05: Like flames

8 1 0
                                    

Als Ferrah wieder aufwachte war es laut. Der Lärm von klappernden Tellern und schabendem Besteck, von aneinander stoßenden Tassen und Gläsern, von dem Geplapper einer großen Menge an Menschen und von dem regelmäßigen wegschieben der Stühle. Sie fragte sich wieso es so laut war. Hatten ihre Eltern die gesamte Verwandtschaft eingeladen? Seufzend öffnete sie die Augen und kniff sie wegen der Helligkeit sofort wieder zusammen. Langsam gewöhnte das Mädchen an das Licht und setzte sich mühsam auf. Alle Gelenke fühlten sich an als wären sie aus verrostetem Metall und müssten erst geölt werden, bevor sie sich bewegen konnte. Vor allem die Hand und Fußgelenke taten ihr weh, was wahrscheinlich an den roten Riemen lag, die sie entdeckte. Vollkommen verwirrt fragte sie sich, wo sie die wohl herhatte.

Dann erst fiel ihr auf, dass sie gar nicht in ihrem Zimmer war und plötzlich erinnerte sie sich wieder. An den schwarzbemantelten Mann, die vermeintliche Rettung und dann die Entführung hierher. Und an die Spritze. Bei dem Gedanken an die lange Nadel erschauerte sie und rieb sich mit einem ekelndem Gesichtsausdruck über den Arm. Dann stand Ferrah schwerfällig auf und stütze sich am Bettgestell ab, ehe sie langsam auf das große Fenster zuging, dass den Ausblick in die Stadt schenkte. Und der Ausblick war sensationell, wirklich atemberaubend. Man konnte von hier aus über den Großteil der Stadt gucken, doch egal wie wunderschön es hier war, das Wissen über den Ort und wofür er da war, trübte die Sicht und sie trat in dem Moment vom Glas weg, als sich die Tür öffnete und ein Junge ins Zimmer kam. Seine Haare waren verstrubbelt, seine Kleidung zerfetzt und seine Laune anscheinend im Keller. Denn der Blick mit dem er sie bedachte, war nicht gerade als freundlich zu definieren. Er schien in ihrem Alter zu sein, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Entweder waren hier noch mehr gefangen gehalten oder er gehörte zu denen aber sie war sich nicht sicher, welche Option die schlimmere wäre.

"Essen", knurrte er. Ferrah sah ihn verwirrt an. Als sie sich nicht bewegte, seufzte er und fuhr sich genervt durch die Haare.

"Es gibt Essen", er deutete aus der Tür hinaus. "Dort, in der Mensa." Dann sag er sie abwartend an. Sie fühlte sich nicht wirklich wohl bei seiner Musterung, aber sie wollte es ihm nicht zeigen. Er schien niemand zu sein, der Schwäche mochte.

Also stampfte sie an ihm vorbei aus dem Raum, nur um geschockt stehen zu bleiben. Es war schon eher ein Saal, statt eines einfachen Raumes. Von der hohen Decke hingen mehrere Lampen neben denen, die schon direkt angebracht waren. Es standen fünf lange Tische mit zugehörigen Stühlen vor ihr, aber nicht voll besetzt. Alles war in einem modernen weiß, grau oder schwarz gehalten und Schränke, die an den Wänden zwischen den zahlreichen Türen standen, waren die einzigen Farbkleckse in der Mensa. Während sie noch da stand, war es leise geworden und jeder der wenigen Anwesenden sah sie an.
Ungeduldig trommelte der Junge hinter ihr mit dem Fuß auf den Boden, eher es ihm anscheinend reichte und er Ferrah am Arm packte und zu einem leeren Platz zog.

"Du hast nachher genug Zeit diese tolle Umgebung zu begutachten." Sein Ton war harsch und es klang sogar so, als würde er Wut unterdrücken, aber wahrscheinlich täuschte sie sich. Warum sollte er wütend sein? Sie hatte ja nichts getan. Und doch fühlte sie sich schuldig und elendig. Sie glaubte mittlerweile nicht mehr, dass er ein Wächter sein könnte, eher passte er ihn diese Gruppe.

Er schloss die Tür eher er sich mit verschränkten Armen vor sie setzte und sie anstarrte. Ferrah wusste, dass er nicht so der gesprächige Typ war, aber sie hatte so viele Fragen und irgendwer musste sie ja doch beantworten.

"Wer bist du?", fing sie mit einer harmlosen Frage an. Es interessierte sie, wer dieser Typ war und warum er hier war. Doch er starrte sie nur weiter an, zuckte nicht mal mit der Wimper.

"Warum bist du hier? Und was ist das hier überhaupt? Kann man hier wieder weg? Was machen die mit uns? Wer sind die eigentlich? Wo sind wir? Was i-." Ferrah wurde so abrupt von ihm unterbrochen, dass sie zusammen zuckte und ihn mit großen Augen ansah. Er schlug so heftig auf den Tisch, dass Ferrah Angst hatte, er würde jeden Moment entzwei brechen. Das dumpfe Geräusch des Schlages hallte noch nach, als er sich gefährlich nah nach vorne lehnte und sie stechend musterte.

"Du kommst hier verdammt nochmal nicht raus, und du solltest es lieber nicht ausprobieren, es sei denn, du willst gefoltert werden oder so. Wo du bist, brauchst du also nicht zu wissen, was sie mit dir machen, erfährst du früh genug, und was das hier ist... Tja, du wirst es herausfinden. Und jetzt, verdammt noch mal - lass mich in Ruhe, Mädchen!" Damit stand er auf und ging. Ferrah sah ihm nach, unentschlossen ob sie jetzt beleidigt sein sollte, wegen seinem schroffen Ton oder ob sie Mitleid haben sollte, denn anscheinend hatte er etwas erlebt, dass ihn wütend machte. Plötzlich stand er neben ihr und sein Atem streifte ihren Hals und es bildete sich eine Gänsehaut, als er sich bückte und ihr etwas ins Ohr flüsterte: "Jonah, das ist, wie ich heiße." Dann verließ er den Raum tatsächlich. Noch fassungslos starrte sie die Tür immer noch an, selbst als sie wieder geschlossen und Jonah nicht mehr zu sehen war. Was war das denn bite gewesen? Mit Erschrecken stellte sie fest, das die Stelle, an der sein Atem ihre Haut gestriffen hatte, immer noch brannte, als würde sie in Flammen stehen. Verwirrt fuhr sie über die Stelle, verzweifelt versucht, das unbekannte Gefühl unter Kontrolle zu kriegen. Was immer es war, sie wollte mehr aber gleichzeitig wollte sie es auch nicht.

Und trotzdem - diese Art mit ihr zu reden, sie als etwas minderwertigeres zu betrachten und wie Dreck zu behandeln, erinnerte sie an Alex. Jonah war genau so und doch anders. Dass er ihr am Ende seinen Namen doch noch verraten hatte, warf ihr ganzes Bild über ihn über den Haufen. Es widersprach dem, was er offenbarte, was nebenbei bemerkt ja nicht gerade viel war. Der Gedanke an Alex ließ sie frösteln und das Bild ihres betrunkenen Bruders drängte sich ihr auf. Sie fröstelte und rieb sich über ihre verpannten, zitternden Arme. Sie versuchte mit einer konzentriert ruhigen Atmung ihr Herz unter Kontrolle zu bekommen und wieder ruhiger zu werden, musste ja nicht jeder wissen, was in ihr vorging.

Die Bewegung holte sie zurück in die Realtität und mit einem Schlag erkannte sie, dass sie wirklich jeder anstarrte. Einige zeigten ihre Neugierde gerade heraus, oder ihre Abscheu oder Misstrauen ihr gegenüber. Andere wirkten so, also wären sie ihr freundlich gesinnt und so atmete Ferrah zumindest kurzweilig auf, vielleicht konnte sie so Anschluss finden. Nicht dass sie vorhatte, hier zu bleiben, aber so wäre es erträglicher und Freunde konnten nie schaden.

Mit einem Mal erklang eine Art glockenähnlicher Klang und Ferrah erschrack zu Tode. Panisch sah sie sich um. Was hatte das zu bedeuten? War etwas passiert?
Als alle jedoch ruhig aufstanden, ihre Tablets nahmen und zum Ausgang maschierten, beruhigte sie sich etwas, auch wenn sie immer noch misstrauisch war. Sie blieb sitzen, was sollte sie auch sonst tun? Sie zermürbte sich den Kopf darüber, was für ein Ort das hier war, was man mit ihr vorhatte und ob sie hier jemals lebendig rauskam, so dass sie die junge Frau, die energisch auf sie zu kam, nicht hörte. Erst als besagte Frau mit flacher Hand auf den Tisch schlug schreckte Ferrah auf. Ihr Puls raste und ängstlich drückte sie sich an den Stuhl. Es war die Frau, die sie vor dem Ekel-Typ bewahrt hatte. Aber auch die, die sie ohne zu zögern ihm wieder ausgeliefert hätte. Wie ein verschrecktes und scheues Reh schaute sie zu der berechnend grinsenden Frau auf.

[Jonah & Ferrah] Die Natürlichen - Im Kampf gegen das Dunkle Where stories live. Discover now