Reise in die Vergangenheit

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Tränen verschleierten meinen Blick. Von weitem hörte ich eine Kirchenglocke leise ihr Lied singen. Es war Mitternacht. Leise huschte ich durch die Nacht. Unter meinen Turnschuhen knirschte der Kies. Ich zog mir die Kapuze meines schwarzen Hoodies weiter ins Gesicht und klammerte mich an die Träger meines Rucksacks. Eine kleine Taschenlampe leuchtete mir den Weg die lange Einfahrt zum ‚Rose Wood Manor' entlang, dem Wohnsitz meiner Großmutter, aus dem ich gerade abhaute. Zumindest versuchte ich es. Das einzige Hindernis zwischen mir und der Freiheit baute sich nun vor mir auf: Das Zwei Meter Hohe Eisentor. Draußen wartete die Freiheit auf mich in Form eines schwarzen Sportwagens. Und seinem blonden Besitzer, der mir besorgt entgegensah. Er hatte gleich wie ich die Kapuze seines grauen Hoodies tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem würde ich seine unverwechselbar blauen Augen von überall her erkennen. Wahrscheinlich sogar vom Mond aus. Mein Anruf war kurz gewesen.

„Jamie, hol mich hier raus. Bitte. Ich halte es nicht mehr aus" hatte ich ihn angefleht. Und er hatte wie immer sein Wort gehalten. Er und sein schwarzer Audi waren hier. Schnell kramte ich meinen Schlüssel für das Tor aus den Taschen meines Kapuzenpullovers. Das Schloss klackte laut und dann war ich ihn Freiheit. Ich atmete tief durch, ließ das Tor ins Schloss fallen und warf die Schlüssel im hohen Bogen über das Eiserne Tor fliegen. Freiheit. Beschwingt ging ich zu Jamie der jede Bewegung von mir mit einer unergründlichen Miene beobachtete. Spielerisch verzog ich mein Gesicht bis ich den selben besorgt-grüblerischen Ausdruck auf dem Gesicht hatte und blieb etwa einen Meter vor ihm stehen.

Sein Mundwinkel zuckte belustigt.

„Nun steig schon ein Geburtstagskind" flüsterte er und ging um den Audi um mir gentlemanlike die Beifahrertür zu öffnen.

Grinsend ließ ich mich in den weichen Sitz fallen. „Dankeschön"

Er lies die Tür ins Schloss fallen, ging zurück zur Fahrerseite und setzte sich ans Lenkrad. Er zog seufzend die Kapuze vom Kopf.

„Nun Chefin? Wo solls hingehen?" fragte er mich und sah mich fragend an. Mein Magen rumorte immer noch vor Aufregung. Ich starrte auf meine zitternden Hände. „Sie sagte ich sei eine Schande, Jamie. Ich konnte nicht mehr hierbleiben" brach es aus mir heraus. Tränen bahnten sich wieder ihren Weg in meine Augen. Schnell wandte ich mich weg. Ich wollte nicht das Jamie mich heulen sah wie ein kleines Kind. Nicht an meinem achtzehnten Geburtstag. Energisch wischte ich sie weg. „Ich hielt es nicht mehr aus" wisperte ich mit erstickter Stimme und hob meinen Kopf. In der Dunkelheit sah ich bloß seine von Mondlicht beschienene Silhouette. Still saß er im Fahrersitz. Mit einer Hand hielt er das Lenkrad umklammert. Die Hand um das Lenkrad war so verkrampft das seine Knöchel weiß hervortraten.

„Jamie?" flüsterte ich ängstlich. Noch nie hatte ich ihn wütend erlebt. Mein Hüter, wie man die Mentoren eines Wächters nannte, war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Was mit mir als Schützling besser war.

Ich räusperte mich. „Es tut mir leid"

Jamie regte sich. „Was tut dir leid?"

„Ich... ich wollte dich nicht wütend machen" stellte ich zerknirscht klar.

„Wie kommst du darauf das ich auf dich wütend bin?" wollte Jamie verblüfft wissen und machte das Licht im inneren des Autos an.

Als Antwort schluckte ich und schaute auf die Hand, die immer noch das Lenkrad im Klammergriff hielt. Jamie folgte meinen Blick und ließ das Lenkrad los. „Ich bin nicht auf dich wütend, Maddie. Warum sollte ich auch?"

„Weil ich abgehauen bin?" murmelte ich verwirrt. Wenn er nicht auf mich wütend war, auf wenn dann? Um der bedrückenden Stille zu entfliehen, schaltete ich den Radio an. Erstaunt stellte ich fest, dass aus den Boxen eine Playliste von mir kam.

Seufzend machte Jamie das Licht aus und starrte den Sportwagen.

„Wohin fahren wir?" fragte ich vorsichtig nachdem einige Minuten nur die Musik und der Klang des Motors die Stille füllte.

„London" murmelte Jamie und fuhr auf die Autobahn.

„London?" Mein Herz setzte einen Schlag aus. Er brachte mich wirklich von Dover weg.

„Ja, ich habe in Brixton eine Wohnung" erklärte er abwesend. „Für eine Weile kannst du dortbleiben, dann überlegen wir was wir tun"

Ich nickte bloß, völlig unfähig das gesagte zu verstehen. Träumte ich gerade? Ich hatte es geschafft, meine Großmutter war in Dover und ich auf dem Weg nach London. Zusammen mit Jamie. Vor den Fenstern veränderte sich die Landschaft und wir fuhren immer weiter ins Landes innere und die Küste verschwand immer weiter hinter uns. Keiner von uns sprach und wir lauschten im Stillen einvernehmen der Musik meiner Playlist. Nach einiger Zeit muss ich eingeschlafen sein. Ein sanftes rütteln weckte mich aus meinem Schlummer.

„Hey Schlafmütze" begrüßte mich Jamie sanft lächelnd mit einer Hand auf meinem Arm. „Wir sind da" Müde setzte ich mich auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Gähnend stieg ich aus dem Auto und folgte Jamie der eines der vielen Hochhäuser ansteuerte. Ich machte mich innerlich schon auf das schlimmste gefasst. Mir viel gerade auf das ich in Dover noch nie die Wohnung von Jamie gesehen habe, was mir für einen Moment seltsam vorkam immerhin kannte ich ihn schon seit drei Jahren. Wir stiegen eine Treppe hoch, und dann noch eine, und dann noch eine...

„Sag mal gibt es hier keinen Fahrstuhl?" murrte ich nach der gefühlten hundertsten Treppe. Ein belustigtes schnauben ertönte vor mir. „Klar aber ich dachte ein bisschen Sport tut dir nur gut" Ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und stieg die nächste Treppe hoch wo Jamie schon vor einer Tür stand und einen Schlüssel im Schloss drehte. Er stieß die Tür auf und machte das Licht an.

„Voilà" Er bedeutete mir mit einer galanten Handbewegung in die Wohnung zu treten. Ich tat wie mir geheißen und staunte: Alles war blitzblank.

„Wow", staunte ich mit offenen Mund und drehte mich um meine Achse.

Ich hörte die Tür ins Schloss fallen und drehte mich um. Jamie ging zur angrenzenden Küchenzeile und öffnete einen Schrank. Mit einer Flasche Sekt trat er zu mir. Unsere Augen trafen sich und sein Blick hielt meinen fest. Über meinen Rücken lief ein Schauer.

„Happy Birthday" flüsterte er mir zu. Sein Atme traf meine Haut und lies einen sanften Schauer über meinen Rücken laufen. Sein Gesicht kam näher und ich schloss erwartungsvoll meine Augen.

Ich schreckte hoch. Eine Lederjacke rutschte von meiner Schulter. Mir tat alles weh. Steif erhob ich mich von der Bank auf der ich geschlafen habe. Als ich mich umsah erkannte ich die Terrasse des ‚Ghost Town'.

„Ich hätte weichere Bänke aussuchen sollen" murmelte ich.

„Hättest vorher Probe liegen sollen" stellte eine Stimme belustigt fest.

Jamie lehnte vor mir am Geländer wodurch ich einen perfekten Blick auf seinen Hintern hatte. Schnell rügte ich mich innerlich und schüttelte abwehrend den Kopf. ‚Böse Gedanken'

„Auf die Idee bin ich leider nicht gekommen" murrte ich. Inzwischen hatte er sich zu mir gedreht. „Ich habe von der Nacht geträumt als wir hierhergekommen sind" platzte es aus mir heraus.

Jamie presste die Lippen zusammen. „Ich glaube es ist besser ich gehe jetzt" Ich stand schnell auf. Seine Lederjacke die mich in diesen unverwechselbaren Duft nach Zitrone einhüllte viel auf den Boden. Schnell bückte ich mich um sie aufzufangen, doch Jamie war schneller. Noch aus der Luft fing er sie auf und warf sie sich über die Schulter.

Betreten lies ich die Hände sinken. „Geh nicht" murmelte ich.

Er trat näher. Sein Duft umfing mich wieder.

„Ich komme wieder, Maddison" Seine Lippen streiften zart meine Wange und schon war er weg. Und ich war wieder alleine.

Steif ging ich zur Schiebetür. An der Tür drehte ich mich nochmal zurück zur Bank wo ich geschlafen habe. Für einen Moment dachte ich eine Silhouette gesehen zu haben doch als ich nochmal hinsah war nichts. Ich schüttelte den Kopf. Jetzt sah ich schon Gespenster. Ich schloss die Tür und ging zurück zu Clarence. Was für ein aufregender Abend.

Als sie weg war löste er sich aus dem Schatten. Es war ein aufschlussreicher Abend gewesen. Lächelnd verschwand er in der Nacht.

Afire Love - BlutmondnachtWhere stories live. Discover now