2. Kapitel

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Für eine Mutter gibt es kein schlimmeres Leid, als ein Kind zu verlieren. Nichts.... Ich erinnere mich noch gut daran, dass Mama viel geweint, kaum gegessen hat und auch kaum mit jemandem gesprochen hat.

Bei uns in der Wohnung herrschte durchgehend eine grausige Stille.

Das erste Jahr nach diesem schrecklichen Vorfall gingen wir beide in Therapie. Zuerst jeden Tag für eine Stunde, dann nur noch einmal die Woche und letztendlich einmal im Monat. Es half uns, keine Frage.

Manchmal erwische ich mich auch heute noch dabei wie ich darüber nachdenke wie mein Leben wohl mit Stella weitergegangen wäre. Wie wäre es, wenn durch unsere leise Wohnung, ein aufgewecktes, zweijähriges Kind tapsen würde, das so viel lachte? Man würde auf den Spielplatz gehen können, mit ihr malen und singen können...
Immer, wenn diese Gedanken kamen, fühlte sich mein Herz schwer an. Es hätte so schön werden können... Aber man konnte das Schicksal nicht verändern. Es war so wie es war und man konnte es nicht ändern.

Wenigstens weinte niemand von Mama und mir mehr. Wir waren halbwegs über den Tod meiner Schwester hinweggekommen und hatten eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, in Selbstmitleid zu versinken. Wir trauerten zwar immer noch um Stella (und ich fürchte, dass werden wir noch unser ganzes Leben tun), aber zumindest war unser Leben wieder normal. Ich besuchte die Schule und in einem halben Jahr... Ja... Dann würde ich meine Abiturprüfungen schreiben. Stella wäre stolz auf mich gewesen. Das wusste ich, obwohl ich sie nie wirklich gekannt hatte. Oder doch? Eigentlich fühlte es sich so an, als hätte ich sie doch gekannt. Irgendwie und auf irgendeine merkwürdige Art habe ich sie gekannt. Manchmal träumte ich von ihr. Zumindest glaubte ich, dass sie es war. Wer sollte es sonst sein? Im Traum hatte ich ein Mädchen gesehen, vielleicht neun Jahre alt. Mit langen, braunen Haaren, großen dunklen Augen, vollen Lippen und gehobenen Wangenknochen. Sie saß in einem langen, weißen Sommerkleid, welches wie ein Geist um ihre nackten Fußknöchel, die hell in der Sonne glänzten, schwebte, auf einer riesigen Schaukel mitten im Wald und ihr Kleid und ihre Haare flatterten im Wind. Es wirkte märchenhaft auf mich. Als wäre sie eine Prinzessin.

"Pat?"

Ich öffnete die Augen und blickte direkt in die braunen eines Mädchens. Kurz schrak ich zusammen. War sie es? Diese braunen Augen, sie kamen mir so bekannt vor.

Aber es war nur Chloe. Sie runzelte die Stirn, während ich kurz den Kopf schüttelte, um den Gedanken von Stella, der sich in meinem Kopf festgebissen hatte, loszuwerden. Stella existierte nicht. Stella existierte nicht. Stella e- Mein Atem ging schnell.

"Alles okay bei dir?"

Ich hörte Chloe, aber irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, sie verstehen zu können. Es war, als stände sie hinter einer Wand. So dick zwischen uns,  dass man sie undeutlich hören konnte. Oder dass das was gesagt wurde, einfach nicht zu einem durchdrang.  Ja, so musste es sein. Mein Kopf war plötzlich schwer wie Beton und ich drehte mich schwertrunken um zu Chloe. "H-hast du etwas Wasser da?", fragte ich sie.

Das Mädchen holte mir ein Glas Wasser und nachdem die kühle Flüssigkeit meine Zunge berührt hatte, ging es mir auch schon besser. Als würde ich mit dem Wasser diesen komischen Traum herunterschlucken. Mein Glas war recht schnell leer. Doch wenigstens war ich mit meinen Gedanken jetzt wieder vollkommen bei Chloe und der Planung für den Abiball.

Da sie die Nichte der Schulleiterin war und sich für den anstehenden Ball begeisterte, durfte sie mitplanen und hatte mich dafür zu sich nachhause eingeladen. Mich, ihren besten Freund. Eigentlich machte ich mir nichts aus Bällen. Es war viel zu viel Druck, der dort auf einem lastete, dass man hübsch aussehen und tanzen können musste. Dennoch hatte ich zugesagt, um mich ein bisschen auf andere Gedanken zu bringen, was so gar nicht geklappt hatte.

Chloe schaute besorgt, doch als sie merkte, dass ich über meinen komischen Anfall eben nicht reden wollte, ließ sie von mir ab und widmete sich wieder der Planung.

"Meinst du, wir sollten so richtig Oldshool ein Ballkönigspaar wählen lassen?", fragte sie und ihre honigbraunen Augen leuchteten begeistert. "Und die kommen dann auf die Bühne, dürfen eine Dankesrede halten, ein Glas Sekt trinken und bekommen ein Geschenk? Das wäre ja mega! Hast du eigentlich schon eine Tanzpartnerin?"

"Ich? Nee...", nuschelte ich und knackte, noch etwas neben der Spur, mit meinen Fingern. Im Moment hatte ich wirklich andere Sorgen, eine Tanzpartnerin passte gerade echt nicht in meinen Kopf.

"Beeil dich lieber, Pat.", meinte Chloe streng und tippte wieder irgendwas auf ihren Laptop. "Sonst sind die Besten schon weg. Ich dachte, vielleicht könnte Sina zu dir passen. Oder Mareike. Oder doch Fiona? Es ist nicht zu übersehen, dass alle drei ein Auge auf dich geworfen haben. Und sie sind hübsch und beliebt. Genau wie du."

Ganz unterbewusst begann ich zu lächeln. "Ich bin weder hübsch noch beliebt, Chloe.", widersprach ich, meine Brust glühte dennoch auf wegen des Kompliments.

Sie grinste. "Du bist einer der hübschesten Jungs der ganzen Schule. Ich wette, ein Haufen Mädels würde dich gerne mal daten. Und das macht dich beliebt. Außerdem bist du freundlich, gefühlvoll und sportlich. Ein wahrer Mädchenschwarm."

Grinsend rückte ich näher zu ihr. "Ein Haufen Mädels sagt die Chloe?", Ich grinste noch ein Stückchen breiter. "Und was ist mit Chloe selbst? Gehört sie auch zu diesem Haufen?"

Nun fing Chloe an, zu lachen. "Spinner!", rief sie und schon hatte ich ein Kissen in meinem Gesicht. Lachend nahm ich es und schleuderte es zurück und wenige Sekunden war eine Kissenschlacht entfacht. Ich war Chloe so unendlich dankbar. Sie war einfach eine wahre Freundin, mit ihr konnte man lachen. Sie lenkte mich ab. Obwohl mir seit Stellas Tod so viel Scheiße durch den Kopf ging. Wäre Chloe nicht da, wäre ich vermutlich verloren. Aber sie war da. Mit so viel Lebenslust und Optimismus. Und das, trotz der Scheiße, die sie in ihrem Leben schon erlebt hatte.

Manchmal fiel einem der Schatten in ihren Augen auf. Dieser dunkle, bedrohliche Schatten über dem sanften Goldbraun ihrer Augen. Der Dreck auf ihrer hellbraunen Haut, die Dunkelheit in ihrern schwarzen Haaren. Chloe war halb Deutsche, halb Irakerin. Ihre Mutter hatte ihren Vater in Paris im Urlaub kennen gelernt, sie hatten sich verliebt und waren in den Irak gezogen, wo Chloe geboren war. Den Rest konnte man sich wahrscheinlich schon denken.

Und deshalb war ich immer so fasziniert wie Chloe durch das Leben ging. Der Blick immer motiviert in die Zukunft. Immer ein Lachen auf den Lippen. Von ihr konnte sich jeder eine Scheibe abschneiden. Auch ich.

Völlig außer Atem fing ich das Kissen, was mir Chloe jetzt entgegen schmetterte. "Sag mal... Wie wäre es mit uns? Wir könnten zusammen zum Ball gehen. Natürlich als Freunde. Aber ich habe keine Lust auf eine Tanzpartnerin, die sich dann einbildet, ich will was von ihr. Du bist meine beste Freundin, Chloe... Es könnte ein schöner Abend werden...". Bettelnd sah ich sie an.

"Tut mir Leid, Paddy. Aber ich hab schon eine Verabredung...", murmelte sie und blickte entschuldigend zu mir.

Ein kleiner Stich funkte durch mich, doch er verschwand so schnell wie er gekommen war. "Oh... Okay. Kein Ding, ich... Ich frag dann einfach Sina..."

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Ich hab es endlich mal geschafft, einen Part hochzuladen.

Seid stolz auf mich xD

Wie hat euch der Part gefallen? <3

-gebackene Zucchini


Zitat des Tages:

"Ich bin nicht mehr die, die ich mal war. Ich glaube, die Leute sehen es mir an."

- Rachel (gespielt von Emily Blunt) in "The girl on the train"

Brüder küssen sich nicht. || KÜRBISTUMOR Where stories live. Discover now