Gewissheit

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Während Paula und Emil im Gerichtssaal waren, blieb ich mit Maya und Pia im Spielzimmer. Dadurch, dass ich dabei war und mit den Mädchen spielte, saßen Julia und eine Polizistin, welche auch Julia hieß, gemeinsam am Tisch und unterhielten sich über Gerd.
Einige Bruchteile nahm ich auf und war geschockt darüber, zu welchen Taten dieser Mann fähig war. Die beiden Julias vermuteten, dass Gerd seit einigen Monaten ein Drogenproblem hatte. Das konnte ich mir ebenfalls vorstellen, denn wenn er von Anfang an so gewesen wäre, hätte Paula ihn doch niemals geheiratet.

Je länger die Verhandlung dauerte, desto nervöser wurde ich und diese Gefühle übertrug ich auf die Kinder. Diese wurden anhänglicher, wollten kaum noch spielen, sondern lieber mit mir kuscheln.
"Frau Ludwig? Ist das für Sie in Ordnung?", fragte Julia, die Polizistin. Ich nickte und antwortete: "Klar, wenn alles gut läuft, werde ich die Kinder ohnehin adoptieren." Julia, die Sozialarbeiterin, lächelte mir aufmunternd zu und äußerte die Vermutung, dass es schon nach unseren Vorstellungen ausgehen sollte, schließlich hatte Gerd auch vorhin auf dem Flur einen schlechten Eindruck hinterlassen. Außerdem waren Paula und Emil zu zweit und Paulas Anwalt hatte einige Beweise von den Mitarbeitern aus dem Jugendamt erhalten, die er dort einsetzen könnte. Gerd hätte also keine Chance, sich irgendwie herauszureden.

Eine gefühlte Ewigkeit später öffnete Theo die Tür und hielt diese auf. Daraufhin erschien Paula. Sie strahlte übers ganze Gesicht. So ein tolles, ehrliches Lächeln machte sie noch viel schöner als sie ohnehin schon war. Das Tempo meines Herzschlags verdreifachte sich und sowohl die beiden Mädchen als auch ich selbst konnten gar nicht anders, als auf Paula zuzustürmen und sie fest in den Arm zu nehmen. Auch Emil kam dazu.

Was ich fühlte, war eine so enge Vertrautheit, wie ich sie außerhalb meiner Stammfamilie noch nie gespürt hatte. Dazu kam pure Liebe. Liebe zu Paula und Liebe zu unseren Kindern. Ihre Erscheinung, ihre Mimik und Gestik hatten schon alles Wichtige erzählt. So engelsgleich wie sie lächelte, musste alles super gelaufen sein. Während der Umarmung legte Paula ganz plötzlich ihre Hände um meinen Kopf und sah mir überglücklich tief in die Augen. "Wir sind jetzt eine richtige Familie. Du, ich und unsere drei Kinder. Wir werden ab nun für immer verbunden sein, gemeinsam durch Gesundheit und Krankheit gehen, durch gute und durch schlechte Zeiten und selbst wenn wir uns mal streiten sollten, bin ich mir sicher, dass die Liebe uns trägt und wir uns wieder versöhnen. Ich will es noch einmal aussprechen. Für immer und ewig." Mein Mund stand weit offen und ich konnte ihn nicht schließen. Auch meine Augen hatte ich ganz weit aufgerissen. An meinem ganzen Körper entstand eine Gänsehaut. Jetzt war es offiziell. Offizieller denn je. Paula und ich gehörten zusammen.

Die Kinder wichen zur Seite und Paula ging in die Knie. Ich hielt meinen Atem an. Das durfte doch jetzt nicht wirklich wahr sein. Ich hatte gerade einen Plan gehabt. Aber dann war sie dort unten, mit den Kindern auf Augenhöhe, und schaute zu mir auf.
Je länger sie dort kniete und nichts weiteres tat, als mir in die Augen zu schauen, desto nervöser wurde ich. Der Atem fehlte mir noch immer, dafür spürte ich, wie meine Beine zu zittern begannen. Die Umgebung verschwamm. Ich konnte nur noch Paula scharf sehen. Unter völligem Kontrollverlust faltete ich meine Hände und hielt diese verkrampft vor meinem Herzen. Dabei betete ich innerlich das Vater Unser. Allerdings kam ich nicht weit, denn schon nach dem Vers "... geheiligt werde dein Name..." sagte Paula meinen Namen. Sie sprach meinen Namen so weich und gefühlvoll aus, wie es noch nie einer geschafft hatte. Ihr sommerhimmelblauen Augen strahlten noch mehr denn je, ihre Lippen in apfelblütenzartrosé zitterten und obwohl Paula überglücklich wirkte, sah sie gerade aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen - in Freudentränen natürlich. "Ja?", fragte ich so leise, dass eine fallende Nähnadel mich locker übertönt hätte. Wer nicht direkt in meiner Nähe stand, hätte vermutlich nichts vernommen. Aber das war egal, denn die Hauptsache war, dass Paula es hörte. Sie reichte mir ihre rechte Hand. Wie von selbst legte ich, anders als beim formellen Handdruck, meine linke Hand hinein und Paula drückte diese ganz fest. Mit ihrer linken Hand winkte sie Emil zu sich, der aus seiner Jeanshose eine winzig kleine Schatztruhe holte und sie Paula überreichte. "Ella", sagte sie noch liebevoller als zuvor. Ich brauchte nichts mehr zu sagen, hätte ohnehin keinen Ton mehr herausgebracht. Sie ließ meine Hand los und begann ganz langsam die kleine Schatztruhe zu öffnen. Ihre Finger zitterten noch mehr als meine und auf ihrer Stirn bildeten sich kleine glänzende Schweißperlen. Ihre Augen erschienen plötzlich noch viel heller, ihre Lachfältchen erschienen noch tiefer. Selbst ihre Grübchen sahen auf einmal noch viel niedlicher aus als je zuvor.
Mit jeder Sekunde liefen mir abwechselnd heiße und kalte Schauer den Rücken hinunter. Ich war noch nervöser als in meiner allerersten mündlichen DELF-Prüfung. Wobei mich jetzt gerade das schönste Ereignis meines Lebens erwartete.

Man konnte Paula ansehen, dass sie aufgrund ihrer zittrigen Finger große Schwierigkeiten damit hatte, die kleine Truhe zu öffnen, doch sobald es ihr gelang, funkelten mir zwei silber glänzende Ringe entgegen. "Willst du meine Frau werden?", fragte Paula mit zitternder Stimme.
Alles war leise. Jeder Mensch in diesem Raum hielt seine Luft an. Das erste, was zu hören war, war mein krampfhaftes Einatmen, weil ich viel zu lange die Luft angehalten hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Mit den glücklichsten Freudentränen, die ich je hatte. So laut und überzeugt und doch so zittrig und überrascht antwortete ich: "Ja! Ja, natürlich will ich dich heiraten, Paula! Ja, ich will deine Frau werden! Nichts lieber als das!"

Noch während ich sprach, stand Paula auf, steckte mir den kleineren Ring auf den Ringfinger und hielt mir den großen entgegen, den ich Paula auf ihren Ringfinger stecken durfte. Das konnte uns gar nicht schnell genug gehen. Unter lautem Jubel fielen wir uns vor Freude weinend in die Arme und wechselten immer wieder zwischen Küssen und Knuddeln.

Die Kinder schnappten sich die Hände der Sozialarbeiter, diese nahmen sich die Polizisten und so stellten sie sich in einen Halbkreis um uns. Paula löste sich von mir, zwinkerte Emil verschwörerisch zu und drehte mich so herum, dass ich die Tür im Blickfeld hatte. Sie zählte bis drei, daraufhin rief Emil: "Überraschung!" Zwei weitere Polizisten öffneten beide Türen des Doppeleingangs und alles, was ich sah, waren Menschen mit Musikinstrumenten. Erst als sie begannen, den Hochzeitsmarsch zu spielen, fiel mir auf, dass ich jeden einzelnen dieser Menschen kannte. Es waren die Niederländer. "Oh mein Gott, Paula", stammelte ich. Mehr bekam ich nicht mehr heraus. Und das alles geschah ausgerechnet im großen Gebäude des Familiengerichts.
Alles wirkte mit einem Male absolut unecht und ich zweifelte an der Realität. Doch jeder Versuch aufzuwachen scheiterte. Paula flüsterte: "Das habe ich Dienstagabend erst organisiert und so viele konnten kurzfristig frei bekommen und waren bereit dazu, mir diesen Wunsch zu erfüllen." Ihre Augen schienen auf einmal die ganze Welt zu erleuchten und ich stand genau neben ihr, in diesem strahlenden Licht.

Nach dem Hochzeitsmarsch spielten sie die niederländische Version von "Hoch sollen sie leben" und im Anschluss daran riefen alle Musiker wild durcheinander: "Van harte gefeliciteerd! Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für euch!"

Mit offenem Mund starrte ich meine niederländischen Musikkollegen an, Paula gab mir viele Küsse und einige kamen auf uns zu, küssten uns rechts und links auf die Wangen und reichten uns ihre Hände. Zum Schluss kam der Dirigent und überreichte uns ein kleines Geschenk. "Von uns allen van de Muziek", verkündete er mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und Paula und ich sagten wie aus einem Munde: "Das wäre aber doch nicht nötig gewesen."

In großer Runde blieben wir noch etwas länger dort und feierten gemeinsam mit den Musikerin, Polizisten und Sozialarbeitern unsere Verlobung. Paula und ich waren nun offiziell verlobt. Das war wirklich unglaublich. Der 21. Dezember 2017 war bisher der schönste Tag meines ganzen Lebens.

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