und Schuhe überstreifte. Ich krallte meinen Schlüssel und mein Handy und stürmte aus dem Zimmer. Harry folgte mir dicht, ebenfalls nur mit dem nötigsten bekleidet. Ich rannte zur Tiefgarage und setzte mich ins Auto.
Während der Fahrt hatte ich zum ersten Mal die Uhrzeit gesehen, drei Uhr siebzehn.

Innerhalb von weniger als fünf Minuten, kamen wir beim Krankenhaus an und mir wurde bewusst, dass ich sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen überschritten haben musste.
Ich rannte so schnell wie noch nie in meinem Leben durch die Garagen und drückte tausend Mal auf den Knopf der Aufzüge, in der Hoffnung, sie würden so schneller kommen.
Harrys große Hand griff meine kleine und verschränkte unsere Finger, während er beruhigend darüberstrich. Seitdem Anruf, flossen mir ununterbrochen stumme Tränen über mein Gesicht.
Wir stiegen an der sechsten Etage aus und ich rannte zu Sams Zimmer, ohne dabei Harrys Hand loszulassen. Ich öffnete die Tür und dahinter befanden sich zwei Ärzte, drei Schwestern, Camila und daneben Thomas. Camilas Gesicht war mit Tränen übersäht und sie trug eine schwarze Nike-Leggins, von der ich wusste, dass sie eigentlich immer in ihr schlief. Harry und ich betraten den Raum.

»Ich würde die zwei Herrschaften bitten, den Raum vorerst zu verlassen.« sagte einer der Oberärzte zu Harry und Thomas.
Der Grünäugige drückte mir einen Kuss auf die Lippen, der sich anfühlte, wie eine Stärkung und verschwand mit Camys Freund aus dem Zimmer.
Ich stellte mich neben Camila und griff nach ihrer Hand, sie verschränkte unsere Finger ineinander.

»Miss Gabin, Miss Sifford.« begrüßte man uns.

»Es tut uns leid, dass wir Sie um diese Uhrzeit wecken mussten, aber wir sind dazu verpflichtet, da sich Samanthas Zustand radikal verschlechtert hat.« sagte der größere der zwei Männer im Kittel.
Weiterhin standen wir händchenhaltend und stumm weinend da.

»Seit ein Uhr einundzwanzig kämpfen wir mit ständigen Reanimationen. Miss Karwood hat in fast regelmäßigen Abständen starkes Kammerflimmern und ihr Herz droht, jede Sekunde auszusetzten. Wir haben schnell gehandelt und alles getan, was in unsere Macht steht, aber ihr Herz macht ihren jetzt schon zu viel zu lang anhaltendenden Zustand nicht mehr mit. Jetzt stehen wir vor einer Frage mit zwei möglichen Lösungen.« erklärte uns der Arzt und immer mehr Tränen flossen meine Wangen hinab.
Camila drückte meine Hand fester und ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, um nicht zu kreischen.

»Wir könnten jetzt warten, bis ihr Herz mehr Infarkte durchmacht und sich irgendwann nicht mehr rehanimieren lässt, oder wir könnten sie von ihrem Leid befreien und die Geräte abstellen lassen.« sagte der Arzt und mir wurde schwindelig.
Camila drückte meine Hand und sackte neben mir auf die Knie. Ich stand einfach kopfschüttelnd da und starrte den Mann ungläubig an. Er durfte als Arzt nicht unsere Entscheidungen beeinflussen. Wieso sprach er so?

»Wir wissen, dass es eine sehr schwere Situation für Sie ist, aber Sie müssen eine Entscheidung treffen. Miss Karwood, Sam, hat Sie eintragen lassen, für genau solch einen Moment wie diesen. Sie hatte Vertrauen in Sie.« sagte nun der zweite Arzt und ich verstand gar nichts mehr.
Meine Welt brach vor meinen Augen in sich zusammen, in tausende kleine Stückchen.

»Ich will nicht, dass sie leidet!« kreischte Camila unter Tränen und hielt sich die Hände an den Kopf.

»Sie müssen sich der Entscheidung beide einig sein und wir dürfen nichts machen, bevor Sie beide nicht etwas unterzeichnen.«
Ich nickte und streckte die Hand aus, obwohl ich eine vollkommen verschwommene Sicht hatte. Mir wurde ein Klemmbrett und ein Stift in die Hand gedrückt, ehe ich zu Camila auf den Boden sank.
Ich konnte nichts außer das weiße Papier vor mir erkennen, während ich hilfesuchend zu den Ärzten und Schwester aufblickte. Einer der Ärzte bückte sie zu uns nach unten und setzte meine Hand, in der der Stift war, zu der Stelle, wo ich unterschreiben musste. Ich gab Camila den Stift und der Mann im Kittel führte auch ihre Hand zu der Lücke für die Unterschrift.
Jemand kam rein und alle verließen das Zimmer.

»Es tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte. Ich war mitten in einer Operation.« hörte ich die Stimme von Robert.
Er war der Arzt, der Sam operiert hatte und die vorherigen Wochen Camila und mir immer laufend erklärt hatte, wie es um ihren Zustand stand.

»Es war die richtige Entscheidung.« sagt er zu uns.
Camila und ich saßen am Boden und weinten beide händchenhaltend.

»Okay, ich werde euch jetzt erklären, was passiert, damit ihr mir glaubt, dass Sam nichts spüren wird und in Frieden von uns gehen wird.« sagte er und ich versuchte ihm noch etwas Aufmerksamkeit zu schenken.

»Wenn ich die Maschinen abschalte, wird sie nicht mehr beatmet. Sams Gehirn wird zu wenig Sauerstoff bekommen und ihr Herz wird nicht mehr wissen, was es tun muss. Es wird aufhören zu schlagen. Das könnte ein paar Sekunden oder Minuten dauern.« sagte er.
Er kam auf uns zu und reichte mir als auch Camila die Hand und zog uns hoch.

»Ihr solltet am besten jetzt noch sagen, was ihr Sam noch sagen wollt.«
Camila und ich stellten uns an das Bett und griffen nach Sams Händen, die immer noch eiskalt waren.

»Sam, wir lieben dich über alles... Niemals werde ich dich vergessen, nie. Du warst immer unsere bessere Hälfte... Du...« ihre Stimme brach ab und sie fiel über Sams Körper in sich zusammen.

»Ich bin dir dankbar, für jede... Für jede Sekunde die wir zusammen hatten. Für jedes gemeinsame Lachen für jede... jede gemeinsame Träne. Ich liebe sich Sam. Ich... liebe dich so sehr...« sagte ich und legte meinen Oberkörper, so wie Camila, auf den von Sam.
Ich bekam keine Luft mehr, alles drehte sich und meine Beine waren komplett weich.

»Seid ihr bereit?« fragte Robert und weder Camila noch ich zeigten eine Reaktion.

»Ich werde jetzt diesen Hebel hier umlegen.« sagte Robert und zeigte anscheinend auf etwas. Als Antwort bekam er nur lautes Weinen.
Ich hörte ein leises Klicken und die Lichter aller Geräte und Bildschirme gingen aus, außer das von dem Monitor, auf dem ihr Herzschlag war.
Meine ganze Welt brach mit jedem Piepen, was ertönte, ein Stück mehr in sich ein. Jedes Piepen, bedeutete ein Herzschlag weniger, den Sam noch hatte. Jedes Piepen war, wie als ob man mir ein Messer in die Brust rammte, jedes Mal, wenn es piepte. Ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, aber das Piepen wurde langsamer.
Camila und ich weinten lauter und drückten unsere und Sams Hände. Das Geräusch verlangsamte sich und wurde langsamer und langsamer. Es waren nur Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten. Ich drehte meinen Kopf zum Monitor, auf dem ich nur einen verschwommenen Strich sah, der nach oben und unten ging.
Plötzlich kam der Moment, in dem der Boden unter meinen Füßen weggerissen wurde. Das Piepsen wurde zu einem langen Ton, der sich bewegende Strich, zu einer gerade Linie.
Der Ton war ein eintöniges und durchgehendes Piepen, welches sich in meinen Kopf brannte. Man hörte ein erneutes Klicken. Das Piepen verschwand, der Monitor auf dem ein Herzschlag war, war aus. Robert verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Samatha Karwood starb in dieser Nacht, im Alter von zwanzig Jahren, an einem Herztod. Mit ihr, starb ein Teil von mir.

love destroyed through glory | [H.S.]Where stories live. Discover now