28 - Der Fluss der Zeit

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Zeit.

Was genau ist Zeit eigentlich? Was definiert sie? Wo kommt sie her?

Gibt es sie wirklich, oder ist sie nur ein von Menschen erfundenes Konstrukt?

Und warum bedeutet sie teilweise alles, und dann wiederum nichts?

Eigentlich ist Zeit nicht mehr als eine physikalische Gößeneinheit, welche die Abfolge von Ereignissen beschreibt. Und doch bedeutet Zeit für jeden etwas anders, auch wenn sie immer gleich verläuft, im selben unaufhaltsamen Strom, dem sich nichts und niemand in den Weg zu stellen vermag. 

Selbst von dem Standpunkt aus gesehen, dass sie an sich nicht veränderbar ist, fühlt sich der Fluss der Zeit niemals gleich an, für niemanden. Manchmal rinnt sie einem wie Sand unaufhaltsam durch die Finger, während es im nächsten Moment beinahe so ist, als wolle sie überhaupt nicht vergehen, oder würde sogar rückwärts laufen.

Jedem von uns ist es vermutlich schon öfter so gegangen, und kennt somit dieses Gefühl mehr als nur zur Genüge.

Für mich war es jedoch am Schlimmsten, wenn ich sehnsüchtig auf etwas gewartet habe. Dann schien die Zeit immer still zu stehen. Ganz egal um was es sich dann im Speziellen handelte. Ein Wiedersehen, ein freudiges Ereignis, oder einfach nur um ein lange ersehntes Päckchen von der Post.

Hier und jetzt ging es mir nicht anders.

Seit die kleine Gruppe von Männern das Lager verlassen hatte, um sich auf den Weg zu den Pahotcha im Südosten zu machen, saß ich wie auf Nadeln. Schließlich wurden sie nur meinetwegen zu dieser benachbarten Stammesgruppe geschickt.

Ich war es gewesen, die dem Häuptling diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte, was für mich die Sachlage nicht gerade vereinfachte. Falls ihnen etwas geschehen sollte, wäre es ganz alleine meine Schuld.

Immer wieder zweifelte ich daran, ob es so eine gute Idee gewesen war, unsere Späher, zu einem der Iowa-Stämme zu entsenden. Obwohl so gesehen waren unsere Männer nicht nur als Späher unterwegs.

Mein Vater hatte sich gut überlegt, wen er auf diese Mission geschickt hatte. Schließlich ging es hier um viel mehr, als es auf den ersten Blick ersichtlich war.

Matȟó Wikčémna hatte schon immer ein Talent gehabt zwischen den Zeilen zu lesen, ganz egal wie belanglos eine Konversation auch immer schien. Das war bei unserem Gespräch bezüglich dieser seltsamen Spuren im Gras nicht anders gewesen.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Ozuye Tȟáŋka den kleinen Trupp anführen würde, doch war es nicht er, den mein Vater entsendet hatte, sondern Waŋblí.

Er war auserwählt worden, mit den Pahotcha zu sprechen.

Ich wusste, dass er Ozuye Tȟáŋkas bester Freund war. Genauso wie mein Mann war auch er ein hervorragender Krieger, und sehr geschickt im Umgang mit Waffen. Doch ganz im Gegensatz zu ihm, war Waŋblí kein geborener Anführer, auch wenn er eine beeindruckende Ausstrahlung besaß, die schon so mancher Frau hier weiche Knie beschert hatte.

Doch Waŋblí besaß eine besondere Gabe. Eine, die uns hier mehr als nur gelegen kommen würde. Er konnte geschickt und klug taktieren. Es schien ihm unglaublich leicht von der Hand zu gehen seine eigenen Ziele zu erreichen, und das, ohne sein Gegenüber jemals zu verärgern.

Schon öfter war ich Zeuge von seinem Verhandlungsgeschick geworden, und selbst, als er seine Frau dabei erwischt hatte, wie sie ihn mit einem anderen Krieger betrogen hatte, war er ruhig geblieben.

Gerade in dieser mehr als nur aufwühlenden und erniedrigenden Situation hatte er die Ruhe bewahrt, und war überlegt und souverän aufgetreten. Mir war auch noch nie zu Ohren gekommen, dass er überstürzt oder im Affekt gehandelt hätte. 

Wie eine Feder im Wind - Die weiße LakotaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt