Musikverein

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Beim Abendessen fiel mir ein, dass am nächsten Morgen Probe war. Da ich im Musikverein Jugendwartin war und somit auf jeden Fall zur Vorstandssitzung musste, fragte ich Lina, ob ich ihr Auto ausleihen dürfte. Lina hätte grundsätzlich nichts dagegen gehabt, allerdings wollte sie so gerne einmal mitkommen und unserer Musik zuhören, da sie es zu den letzten Konzerten zeitlich nie schaffte. Auch Paula und ihre Kinder wollten am liebsten dabei sein. "Sind in eurem Verein noch mehr auf unserer Schule?", fragte Paula. Ich überlegte kurz. "Nein, die einzige Person, die Verdacht schöpfen könnte, ist die Schwester von einer, die auf unsere Schule geht. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie da sein wird, ist eher gering, weil sie in Köln Germanistik studiert." So schlug Lina vor: "Dann fährst du mit meinem Auto zur Vorstandssitzung und Paula nimmt mich und ihre Kinder zur Probe mit." Paula schüttelte ihren Kopf. "Dann muss Ella mit meinem Auto vorfahren, weil ich in meinem Beetle nur drei Leute mitnehmen kann. Hinten in der Mitte ist kein Gurt." Das war mir aber zu riskant. Dass ich mit Lina befreundet war, wussten alle. Aber wenn ich Paulas Auto mitnehmen würde, würden Fragen aufkommen und da einige aus dem Verein noch in die Mittelstufe gingen, war die Gefahr zu groß, dass diese in ein paar Jahren auf unsere Schule wechseln und sich erinnern könnten. Somit hatte Paula eine bessere Idee: "Lina, dann fährst du mit Ella zur Vorstandssitzung und ich komme mit den Kindern etwas später und höre zufällig die Musik und zufällig kenne ich dich und Ella." Das klang nach einem guten Plan.
Besonders Paulas Kinder waren total gespannt auf die vielen Musikinstrumente. "Darf ich dann auch mal Musik machen?", fragte Emil. Ich versprach ihm: "Wenn du mich morgen daran erinnerst, darfst du meine Trompete auf jeden Fall ausprobieren, Emil." Der kleine Junge freute sich sehr. "Dann schauen wir mal, ob du da einen Ton heraus bekommst!", kicherte Paula. Mein Inneres begann zu schmelzen, so niedlich war ihr Blick.

Nach dem Abendessen setzten wir uns gemeinsam um Linas Kaffeetisch und schauten den Kindern bei 'Mensch ärgere dich nicht' zu. Pia brauchte zwischendurch noch etwas Unterstützung. Zudem mussten wir gut aufpassen, dass die beiden Großen nicht schummelten. Ich saß direkt neben Paula und lehnte mich an sie. Sie war gemütlicher als jedes Bett der Welt. Es gab wirklich nichts Schöneres als die unmittelbare Nähe zu der Person, die man liebte. Paula legte ihren Arm um mich und begann, eine schöne Melodie zu summen. Diese kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich wusste gerade nicht, welches Lied es war und wo ich es gehört hatte. Fakt war aber, dass es das Schönste war, was ich je gehört hatte.

Nach dem Spiel schickte Paula ihre Kinder ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Sie überprüfte es und wickelte Pia für die Nacht. In dieser Zeit half ich Lina dabei, die Küche aufzuräumen. Zur gleichen Zeit mit Paula wurden wir fertig und sprachen noch etwas über Dies und Das. Dabei hielt Paula die ganze Zeit meine Hand und es war zu schön um wahr zu sein. Paula erklärte uns ein wenig über die Arbeit des Jugendamtes und wie es im Familiengericht ablaufen würde. Sie erzählte uns von vielen schrecklichen Fällen, die sie schon bearbeitet hatte und mir wurde bewusst, was für eine schwere Arbeit sie früher geleistet hatte. Sie musste Kinder, die am Existenzminimum lebten und täglich grauenvollen Taten ausgesetzt waren, aus ihrem Umfeld retten und wurde dafür auch noch von den Erziehungsberechtigten beschimpft. Ich hatte riesigen Respekt davor und war dankbar dafür, dass es Menschen gab, die den Kindern halfen. Gleichzeitig war ich aber auch froh, dass Paula nun Lehrerin war und solche grausamen Dinge nicht mehr regelmäßig miterleben musste.
Lina und ich hörten ihr gespannt zu und waren erschrocken darüber, wozu manche Eltern fähig waren.

Plötzlich schaute Paula auf die Uhr. "Um Gottes Willen! Ich habe euch stundenlang zugequatscht. Es ist schon halb zwei!" Wir lachten und wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht. Paula und ich ließen Lina zuerst ins Bad und gingen, als sie fertig war, zu zweit. "Morgen muss ich aber unbedingt duschen", sagte ich und Paula meinte: "Ja, ich auch." Sie zwinkerte mir zu und ich wusste ganz genau, was sie vorhatte. Schnell wuschen wir unsere Hände und Gesichter, putzten unsere Zähne und zogen unsere Nachtwäsche an.
Nun sah ich Paula zum ersten Mal in einem kurzen rosafarbenen Spitzennachthemd. Sie sah aus wie eine Märchenfee. Ich konnte in diesem Moment gar nicht anders, als sie ungläubig anzustarren. "Du bist so perfekt", himmelte ich sie an. Paula strahlte übers ganze Gesicht und meinte: "Du aber auch, Ella. Dein Schlafanzug passt perfekt zu dir mit den vielen Mäuschen darauf. Du bist auch so ein kleines Mäuschen." Wir gingen ein paar Schritte aufeinander zu, fielen uns in die Arme und küssten uns voller Liebe.
Als wir endlich im Bett lagen, war es schon zwei Uhr und um halb acht sollte der Wecker schon wieder klingeln.

Hand in Hand lagen wir zu zweit unter eine Decke und schliefen mit dem größten Lächeln auf den Lippen ein.

Ein lautes Orchester weckte uns mit dem "Mamma Mia-Medley". Ich war erst so verwirrt, dass ich dachte, ich wäre auf einem Schützenfest eingeschlafen, bis ich realisierte, dass es nur mein Wecker war. Ich wollte ihn ausschalten, kam aber nicht an den Tisch heran. So stieß ich im Halbdunkeln mit zusammengekniffenen Augen mit meinem Kopf gegen Paulas Kopf, weil auch sie gerade dabei war, sich verschlafen aufzusetzen. "Autsch", sagten wir wie aus einem Munde und fingen gleich an zu lachen. Eigentlich war mir früh morgens nie zum Lachen zumute, aber wenn der Tag mit Paula startete, war gleich alles perfekt. Sie überreichte mir mein Handy, damit ich den Wecker ausschalten konnte und nahm mich glücklich in den Arm. Ich erwiderte die Umarmung und flüsterte: "Es gibt nichts Schöneres als mit dir in den Tag zu starten." Paula knuddelte mich fest und sagte: "Das kann ich nur zurückgeben."

Hand in Hand schlichen wir auf Zehenspitzen an Linas Schlafzimmer vorbei ins Badezimmer, schlossen die Tür ab und drehten die Heizung etwas höher. Als die Wärme allmählich zu spüren war, zogen wir uns gegenseitig aus, um dann gemeinsam in die Dusche zu steigen. "Das habe ich noch nie gemacht", gab Paula zu, "mit Gerd wollte ich das nie." Ich lächelte und fragte: "Auch nicht als Kind mit deiner besten Freundin?" Paula dachte kurz nach. "Nein, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern." Ich erzählte ihr, dass mein Bruder und ich früher immer zu zweit in die Badewanne wollten und dass ich zu Grundschulzeiten auch des Öfteren mit meiner besten Freundin zusammen unter der Dusche stand und wir dabei fast immer das Badezimmer überschwemmt hatten, weshalb unsere Eltern es irgendwann nicht mehr erlaubten. Paula lachte herzhaft und meinte: "Das kann ich mir von dir irgendwie richtig gut vorstellen!" Dabei spritzte sie mir etwas Wasser ins Gesicht. "Hey, Paula!", ermahnte ich sie und spritzte zurück. Sie zog mich an sich und begann, meinen Mund zu küssen. Ich erwiderte den Kuss und vergaß dabei ganz, dass wir unter der Dusche standen. Paula schaffte es immer wieder, mich in Trance fallen zu lassen und mein Empfinden von Raum und Zeit völlig aufzulösen.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach uns. "Ja?", fragte Paula. Von der anderen Seite war Lina zu hören: "Beeilt ihr euch? Ich muss auch noch duschen!" Paula antwortete: "Okay, machen wir!"
Daraufhin nahmen wir uns etwas Shampoo und Duschgel und wuschen uns gegenseitig. So berührte Paula mich am ganzen Körper und ich berührte sie an ihrem ganzen Körper und ich musste dabei feststellen, dass sie wirklich absolut makellos war. Wie konnte ein Mensch nur so perfekt sein?

Als wir wieder sauber und frisch die Dusche verließen, meinte Paula: "Heute Abend sind die Kinder an der Reihe." Ich lächelte. Paula war so eine tolle Mutter für ihre Kinder. Gut, dass sie sich so liebevoll um die Kinder sorgte. Sonst wären sie unter Gerd vermutlich noch mehr zerbrochen.

Nach uns betrat Lina das Badezimmer. In dieser Zeit kümmerte Paula sich um ihre Kinder und ich rief meine Eltern an, um ihnen Bescheid zu sagen, dass Lina und ich gegen halb zehn kommen und meine Unterlagen für den Musikverein abholen würden.
Im Anschluss daran wurde erstmal gefrühstückt und die Kinder konnten es nicht mehr abwarten, den Musikverein zu sehen.

Nur wegen IhnenWhere stories live. Discover now