Apfelfee

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Als ich zu Hause war, musste ich Anna sofort schreiben, wie süß Frau Sommer wieder war. Ich bekam gar keinen Stopp in meine Schwärmereien und diese Glückseligkeit steckte auch Anna mit tiefer Freude an. Nachdem ich ihr zwei ellenlange Texte geschrieben hatte und zwei zehnminütige Audios zurück bekam, entschieden wir uns dazu, unser Gespräch über Skype weiterzuführen.
So schwärmten wir bis in die frühen Morgenstunden über Frau Sommer und ihre perfekte Umgangsweise. Anna wünschte sich, dass ihre Lehrerin auch so offen wäre wie Frau Sommer, ich wünschte es ihr vom Herzen.

Den Sonntag verschlief ich bis 13 Uhr, kein Wunder, wenn man bis 4 Uhr nachts mit der besten Internetfreundin geskyped hatte. Meine Eltern hatten mich teilweise sogar piepsen gehört. Gott sei Dank konnten sie nicht verstehen, was ich gesagt hatte.

Nachmittags gingen wir an einem nahegelegenen See spazieren. Das Wetter hatte sich wieder verbessert. Die Sonne schien hoch am Himmelszelt und es waren nur wenige Wolken zu sehen. Somit hatte der Himmel die Farbe von Frau Sommers Augen. Dieses Wetter mochte ich immer am liebsten. Die ersten kühlen Herbstwinde wehten über den See und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke etwas höher.
Während wir genüsslich spazierten, verging keine Minute, in der ich nicht an Frau Sommer dachte. Ich wünschte mir so sehr, dass sie auch zu diesem See kommen würde und mit mir weiterginge. Wenn sie sich meinen Eltern als Paula vorstellen würde, so als wäre sie meine Freundin, und wir dann Hand in Hand den Windsurfern zusähen, wenn wir uns über Dies und Das unterhielten und uns zwischendurch immer mal wieder umarmten... Wie schön wäre es nur, wenn Frau Sommer und ich uns dann auf eine Bank setzten und einen heißen Kaffee tränken, um uns etwas aufzuwärmen und sie dann ihren Arm um mich läge und wir uns tief in die Augen schauten.

Als ich daran dachte, Frau Sommer in die Augen zu schauen, hob ich lediglich meinen Kopf etwas an und sah in den Himmel. So blau waren ihre Augen, so sommerhimmelblau. Und der See, der in der Mitte dunkelblau schimmerte, der spiegelte meine Augenfarbe wider. Und wenn sich der Himmel im See spiegelte, dann verschwommen hell- und dunkelblau und genau diese Farbe hätte sich auch dann ergeben, wenn man meine Augenfarbe mit Frau Sommers Augenfarbe vermischt hätte. Ich holte mein Handy heraus und fotografierte dieses wunderbare Farbenspiel. Wenn Frau Sommer nur wüsste, welch eine zauberhafte Wirkung sie in meinem Leben hatte...

In der Nacht träumte ich genau das, was ich mir am Tag gewünscht hatte. Ich verbrachte einen ganzen Tag mit Frau Sommer am See und obwohl es nur ein Traum war, konnte ich ihre Nähe und damit eine gewisse innere Verbundenheit deutlich spüren.

Als ich am Morgen erwachte, wusste ich sofort, dass dieser Tag schön würde. Voller Vorfreude fuhr ich zur Schule und traf mich wieder mit Mia auf unserem Schülerparkplatz, um mit ihr gemeinsam zum Gymnasium zu laufen. Erst holten wir unser Klassenbuch aus dem Sekretariat und dann fragte Mia: "Wie fandest du es Samstag?" Ich antwortete: "Es war super! Das war mal ein richtiges, gemütliches Kennenlernen." Mia stimmte mir zu: "Und Frau Sommer hat sich wohl auch pudelwohl zwischen uns jungen Leuten gefühlt." "Das hat sie", kicherte ich, "und meinen Zwiebel-Dip hätte sie wohl auslöffeln können." Mein Herz überschlug sich, wenn ich so von Frau Sommer reden durfte und Mia merkte nicht einmal, wie viel Gefühl hinter diesem Kichern steckte und machte sich etwas über Frau Sommer lustig: "Sie hätte ja drin baden können." Mir war sofort klar, wenn Frau Sommer sich tatsächlich in meinem Zwiebel-Dip gebadet hätte, hätte ich die Tupperschale in einer Glasvitrine eingeschlossen und sie unter Denkmalschutz gestellt. Ich lachte über Mias Witz, aber viel mehr aus dem Grund, dass ich es mir bildlich vorstellte und am liebsten dazugesprungen wäre.

Am Gymnasium angekommen, nahmen wir direkt den Hintereingang in unseren Trakt, um nicht über den anderen Flur gehen zu müssen. Frau Sommer stand bereits in unserem Unterrichtsraum und begrüßte uns beim Eintreten. Ich war direkt wieder im Himmel und konnte förmlich spüren, wie Frau Sommers Blick auf mir haftete, während ich zu meinem Platz ging.
Auf einmal hörte ich, wie sie meinen Namen sagte. Völlig verwirrt sah ich zu ihr und fing augenblicklich an zu lächeln, als ich ihr wunderschönes Gesicht sah. Auch sie lächelte und fragte: "Sind Sie schon aufgeregt wegen Freitag?" Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte. Hatte ich etwas verpasst?
"Freitag?", fragte ich verwirrt. Frau Sommer lachte. "Freitag besuche ich Sie doch im Kindergarten. Oder passt das Ihrer Einrichtung nicht?" Nun erinnerte ich mich wieder. Mein Herz machte Freudenssprünge, es war tatsächlich schon an diesem Freitag! Ich versuchte, möglichst neutral zu antworten: "Oh stimmt! Doch, doch, das passt perfekt. Und natürlich bin ich aufgeregt." Ich sah Frau Sommer an, dass sie sich freute. Diese Tatsache machte mich umso glücklicher. Diese Lehrerin machte mich so wahnsinnig. "Sie brauchen nicht nervös zu sein", sagte sie noch mit einem traumhaften Lächeln, bevor sie wieder zum Lehrerpult ging und sich hinsetzte, um schon einmal das Klassenbuch aufzuschlagen.

Da betrat auch Schwester Wilhelmine mit einem gut gelaunten "Guten Morgen" den Raum und besprach mit Frau Sommer den Ablauf.
Nach dem Gong stellte Frau Sommer sich vor die Klasse und meinte: "Wie versprochen zeige ich Ihnen heute eine Möglichkeit, wie so ein Morgenimpuls aussehen könnte." Da holte sie ein Bilderbuch heraus und erzählte uns die Geschichte von der Apfelfee.
Ich dachte, ich würde vor Niedlichkeit sterben. Diese Geschichte passte so gut zu ihr. Schließlich sah sie selbst aus wie eine zauberhafte Fee mit ihrem langen blonden Haar, den himmelblauen Augen und dem wunderschönen Lächeln. Ich wollte so gerne aufstehen und mit ihr knuddeln.
Nach der Geschichte teilte sie Äpfel aus und bat uns, diese in der Mitte durchzuschneiden. Dabei sang sie "In einem kleinen Apfel". Meine Gefühle gerieten mehr und mehr durcheinander. Sie hatte mich so sehr in ihrem Bann. Mir war sofort klar, dass viele Kinder und Familien sie bestimmt vermissten, wenn nun andere Mitarbeiter aus dem Jugendamt für sie zuständig wären. Doch ich erlaubte mir nun auch, ein bisschen egoistisch zu denken und freute mich, dass sie nicht mehr im Jugendamt tätig war, sondern unsere wunderbare Klassenlehrerin wurde.
Am Ende durften wir die Apfelkerne in Plastikbechern mit Blumenerde einpflanzen und gießen. Wir schrieben alle unsere Namen auf die Becher und stellten sie auf die Fensterbank.

Frau Sommer erklärte nach der Reflexion ihres Morgenimpulses: "Das Wichtigste ist, dass Sie eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss haben. Es muss aber in diesem Fall nicht alles aufeinander aufbauen. Ich habe nun alles zum Thema Apfel gemacht, aber da entscheiden Sie selbst, ob Sie ein Oberthema haben möchten oder nicht. Im Kindergarten sollten Sie das schon machen, aber hier geht es lediglich um die Planung und Durchführung, nicht um den Inhalt. Haben Sie sonst noch Fragen?"
Weil niemand sich meldete, übergab Frau Sommer das Wort wieder an Schwester Wilhelmine, welche uns dazu aufforderte, uns in Partnerarbeit eine Situationsbeschreibung mit dazu passender -analyse auszudenken. Mia und ich waren schon fast fertig. Deshalb zogen wir die Traumabewältigungstherapie in die zweite Stunde vor. Diese klappte nun schon etwas besser. Ich hatte es tatsächlich geschafft, eine halbe Minute auf dem Gymnasialflur stehen zu bleiben und alles bewusst zu fühlen. Danach war ich aber völlig fertig und musste für den Rest der M5-Stunden Frau Sommer beobachten, um wieder etwas mehr Energie zu bekommen.
Schwester Wilhelmine war trotzdem sehr stolz auf mich, ebenso auch Mia und Frau Sommer - und ich erst!

Nur wegen IhnenWhere stories live. Discover now