40 || Letzter Hoffnungsschimmer

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"- und aus diesem Grund bitten wir Sie um eine Schweigeminute für den Schüler Will Johannson." Die Durchsage der Direktor brach daraufhin ab und es herrschte ein unerträgliches Schweigen im Klassenzimmer.

Ich schluckte und ließ den Kopf sinken, um die Augen zu schließen. Eigentlich hatte ich mich zuerst geweigert, heute in die Schule zu gehen. Dereck hatte allerdings gemeint, dass es sicherer wäre, wenn ich in seiner Nähe wäre. Er hatte immerhin noch Azael.

Außerdem befanden sich in der Schule Unmengen an Menschen, weshalb ich bezweifelte, dass Sinan und Paola hier in der Öffentlichkeit einen Angriff starten würden. Ich war mir sicher, dass sie nicht unbedingt auffliegen wollten.

Vor dem Unterricht hatte ich sie kurzzeitig gesehen, aber sie haben mir keinerlei Beachtung geschenkt, als wäre nichts geschehen. Ich hatte sie die ganze Zeit lang angestarrt, bis mich Dereck von ihnen weggezogen hatte.

Vor meinem inneren Auge sah ich immer noch das Bild von Wills abgetrenntem Kopf und all dem Blut, das sich um seinen Körper verteilt hatte. Deshalb habe ich mich heute Nacht in der Toilette erneut übergeben müssen, was zum Glück niemand aus meiner Familie mitbekommen hat.

Aleyna und Wendy haben heute kaum mit mir gesprochen. Nachdem ich sie gestern angeschrien hatte, schienen sie nicht besonders an einem Gespräch mit mir interessiert zu sein. Sie waren zwar weder gemein zu mir noch ignorierten sie mich, aber sie waren nicht so voller Lebensfreude wie an jedem anderen Tag.

Glenn hatte von unserer kleinen Auseinandersetzung überhaupt nichts mitbekommen. Zwar hatte er die bedrückte Stimmung bemerkt, aber dafür hatte er zur Aufheiterung begeistert von seinem neuen Videospiel erzählt.

Dann haben wir im Unterricht von Mr. Tanner die Nachricht erhalten, dass Will von uns gegangen ist. Er hatte keine Details zu seinem Tod offenbart, aber dafür kannten Dereck und ich diese bereits - obwohl ich mir eigentlich wünschte sie wieder zu vergessen.

Ich öffnete die Augen und schaute zur Wanduhr. Die Sekunden schienen wie in Zeitlupe zu vergehen, denn diese Minute zog sich in die unerträgliche Länge. Obwohl es eine digitale Uhr war, schien ich tief in mir das ohrenbetäubende Ticken wahrzunehmen und zu spüren. Es trieb mich in den Wahnsinn.

Rasch wandte ich meinen Blick ab und schaute stattdessen zu Dereck, der wie jeder andere auch den Kopf gesenkt hielt und in seinen Schoß starrte. Wir hätten Will retten können, aber dabei hätten wir unser eigenes Leben riskieren müssen.

Wenn Dereck eingegriffen hätte, dann hätte heute vielleicht eine Durchsage mit seinem Namen die ganze Schule erschüttert. Ich biss die Zähne zusammen. Daran wollte ich gar nicht denken. Wenn ich eingegriffen hätte, wäre ich mit Sicherheit binnen der ersten Sekunden tot gewesen.

Dereck sah dann zu mir und hob die Mundwinkel leicht an, um mich aufzumuntern. Ich schüttelte nur kaum merklich den Kopf, woraufhin er die Lippen fest aufeinander presste und die Augen schloss.

Er hatte mich heute Morgen direkt in den Arm genommen, als ich in die Schule gekommen bin. Ich genoss seine Umarmungen, denn sie waren voller Wärme und Fürsorge und erinnerten mich deshalb irgendwie an Kris.

Nein, den Gedanken musste ich sofort wieder aus meinem Kopf verbannen.

"Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit", schallte plötzlich durch die Lautsprecher und ließ einige Schüler vor Schreck zusammenfahren. "Ende der Durchsage."

Daraufhin breitete sich ein Aufatmen in dem ganzen Klassenzimmer aus. Ich richtete mich in meinem Stuhl auf und stieß ein erleichtertes Seufzen auf, dass endlich diese ewige Minute vorbei war.

"Aufgrund des Vorfalls wird heute auch kein Unterricht stattfinden", verkündete Mr. Tanner und nickte anschließend. "Deshalb werdet ihr für den restlichen Schultag entlassen."

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