Kapitel 101 🎈

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Inzwischen sind schon mehrere Wochen vergangen und mir geht es immer schlechter. Eine Zeit lang standen die Chancen zwar wieder ziemlich gut, doch leider hat mich die Chemo auch mein Immunsystem geschwächt. Es waren alle schon ziemlich positiv eingestellt, als ich erkältet wurde. Sofort wurde ich auf die Intensivstation verlegt und die Besucheranzahl musste reduziert werden. Layla und Parker waren die einzigen meiner Freunde die hereingelassen wurden und dass nur, weil sie Lissi bestochen haben. Meine Eltern sind von Beginn der Besucherzeiten bis zum Rausschmiss bei meinem Krankenbett und sind einfach für mich da. Sie sprechen nicht viel. Sie sitzen ohne viel Energie da und machen Kreuzworträtsel oder lesen ein Buch mit Happy End. 

Parker bringt jedes Mal ein kleines Geschenk mit. Sei es eine Karte die er während dem Unterricht gebastelt hat oder eine Plastikrose. Das erste Mal kam er mit einem wunderschönen Blumenstrauss, doch der wurde Ihm aus den Händen gerissen bevor er die Station betreten konnte. Echte Blumen seien voller Bakterien und würden mich nur noch kränker machen. Aber das wussten wir beide nicht. Jetzt sind es halt Plastikblumen. 

Aber ganz egal was, jede Geste bedeutet mir die Welt. Mein Herz schlägt schon schneller, wenn er den Raum betritt. 

Und Layla bedeutet mir sowieso die Welt. Bei ihr brauche ich gar nicht anzufangen. 

Aber die anderen vermisse ich schon langsam. 

Es hiess ein Monat. Ein Monat hätte ich hier eingesperrt werden sollen, doch jetzt ist schon Tag Nummer 96. 

Und es geht mir nicht besser! 

Ich mag nicht mehr. Mir fehlt die Kraft. Ich kann mich noch nicht einmal bewegen. Ich kann nicht selber aufs Klo oder mich selber füttern. Seit ich hier bin habe ich 15kg verloren. Ich habe mir schon oft vorgestellt, wie es wäre, einfach gehen zu können, aber ich kann nicht einfach so aufgeben. Das bin nicht ich. Ich bin eine Kämpferin. Und ich werde diesen Krebs besiegen! 

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Ich erinnere mich an einen ganz bestimmten Tag. Es war im ersten Monat hier und ich hatte Depressionen, weil mir gerade die Haare ausfielen. Mir ging es gewissermassen gut. Ich lag im Bett in meinem Krankenzimmer und las in einem Buch. Ich war allein - ausnahmsweise. Es war wahnsinnig ruhig, bis es an der Tür klopfte. Parker kam herein und zog hinter sich einen Rollstuhl: "So Prinzessin, deinen Chauffeur ist da. Leg dein Buch weg und hüpf hinein!" 

Er gab mir einen Kuss und half mir bei seinem Befehl. 

Er legte das Buch auf den Nachttisch, nahm die Decke von mir weg, zog mich vorsichtig hoch und hebt ein Bein nach dem anderen über die Bettkante um mich in den Rollstuhl zu heben. Als ich bequem sass, wusste ich immer noch nicht wohin unsere Reise führt: 

"Parker? Schatz, wohin bringst du mich?" 

"Das wirst du gleich sehen.", meint er und gibt mir ein kleines Küsschen auf den Kopf. Sofort erscheint ein Grinsen auf meinem Gesicht und mein Herz beginnt zu pochen. 

Er fährt mich direkt in den Konferenzraum des Krankenhauses. Ich war noch nie drinnen, es gab auch nie einen Grund dazu, aber ich weiss dass da eigentlich immer gestuhlt ist und selten was lauft. Doch jetzt hört man von draussen schon viele Stimmen die wild durcheinander reden. Irgendwie erinnert mich dieses Geräusch an die High School. Wenn man in den Pausen durch die Flure geschlendert war. Ruhig wars nie. Es war immer so voller Leben. Parker macht die Tür auf und als er mich hinein fährt bleibt kurz mein Herz stehen. 

Mein Kinnladen klappt hinunter. Es gibt nur eine Reihe mit Stühlen und hinter jedem Stuhl steht jemand mit einem Rasierer. Und da kommt auch schon Ben auf uns zu... Mit Glatze! "Da seid ihr ja!" 

Nochmals Schock. Ich halte schnell meine Hand vor den Mund bevor ich beginne ihn auszulachen. 

"Jaja, lach nur, das ist nur für dich, klar.", rechtfertigt er. 

"Für mich?", ich zeige mit dem Finger auf mich selbst. 

"Ja, für dich.", erklärt mir Ben: "Layla und Parker hatten die Idee. Wir sammeln Haarspende, in der Hoffnung, dir dabei zu helfen. Die halbe Schule ist da."

Ich bin mega geflasht. Ich weiss nicht was ich sagen soll. Sie schneiden sich alle die Haare ab und das nur für mich. Auch wenn ich es nie jemanden so direkt erzählt habe, hatte ich furchtbare Angst davor meine Haare zu verlieren. Es geht nicht nur um Haare, es geht da um einen Teil von mir den ich dabei verliere. Aber durch diese Aktion gewinne ich wieder Vertrauen zu mir selbst. Parker schiebt mich näher ans geschehen, zu Laurel, die sich gerade auf einen der Stühle gesetzt wird: "Neeeeeeinnn, ich möchte nicht. Ich liebe meine Haare. Ich möchte die nicht verlieren." 

"Jetzt reiss dich doch mal zusammen, du Heulsuse!", lacht Conner und drückt den einschalt Knopf seiner Maschine. 

"Weisst du eigentlich wie lange es dauern wird, bis die wieder so lang sind?" 

"Keine Ahnung, finden wir es raus.", meint Conner und schon fällt die erste Haarsträhne zu Boden. Und wenn man genau hinsieht, würde man wahrscheinlich eine kleine Träne erkennen. 

"Hey, Taylor, schön bist du da.", ruft mir Conner zu. 

Ich werde von allen schön begrüsst und es ist wirklich fast die ganze Schule hier. Auch ein paar Lehrer. Und alle schneiden sich die Haare ab. 

Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages die ganze Clique mit Glatze sehen würde. Und das diese Aktion so Spass macht, hätte ich auch nicht erwartet. Das letzte Mal als ich so gelacht habe, war ich noch nicht hier eingesperrt. 

Und es wird noch besser. Es sind nicht nur wahnsinnig viele Schüler und Lehrer hier, sondern noch so viel mehr. Familien, Familien von Freunden, ein paar Kinder vom Waisenhaus welches ich mit Ben dazumal renoviert habe und was mich auch wahnsinnig freut ist der Besuch von Silas. Es sind wirklich alle hier. 

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Dieser Tag war so schön und seither konnte ich nicht mehr so sehr lachen. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. 

CancerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt