08 - Aufbruch zu Unbekanntem

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Mittlerweile war es Spätherbst geworden. So wie jeden Morgen in den letzten Tagen, waren auch an diesem die Gräser der Plains von einer dünnen Frostschicht eingehüllt. Der erste Schritt aus dem warmen Thípi hinaus in die Kälte bedurfte von Tag zu Tag einer größeren Überwindung, und mir wurde immer klarer, wie wichtig nun ein wärmendes Feuer werden würde.

Die Sonne war gerade erst im Osten aufgegangen und es sah ganz danach aus, dass es auch heute wieder ein schöner Tag werden würde, auch wenn in der Ferne einige Wolken am sonst blauen Himmel unterwegs waren. Die Atemluft bildete so früh am Morgen kleine Dunstwölkchen vor unseren Gesichtern, und auch unsere Finger wurden so früh morgens schnell klamm. Der Winter rückte mit jedem neuen Tag spürbar näher und näher.

Wir waren gerade alle damit beschäftigt die Zelte abzubrechen. Naja, zumindest die Frauen und Kinder. Die Männer hatten gestern im Rat beschlossen, dass es nun an der Zeit war das Dorf von den Weiten der Plains in die sicheren Schluchten der Berge zu verlegen, in denen wir von den bald kommenden Stürmen geschützt lagern konnten. Der Weg zu unserem Winterquartier würde weit werden, und Takchawee hatte mir erzählt, dass es mehrere Tage dauern würde, bis wir dort angelangt sein würden.

Die Vorstellung mehrere Tage neben den Pferden herlaufen zu müssen, erfüllte mich nicht gerade mit Vorfreude, vor allem nicht mit diesen Stiefeln. Schon der Gewaltmarsch, den wir zurückgelegt hatten um auf Büffeljagd gehen zu können, war gelinde gesagt eine Herausforderung gewesen. Und jetzt, da die Kälte begann den Prärieboden zu überziehen, hatte ich mein Schuhwerk mit Gras ausgestopft. Kimimila Sápa hatte mir gesagt, dass es so wärmer wäre und es stimmte, das trockene Gras in den Stiefelt schützte tatsächlich vor der Kälte, auch wenn es das Gehen nicht gerade vereinfachte.

Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, ich beschwerte mich in keinster Weise über mein Los. Es grenzte schon an ein Wunder, dass ich nach all dem, was mir widerfahren war, was ich in diesem Zeitalter erlebt hatte, noch am Leben war. Mal abgesehen davon, dass es trotz aller Entbehrungen und Kraftanstrengungen ein sehr gutes Leben war, das ich hier bei den Lakota lebte.

Kimimila Sápa und ich packten schon seit dem die Sonne aufgegangen war unsere Sachen und schnürten sie in Bündel zusammen. Kaum war das getan, begannen wir mit einigen anderen Frauen damit, gemeinsam die Thípis zu zerlegten. Aus den langen Holzpfählen bauten wir wieder Schlitten, auf denen dann unsere Sachen verstaut wurden, und die von den Pferden gezogen wurden.

Im Prinzip war es diesmal auch nichts anderes, wie bei unserem Aufbruch zur Büffeljagd, nur dass mir diesmal ein weiterer Fußmarsch bevorstehen würde, als beim letzten Mal.

Ganz in meine Gedanken und meine Arbeit vertieft, redete ich kaum ein Wort, und achtete darauf, dass ich alles so machte, wie es mir meine Gastmutter beim letzten Mal gezeigt hatte. Keine Ahnung warum, aber tief in meinem inneren wollte ich sie stolz machen und ihr zeigen, dass ich dankbar dafür war, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein.

Kimimila Sápa beobachtete mich mit einem freundlichen Lächeln, als ich meine Arbeit beendete und sogleich unseren Nachbarn hilfreich zur Seite stand. Hier arbeiteten alle Hand in Hand, war das WIR wichtiger als das ICH, und genau in diesem Gemeinschaftssinn lag die Stärke der Lakota. Auch ich hatte das verstanden und handelte danach.

Genauso wie bei unserem letzten Aufbruch dauerte es auch heute nicht lange, bis das Lager abgebaut und auf die Rücken Packpferde verteilt, oder auf den Schlitten verstaut war, die sie zogen. Ich wusste, dass wir Richtung Berge ziehen würden, zu den Black Hills, und ich freute mich schon darauf, einmal etwas anderes zu sehen, als dieses ewige Grasmeer.

Zwar war Prärie in ihrer Ungezähmtheit atemberaubend schön, dennoch vermisste ich den Anblick von Bergen und großen Wäldern. 

Kimimila Sápa hatte sich schon auf ihr Pferd geschwungen und unterhielt sich mit einer Frau aus unserer Nachbarschaft, die ebenfalls schon bequem auf ihrem Pferd saß. Ich würde den ganzen Weg neben dem Schlitten herlaufen, auf dem unser Thípi festgezurrt und unsere Sachen verstaut waren. Zwar freute ich mich nicht besonders darüber und wäre auch viel lieber geritten, aber ich beklagte mich deswegen auch nicht. Es hätte sowieso nichts gebracht, und sich wegen Dingen aufzuregen, die man nicht ändern kann, war sowieso nur vergebene Liebesmüh.

Wie eine Feder im Wind - Die weiße LakotaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt