Kapitel 1.1

11.8K 567 24
                                    



England, 1210 n. Chr.

Die Glocke rief die Schwestern zur Morgenandacht und auch die drei jungen Novizinnen beeilten sich, dem Ruf Folge zu leisten.

Schwester Alba, die für die Ausbildung der Mädchen verantwortlich zollte, trottete mit verdrießlicher Miene hinterdrein. Sie hatte die drei schon wieder im Obstgarten erwischt, wo sie die Äpfel des Konvent stibitzten. Nun würden die Mädchen nach der Andacht ihre Strafe auf den Knien oder sogar flach auf dem Boden liegend verbringen und den Herrn um Vergebung ihrer Sünden bitten müssen. Denn Diebstahl war ja auch noch eine der Todsünden.

Da half es den Mädchen auch nichts, dass sie so dünn wie junge Weiden waren und im ganzen letzten Jahr zugegebenermaßen Hunger hatten leiden müssen.

Die wiederholten Missernten der Abtei, durch das schlechte Wetter bedingt, hatten sämtliche Schwestern dazu gezwungen, den Gürtel um einiges enger zu schnallen. Da gab es auch keine Ausnahmen für die jungen Novizinnen.

Allerdings sahen die Büßerinnen nicht gerade unglücklich über ihre schlechten Aussichten auf den Himmel und auch keineswegs bußfertig aus. Sie lachten und schwatzten angeregt miteinander und wischten sich gegenseitig den süßen Saft von den sanft geröteten Wangen. Satt zu sein war eine wundervolle Sache. Was machte da eine jede Strafe aus, die dem Essen bald folgen mochte?

Und sie würden sich zu einem späteren Zeitpunkt gewiss

erneut in den Obstgarten schleichen, wenn sie der Hunger

allzu sehr plagte.

Schwester Alba seufzte sorgenvoll auf.

Was sollte aus den Kindern in diesem nächsten, gewiss wieder sehr harten Winter werden? Das Konvent war arm. Sie darbten schon jetzt, mitten in der Erntezeit, weil die Früchte der Felder von marodierenden Wilden geplündert oder vernichtet wurden. Da waren die Nordmänner, die über das weite Meer hersegelten, zu vernichten und zu versklaven suchten, wen auch immer sie in die Finger bekamen, und auch die Schotten kamen dieses Jahr aus ihren Hochlanden herab, obgleich sie England und alle Engländer hassten, und ihnen normalerweise eher aus dem Weg gingen.

Früher hatte es geheißen, zumindest die Abteien ließe man in Frieden, weil die Schotten ebenso gläubig zum Herrn beteten wie alle anderen Christenmenschen, doch diese Tage waren gegangen und hatten der Wüterei und dem Barbarentum Platz gemacht.

Und ihre jungen Schutzbefohlenen? Was konnte unter diesen Bedingungen nur noch aus ihnen werden? Sie sollten alle zur Christmette ihre Gelübde ablegen und Bräute Christi werden, doch sie waren schon jetzt so überaus mager und kränklich.

Müssten sie bald wieder so hungern wie im letzten Winter, würden sie gewiss alle zum Herrn abberufen werden, dabei waren sie noch so jung, so ohne Arg.

Die Schwester blickte sorgenvoll ihren Schützlingen nach, die sich eilfertig und beflissen in Richtung Kapelle begaben. Zumindest gehorchten sie widerspruchslos, wenn man sie erwischte und nahmen, gleich welche Bestrafung, mit Demut entgegen.

Zum dritten Mal seufzte die fromme Schwester und eilte

hinter den Mädchen her, was dieser Tage eine rechte Plage für sie bedeutete.

Die Beine waren alt und müde, der Rücken krumm von all der Arbeit, die Hände arthritisch und schmerzend. Die langen Wege daher anstrengend und mühevoll, die sie dieser Tage zu gehen hatte.

Denn das Konvent war sehr alt und groß. Unzählige Gänge und Haushaltsräume, Schulzimmer und Bettsäle gab es hier und in den unteren Kellergewölben. Sowie tief unter dem Konvent ein riesiges Grabgewölbe, welches den gesalbten und bestatteten Leichnam einer frommen Schwester beherbergte, welche vor einhundert Jahren von seiner Heiligkeit selbst selig gesprochen worden war, ob ihrer Liebe und des Gottvertrauens, den sie bewies, als sie Kriegsopfer, gleich welchen Ranges und Zeichens, gleich welcher Religion, bei sich aufnahm und ihnen und den ihren im bettelarmen, harten Winter ihr eigenes Essen darreichte, auf das deren Leiber genesen sollten, deren Familien leben würden.
Sie selbst war natürlich darüber verhungert, die fromme gute Schwester Bonifatia und in den Himmel aufgefahren. ... So wie es ihnen allen bald bevorstehen musste.

Die Rache der Highlander - Bestseller bei BOD (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt