6. Kapitel

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Ich denke jeder kennt es, wenn man sich einfach leer fühlt. Ich war in diesem Moment weder traurig, noch glücklich, nicht sauer, nicht besorgt. Einfach nur leer. Wie sollte ich mich auch fühlen? Mein Leben machte gerade eine Talfahrt, der Waggon bretterte nur regelrecht nach unten. Aber ich hatte nicht die Kontrolle, ihn anzuhalten. Das sollte ich aber auch nicht. Hinter jedem Tal lag ein neuer Berg. Der Weg hoch war steil und es ging nicht so leicht wie nach unten, doch wenn man einmal oben war, spürte man den frischen Wind in den Haaren, hatte eine unglaubliche Aussicht über alles, was hinter einem lag, die Täler und Berge. Doch vor einem verschwand alles im Nebel. Niemand konnte wissen, ob es weiter nach oben ging, ob man noch eine ganze Weile dort oben fliegen würde oder ob nach der nächsten Kurve eine neue Talfahrt begann.

Vielleicht war es auch besser so.

"Hey Paddy.", mit einem langen Gähnen ließ sich Chloe mir gegenüber auf einen Stuhl fallen. Ihre Augenringe hingen beinahe in ihren Kniekehlen und ihre braunen Augen waren untypisch matt. Dennoch hatte sie die Mundwinkel leicht nach oben gezogen und schob mir einen dampfenden Pappbecher vor die Nase. "Guten Morgen...", murmelte ich und nahm den Becher dankbar an, während sie wie jeden Morgen einen pinken Strohhalm in ihren Kaffee tauchte. "Schwarz mit einem Stück Würfelzucker", sagte sie und blickte mich an. "So wie du es magst." "Danke. Du bist die Beste." Ich nahm einen Schluck des Kaffees. Er war heiß. Schon so, dass es auf der Zunge brannte. Perfekt, das hatte ich gebraucht. Sofort nahm ich noch einen Schluck.

"Du hast den echt nötig. Du siehst scheiße aus.", stellte sie fest und lehnte sich zurück, während sie den Kaffee sehr geräuschvoll durch den Strohhalm schlürfte. "Du solltest dich mal sehen." Ein leichtes Grinsen schlich sich auf meine Lippen, "Ein Wunder, dass du überhaupt ein Date abbekommen hast." Der Glanz in Chloes Augen war wieder da.

"Du bist ein Scheißhaufen, Patrick Mayer.", lachte sie und mir kam es vor, als wären die Augenringe schon ein bisschen verblasst. "Wieso so früh hier?"

An das Blubbern im Hintergrund, wenn Chloe Luft in den Strohhalm pustete und ihr Kaffee fast überschwappte, hatte ich mich schon gewöhnt.

"Sascha. Er will mich jetzt in die Familienplanung miteinbeziehen." "Aber das ist doch super.", blubberte Chloe. "Oder etwa nicht?" Darüber musste ich erstmal nachdenken. Meine beste Freundin hatte Recht. Es war super. Sascha war mir einen Schritt entgegengegangen, er hatte uns Drei eine Familie genannt. Irgendwie machte mich das gerade total glücklich. Warum hatte ich ihn nur stehen lassen? Das war unreif gewesen. Und ganz plötzlich tat mir mein Stiefvater Leid. Er versuchte das Beste für uns alle und ich verhielt mich wie ein dummes, egoistisches Kind. Ich befand mich nicht in einer Talfahrt. Stellas Tod war das Tal gewesen, aber mit jedem Tag, wo es weniger weh tat, kraxelte der Waggon ein Stück weiter nach oben. "Warum bist du nur so klug?", fragte ich und sah Chloe an, mir ging es irgendwie viel besser als schon heute Morgen. "Ich kanns halt.", grinste diese verschmitzt. "Deshalb also das Date für den Ball. Sieht aus wie ein Scheißhaufen, ist aber so klug wie Chloe.". Ich beobachte sie neckisch und sie beugte sich grinsend zu mir vor: "Was für eine Weisheit, Einstein. Ich bin so klug wie ich. Sehr weise du bist."

"Nicht die Yoda-Karte spielen du darfst.", entgegnete ich und spielte verletzt. "Yoda ich hab beansprucht." "Mich scheren deine Beanspruchungen nicht. Mich schert nur mein Können." Chloe streckte mir die Zunge heraus und hielt mir dann ihren Strohhalm hin. "Koste!"

"Auf keinen Fall." So schnell hatte ich mich noch nie von ihr entfernt, was meine Freundin zum Lachen brachte. "Diesmal habe ich nicht reingespuckt!" "Aber reingeblubbert! Das machst du immer!" Mein Herz glühte vor Freude. Das tat es immer, wenn ich diese sinnlosen Gespräche mit Chloe führte. Sie sah nicht aus wie ein Scheißhaufen, aber sie verstand wie ich es meinte. Selbst wenn sie so aussehen würde, es wäre mir egal. Chloe war Chloe. Chloe war meine bessere Hälfte, die Person, die ich am meisten liebte auf dieser Welt. Ein Leben ohne Chloe wäre so sinnlos wie unsere Gespräche. Lächerlich, das wusste ich.

"Aber ein nicht geblubberter Kaffee wäre ja so langweilig wie deiner. Sieh es als Special Effects!". Sie hielt mir ihren Becher noch näher hin, dass ich befürchtete, sie würde die dunkle Flüssigkeit über meine Hose kippen. Zutrauen könnte ich es ihr. Mit dem misstrauischsten Blick, den ich aufsetzen konnte, nahm ich ihn an und schnupperte daran. Es roch beunruhigend nach Kaffee und Chloes Unschuldsblick verhieß nichts Gutes. Wenn sie sich Mühe gab, konnte sie mit diesen großen goldbraunen Augen aussehen wie ein Welpe, der einen Leckerli haben wollte. Es war fast unmöglich, gegen diesen Blick anzukämpfen und so probierte ich einen Schluck.

Es schmeckte seltsam. Und viel zu süß. Als würde sich alles in meinem Mund zusammenziehen. Chloe begann zu prusten und ich vermutete, dass mein Gesicht ebenso aussah wie sich mein Mund anfühlte. "Bah, wie viel Zucker hast du da rein getan?" "Ein Stück. So wie bei dir." Sie grinste hämisch. "Aber noch ein paar Löffel Haselnusssirup." "Ein paar Löffel!?" Ich starrte auf den Kaffee in meiner Hand, welche zu zittern angefangen hatte. "Esslöffel."

(Mir ist gerade zum ersten Mal aufgefallen wie komisch das Wort "Löffel" ausgeschrieben aussieht xD. Wtf. Geht es da nur mir so?)

(...)

Du fragst dich jetzt bestimmt, wieso erzähle ich dir von irgendeinem belanglosen Gespräch, dass ich irgendwann mal mit Chloe hatte?

Die Wahrheit ist: Noch vor der Schule geschah noch etwas.

Chloe und ich waren gerade auf dem Weg in die Klasse, ich hatte mich von ihrem Versuch, mich zu vergiften, erholt und wir redeten über Gott und die Welt, als neben mir ein kleines Mädchen halt machte und an meinem Ärmel zupfte. Mitten auf der Treppe, die anderen Schüler rempelten mich an, aber ich blieb trotzdem stehen. "Hallo.", Ich lächelte sie an und sie lächelte zurück. Wie alt mochte sie sein? Vielleicht elf. Vielleicht noch jünger. Auf jeden Fall fünfte Klasse.

"Hallo." Ihre Stimme klang hell und engelsgleich und sie lächelte als wäre sie eben vom Himmel gefallen. Ihr Haar war so hell, dass es fast weiß war, ihre Augen hingegen waren dunkelbraun. Eine seltene und irgendwie schöne Kombination. "Ich bin Emilia.", stellte sie sich vor und sah fest in mein Gesicht, während Chloe und ich einen verwirrten Blick tauschten. "Schön, dich kennenzulernen, Emilia. Ich heiße Patrick und das ist Chloe." "Ist sie deine Freundin?", fragte sie sofort, was mich die Stirn runzeln ließ. "Nein, wir sind nur Freunde." Emilia strahlte. "Großartig, ich brauche nämlich Hilfe. Also nicht ich, sondern meine Schwester. Leo heißt sie. Also eigentlich Leona, aber sie mag den Namen nicht."

Wäre die Situation nicht so seltsam gewesen, hätte ich Chloe für ihren Gesichtsausdruck ausgelacht. Aber sonderlich belustigend war das Ganze nicht. Irgendwie verwirrte mich Emilia sehr. "Sie würde sich gerne mit dir in der Pause bei der Tischtennisplatte treffen." Das trug jetzt nicht dazu bei, dass ich weniger verwirrt war. "Tut mir Leid, Emilia. Aber ich kenne deine Schwester nicht." "Sie dich auch nicht.", Emilia lächelte und irgendwie wurde das Ganze jetzt etwas gruselig. "Aber sie braucht Hilfe und ich habe ihr versprochen, zu helfen. Und das werde ich tun."

"Wie kann man ihr denn helfen?", hakte dann Chloe nach und kam eine Treppenstufe nach unten zu uns.

"Geh bitte mit ihr auf den Abschlussball.", bat Emilia und sah mich flehend an.


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Hallo, hier die Kunde zu später Stunde!

(Ha, das hat sich gereimt, Applaus bitte)

Eigentlich ist es ja noch voll früh, wenn man bedenkt, dass jetzt Ferien sind, aber ich muss Morgen zum Arzt, meine OP nachbesprechen. Habe ich Lust? Eher nicht. Aber keine Sorge: Mir geht es im Moment besser denn je. <3

Danke für alles.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 30, 2018 ⏰

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