Kapitel 76 🎈

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Ich starre vom Steg hinunter ins dunkle Wasser und warte bis sich was tut. Sie sind schon eine Ewigkeit da unten. Aber ich helfe niemandem wenn ich jetzt auch noch rein springen würde.

Ich habe hilfe gerufen welche jeden Moment hier sein wird. Aber ich will nicht, dass es dann schon zu spät ist.

Jo und Ben müssen überleben!

Ich höre eine Sirene und weiter vorn kann ich durch meine verweinten Augen blaues Licht erkennen. Schnell stehe ich auf und gehe Richtung Ufer zu und winke wild mit meinen Armen: „Hey! Hey! Wir sind hier! Hilfe!"

Die Feuerwehr sowie der Krankenwagen kommen direkt auf uns zu und der Chef der Freuerwehrmänner kommt zu mir: „Was ist passiert?"

Ich führe ihn auf den Steg an den Ort wo ich vorher noch lag und zeige in das Wasser: „Sie... sie sind hineingefallen... Jo... und Ben.... Ben wollte Jo retten..." Ohne zu Schluchzen kann ich nicht sprechen. Ich bin nicht ich selber. Ich möchte meinen Bruder und meinen Freund wieder. Ich möchte sie in den Arm nehmen und mich bei ihnen für alles entschuldigen.

Die Feuerwehrmänner machen sich fertig für die Rettungsaktion und die Sanitäter kommen zu mir: „Okay, alles wird gut. Beruhige dich!"

Sie hilft mir wieder regelmässig zu atmen und meinen Puls zu senken. Doch das einzige was mir wirklich helfen könnte sind meine Jungs zu sehen.

„Was habt ihr hier gemacht?", fragt die Sanitäterin, als ich aufgehört habe zu weinen. Was sage ich denn jetzt? Kann ich auch später antworten? Nicht? Oh Mann... „Keine Ahnung. Aber diese Männer..."

„Warte! Welche Männer?", unterbricht sie mich. Habe ich die denn noch nicht erwähnt? „Der einte ist abgehauen, doch vorher hat er dem anderen gesagt, er soll uns töten, da wir anscheinend zu viel gesehen haben. Aber das haben wir nicht! Er hat mit seiner Waffe auf mich gezielt, doch bevor er abdrücken konnte, hat sich Jo auf ihn geworfen und beide sind ins Wasser gefallen."

„Also, dieser Ben sollte euch töten?"

„Nein! Ben ist Jo hinterher gesprungen um ihn zu retten.", erkläre ich ihr alles ganz genau. Und anscheinend habe ich da gerade etwas sehr wichtiges gesagt, denn sie schreit zu dem einten Feuerwehrmann zu: „Es sind nicht nur zwei Personen im Wasser, sondern drei!"

„... Aber der dritte ist nicht so wichtig. Ich brauche Ben und Jo."

Die junge Sanitäterin nimmt mich in den Arm und streicht mir über den Rücken: „Du wirst sie wieder kriegen. Keine Angst."

Und in diesem Moment taucht jemand auf und lässt mich aufspringen. Sie ziehen jemanden hoch und legen ihn auf den Steg.

Es ist Ben.

Eine weitere Sanitäterin kommt zuhilfe. Sie zieht seine Jacke aus, packt ihn in eine Wärmedecke ein und beginnt ihn zu beatmen.

Lebt er noch? Und wo ist Jo? Warum beachtet mich niemand?

Die Feuerwehrleute tauchen erneut unter. Jo gibt niemand so einfach auf. Ben aber auch nicht. Seine Lippen sind ganz blau.

Ich erinnere mich, wie wir letztes Jahr im April in den See springen wollten. Er war der einzige den es nicht gestört hat, dass es so kalt war. Er ist die geborene Wasserratte. Er hat es geliebt. Auch im Sommer ging er jede Woche schwimmen. Keiner konnte ihn toppen im Luft anhalten und er war auch der, der die schwierigsten und kompliziertesten Sprünge drauf hatte. Wir hatten immer so viel Spass. Er darf jetzt nicht sterben!

Er soll aufwachen!

Ich würde auch alles dafür tun. Er muss nur leben. Bitte.

Eine meiner Tränen fliesst über meine Wange und tropft dann anschliessend auf den Steg. Und als ob das was magisches an sich hatte, öffnet Ben seine Augen.

„Ben? Ben?", ich knie mich schnell neben ihn um seine Hand zu halten.

„Taylor?", mit grosser Mühe sagt er meinen Namen.

„Ja? Ja, ich bin hier. Alles wird gut, okay?", hoffnungsvoll spreche ich ihm Mut zu. Sobald er aufgewärmt ist, kann er wieder springen und tanzen wie es ihm lieb ist. Doch er muss unbedingt noch was los werden: „Ich konnte Jo nirgendwo finden."

Er ist schwach und kann kaum noch die Augen offen halten und trotzdem denkt er zuerst an die anderen. Wie viel Gutes kann eigentlich in nur einem Mensch stecken? „Mach dir keine Sorgen. Die Feuerwehrleute werden ihn schon finden und dann gehen wir alle drei zusammen nach Hause und geniessen unser Wochenende."

Ich muss an meinen Traum denken, wenn man das überhaupt Traum nennen kann, denn ich habe ja nicht geschlafen und nichts verpasst. Es war eher eine Vision als ich kurz die Augen schloss. Jedenfalls denke ich, dass war so eine Art Hellsagerei. Und wenn das wirklich stimmt, kommt alles gut. Denn da habe ich ja auch gesagt, dass Jo auch eingeladen ist. Er wird also auch überleben. Wir alle werden überleben. Es muss wahr sein. Es kann schlecht einfach nur ein Wunschdenken gewesen sein.

Denn. Wir. Alle. Drei. Werden. Überleben.

Nicht nur diesen Tag oder dieses Jahr. Wir werden leben bis wir alle alt, grau und schrumplig sind. Da kann uns kein Wassertropfen was anhaben.

„Ich sehe da was. Sie tauchen wieder auf!", ruft ein Mann der ein Seil in der Hand hält, welches in das Wasser führt und höchstwahrscheinlich mit den Tauchern verbunden ist. Schnell erhebe ich mich um genauer sehen zu können, wer alles auftaucht.

Gemeinsam heben sie den durchweichten Mann hoch und legen ihn auf den Steg, den Kopf direkt vor meine Füsse: „Jo? Jo?"

Ich knie wieder runter und fahre durch seine nassen Haare: „Jo, bitte, wach auf!"

Die Rettungskräfte beginnen ihn zu behandeln. Spritzen Medikamente, machen Herzmasage, beatmen ihn...

Doch er regt sich nicht.

CancerWhere stories live. Discover now