Party oder was?

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Das Klinikum am Urban war nicht besonders schön, aber hier zu arbeiten war einer der größten Schritte den Laura je gewagt hatte. Vor 4 Jahren war sie von Tinnum nach Kreuzberg gezogen, hatte dort ihre jetzige Mitbewohnerin Caro kennengelernt und ihren Beruf als Krankenschwester im Vivantes Klinikum am Urban wieder aufgenommen. Hier wurde sie größtenteils in der Notaufnahme eingesetzt. Wer Kreuzberg und andere umliegende Bezirke kennt, weiß, dass Prügeleien und andere Unfälle nicht selten sind.
Platzwunden, Frakturen, auf- und teilweise sogar abgeschnittene Finger...alles mögliche traf hier Schicht für Schicht ein. Besonders an Feiertagen oder Wochenenden konnte man sich darauf einstellen, dass die Notaufnahme knüppelvoll war.
Weihnachten hatte Laura ein Glück noch frei gehabt, Silvester jedoch hatte die Nachtschicht.
„Wir machen es so: du gehst arbeiten und danach gehen wir schön feiern! Ins Watergate oder so..." rief Caro durch die ganze Wohnung an Laura gerichtet.
„Caro, ich weiß nicht ob du weißt wie anstrengend so eine ganze Nachtschicht an Silvester ist, aber ich bezweifle, dass ich danach noch feiern gehen kann." kam etwas leiser zurück. Es war zwar schon 16 Uhr, aber Laura lag noch im Bett. Immerhin würde sie die Nacht kein Auge zumachen können, also musste der Schlaf „vorgeholt" werden.
„Na klar, mit ein paar Red Bull und meiner Motivation bekommen wird das schon hin, glaub mir mal!" trällerte es wieder zurück. Viel zu wach und viel zu motiviert, war alles was Laura darauf einfiel.
Im nächsten Moment kam Caro auch schon im kompletten Partyoutfit in Lauras Zimmer stolziert.
„Ich geh jetzt schonmal vorglühen mit den anderen und wir schreiben und dann kommst du nach, okay?" Zwei Knutschgeräusche flogen durch den Raum und Laura nickte nur in ihr Kissen.
„Guten Rutsch!" schrie es nochmal durch die Wohnung eh die Haustür zufiel. Danach sank Laura noch einmal in den Schlaf.

Als 22 Uhr der Wecker klingelte fühlte sich die Sylterin wie erschlagen. Die Schicht sollte heute von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr gehen und Laura hatte gar keine Lust. Sie machte sich schnell einen Zopf, zog sich gewöhnlich an, packte ihre Tasche und machte sich auf den Weg zum Klinikum. Ihre Kollegin Luisa begrüßte sie im Vorbeilaufen und kaum war Laura in ihre Arbeitskleidung geschlüpft ging es auch schon los. Die ersten Böller-Unfälle vom Nachmittag trafen ein und zusätzlich noch andere Leute die sich irgendwie verletzt hatten und möglichst vor 0 Uhr wieder das Klinikum verlassen wollten.
Fast schlimmer als der ganze Stress durch die überfüllte Notaufnahme war, dass die Mit Meisten betrunken und zusätzlich gleich mit der ganzen partywütigen Gruppe auftauchten.
Nach einer Stunde hörte man von draußen die Feuerwerke und lautes Gejubel. Es war Mitternacht. Auf das Anstoßen wurde zwar verzichtet, aber eine kleine Umarmung zwischen den Kollegen war noch drin. Danach verging die Zeit wie im Flug. Gegen 3 Uhr wurden es langsam weniger Patienten. Gegen 4 Uhr fieberten alle sehnlichst dem Feierabend entgegen. Gegen 5 Uhr war die Notaufnahme so gut wie leer.
Gerade als Laura sich zum ersten Mal für diesen Abend kurz hinsetzen wollte, öffnete sich die Automatiktür wieder. Ein junger Mann kam herein. Er war eindeutig betrunken und sein grauer Mantel hing nur auf seiner Schulter. Um seine Hand war ein T-Shirt gewickelt und vor der Tür standen seine drei Kumpels, welche sich lauthals über die Situation amüsierten.
„Wie kann man helfen?" fragte Laura leicht genervt. Natürlich sah er gut aus und eigentlich müsste sie wesentlich höflicher sein, aber es war kurz vor Feierabend und er war sowieso zu betrunken um mitzubekommen, wie genervt die war.
„Mir is' hier ‚nen klitzekleines Missgeschick passiert!" meinte er und klang nüchterner als er aussah.
„Wie ungefähr jedem, der heute Abend hier herkommt!" meinte Laura emotionslos und beobachtete gespannt seine Hand um zu erfahren was hinter dem T-Shirt steckte.
„Mitkommen!" meinte sie und führte den jungen Mann zu einer der Liegen. Sie deutete ihm an sich hinzusetzen. Je länger sie ihm ansah, desto bekannter kam er ihr vor, aber sie konnte ihn nicht zuordnen...
„Bitte das T-Shirt entfernen!" sagte sie und wartete ungeduldig auf die Enthüllung.
„Wenn das hier immer so läuft, komm ich öfter!" Betrunken wie er war, fing der Mann an sich sein eigenes Shirt auszuziehen.
„Nicht das Shirt, sondern das von der Hand!" meinte Laura beinahe widerwillig, denn es war nicht gerade der schlechteste Ausblick, den er ihr geboten hatte.
„Oooooh achso natürlich!" murmelte er, schien aber kein bisschen peinlich berührt zu sein. Stattdessen fummelte er sein Shirt wieder an und das andere langsam ab.
Unter dem mittlerweile rot eingefärbten Shirt versteckte sich ein klarer Schnitt auf der Handinnenfläche, fünf aufgeschlagene Knöchel und ein kleiner ziemlich sicher gebrochener Finger.
Laura zog kurz die Luft ein.
„Alles klar, wir röntgen die Hand fix, nähen den Schnitt und dann gucken wir weiter!"
„Alles klar Frau Krankenschwester!" nickte er bloß und salutierte ihr zu.
„Ich bräuchte noch kurz ihren Namen und so weiter um das Formular auszufüllen!"
„Brauchen sie dafür auch meine Handynummer?" zwinkerte er ihr zu. Wäre er nicht so betrunken, hätte sich Laura geschmeichelt gefühlt, aber sie wusste, dass er sich in ein paar Stunden an nix erinnern können würde.
„Nein, aber eine Erklärung wie es dazu kommen konnte und vor allem: den Namen!"
Mit dem Korb hatte er wohl nicht gerechnet. Gespielt verletzt griff er sich mit der gesunden Hand an seine Brust.
„Das tat weh. Gegen meinen Namen, will ich aber deinen haben." grinste er nun frech. Dann reichte er ihr die gesunde Hand. „Ich bin Tarek und du?" Woher kannte sie den Namen jetzt auch noch. Das Weed hatte Ihre Vergesslichkeit nicht gerade verbessert dachte sie sich.
„Laura." lächelte sie schief. Es war schwer seinem Charme zu widerstehen. „Und wie ist das hier passiert, Tarek?"
„Na sagen wir mal so. Da war dieser Vollidiot und er wollte unser Bier klauen. Na da haben wir natürlich nicht lange gewartet. Hab mich natürlich gleich für alle eingesetzt und bin den angesprungen. Maxim wollte mich noch zurückhalten, aber du siehst es ja: ich bin ein Tier! Nur hatte der eine plötzlich schon die Bierflasche in der Hand und hat mir das Ding in die Hand geschleudert. Und dann war's auch schon vorbei!"
Wissend nickte Laura und musste sich ein Grinsen verkneifen. Dann brachte sie Tarek zum Röntgen.
Kurz bevor die Hand fertig war, vibrierte ihr Handy.
Die Party war sauöde. Ich komm dich abholen, hast ja gleich Schluss."
Caro war also auch auf dem Weg.
Nach einer halben Stunde war Tareks Schnitt genäht und die Hand so eingegipst, dass der kleine Finger schnell heilen konnte.
„Danke dir, Laura! Hoffentlich sieht man sich mal schnell wieder! Nur eben nicht hier..." lachte Tarek und zog sie in eine Umarmung. Vielleicht lag es am nahenden Feierabend oder an diesem neuen Jahr, aber irgendwas löste die Umarmung in ihr aus. Schnell entfernte sie sich von ihm und während er die Klinik verließ, ging Laura schnell zur Übergabe. Endlich Feierabend...

Nachdem alles geschafft war ging Laura in den Empfangsbereich und hörte von drinnen schon Caros laute Lache. Wen zur Hölle, hatte sie denn schon wieder aufgegabelt?!
Sie hatte kaum einen Schritt aus der Tür gemacht, da sah sie Caro zwischen den drei Wartenden sitzen und Tarek stand neben ihnen während er sich gerade eine Kippe anzündete.
„Was ist hier los?" fragte Laura und wurde dank der frischen Luft tatsächlich etwas wacher!
„Erstmal: frohes Neues! Und ich hab hier grad die liebsten Jungs von K.I.Z. getroffen und erfahren, dass du Tarek praktisch die Hand gerettet hast!"
K.I.Z.? Wie genau hatte Laura Tarek nicht Wiedererkennen können? Wie genau hatte sie nicht wissen können, dass die gesamte Gruppe so gut aussah? Verwirrt guckte Laura jeden einzelnen an, blieb bei Tareks Kippe hängen und zog sie ihm aus der Hand um einen Zug zu nehmen.
„Die Frau..." meinte der bloß überrascht.
„Ich hab gehört wir machen jetzt noch schön Party oder was?" fragte der Mann, welchen Laura als Maxim identifizieren konnte, der oben ohne (es war wohl sein Shirt um Tareks Hand gewesen) neben Caro saß und ihr die Flasche Champagner reichte.
Das konnte noch ein langer Tag werden...

Kreuzberg 361Where stories live. Discover now