Rosalie
Als ich am nächsten Tag nach Hause laufe, fliegen meine Gedanken wie ein Schwarm Bienen um mich herum.
Ich bin so versunken, dass ich eine Laterne anremple und mich danach bei ihr entschuldige.Es ist lange Zeit her, dass sich meine Gefühle gegenüber eines Mannes mischen. Sie sind nicht nur negativ und das setzt meinen Kopf zu.
Denn trotzdessen, dass er mich gestern ohne Wort hat stehen lassen, war er zuvor nett und witzig und hat keinen blechernen Kommentar über meinen Körper verloren.
Ich vertraue ihm nicht. So naiv werde ich nicht sein. Aber ich misstraue ihm auch nicht und das macht mich rasend.Das Problem liegt in unserer ersten Begegnung. Hätte er mich auf der Straße einfach angesprochen, wäre er für mich jetzt einer von vielen anderen.
Aber es ist anders abgelaufen. Er hat mir das Leben gerettet und mich danach angesprochen und egal wie groß sein Ego je sein sollte, ein ganzes Arschloch, wird er nie sein können.Ich weiß nicht, wie ich ihn einschätzen kann. Es ist zu surreal, dass mich jemand, wie er, seit Tagen anspricht und wir uns unterhalten.
Aber ich merke, wie ich Gefallen daran finde, so dumm es auch ist.
Gespräche über das Leben, kleine Witze und Worte, die unbedeutender nicht sein könnten, haben mir gefehlt.Wir sind keine Freunde. Wir sind einfach nur zwei Menschen, die sich über Belangloses unterhalten und damit Zeit verschwenden. Es klingt perfekt, wirft aber Fragen auf.
Wieso sind seine Reaktionen manchmal so verwundert, nur weil ich seinen Namen nicht kenne und sein Gesicht für genauso unbedeutend halte, wie mein eigenes?
Klar, er ist vielleicht hübscher als manch anderer, aber bekannt kommt er mir nicht vor.
Wer also versteckt sich hinter meiner Prinzessin?Ich werde eine Antwort aufschieben müssen. Denn auf meinem Plan des Tages, stehen heute in erster Linie Kim, Lucy und ihre DVD Kiste im Wohnzimmer.
Wir drei wollen einen Filmabend machen und ich sollte mich in einer knappen Stunde zu ihnen begeben.
Mit meinem Kopf habe ich langsam keine Probleme mehr, vereinzelt liegen mir Sätze noch wie verknotete Kopfhörer im Kopf, aber es bessert sich von Sekunde zu Sekunde und ich bin längst wieder belastungsfähig.
Zu meinem Glück ist auch die Wunde an meinem Hinterkopf verheilt und eine Robe verhindert das Fließen von Blut.
Wäre es anders, würde ich heute Abend noch Stress mit Kim bekommen, die bei jeder Kleinigkeit nicht pingeliger sein könnte. Besonders bei Verletzungen gibt es bei ihr keine Stufen der Vorsicht. Jede Wunde ist gefährlich und natürlich hat sich damit nicht Unrecht.
Aber nach all den Jahren, nach all der Zeit, in denen ich täglich neue Wunden hatte, ist mir der eine Tropfen Blut nicht mehr so wichtig.
Ich sehe keine Dramatik mehr hinter dieser Flüssigkeit, auch wenn ich ihren Anblick nicht ertragen kann.Zur Wohnung meiner beiden Freunde, dauert es nicht lange. Knappe zwanzig Minuten muss ich durch die Straßen waten, die von der Sonne in ein fruchtiges Orange geworfen werden und die letzten Sonnenstrahlen in sich aufsaugen, bis ich bei ihnen ankomme.
Soweit ich weiß, leben sie schon seit mehreren Jahren zusammen und kurzweilig bestand der Wunsch, dass ich auch noch in ihre vier Wände ziehe.
Wie ich den Hundeblicken entkommen bin, weiß ich nicht mehr, aber getan habe ich es nur zum Schutz.
Zum Schutz vor mir selbst.
Zum Schutz vor roten Augen.Ich habe mir geschworen, meine Freunde nicht in meine Probleme hineinzuziehen und ihnen davon zu erzählen.
Sie glauben, ich sei einfach nur ein total verpeilter Mensch mit prickelnder Angst, weil ich mich, wo auch immer wir sind, erschrecke und zu zittern beginne. Sie lachen darüber, klopfen mir verspielt auf die Schulter und ahnen nicht, was sich hinter diesen Komplexen verbirgt.
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ROSE - Warum weinst du?
RomanceInhalt: Seit ihre Mutter sie verließ, besteht das Leben der jungen Rosalie aus ihrem betrunkenen, gewalttätigen Vater und einem Haufen aus Scherben. Als sie mit der Angst flieht, ihn jemals wieder sehen zu müssen, und nach New York kommt, ist ihr...