Kapitel 72 - Déjà-vu

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Als er nach Hause kam, war Jaz bereits in Aufbruchsstimmung. „Hast du heute was vor?", fragte er.

„Ich dachte, ich melde mich bei Poss", meinte Falrey.

Jaz nickte. „Dann brauch ich nicht auf dich zu warten."

Falrey schüttelte den Kopf, worauf Jaz sich aus dem Staub machte. Er selbst ass Reste und machte sich dann ebenfalls auf den Weg. Die Sonne war untergegangen, es begann dunkel zu werden, als er das Haus des Diebes erreichte, und er sah gerade noch, wie Poss seine Haustür abschloss und davonging. Er beschleunigte seine Schritte, um ihn einzuholen, wobei Poss sichtlich zusammenzuckte, bevor er ihn erkannte.

„Verzeihung, dass ich nicht eher konnte", meinte Falrey ohne Begrüssung.

Poss winkte ab, während er eine Surati aus seiner Gürteltasche nahm und hineinbiss. „Gibt schlimmeres. Ich bin mich ohnehin eher gewohnt, alleine zu arbeiten."

Einige Atemzüge lang gingen sie schweigend, dann fragte Falrey: „Bist du an etwas neuem dran?"

„Nein", antwortete Poss. „Und ich hab auch gerade keine Verwendung für dich, ausser du willst dich auf eigene Faust nach einem neuen Ziel umsehen." Er biss ein Stück Surati ab und kaute. „Aber wenn du noch ein Stück mitkommen möchtest, kann ich dir Marella vorstellen. Die Freundin, von der ich dir neulich erzählt habe. Sie war sehr neugierig, als ich dich erwähnte."

Falrey wusste nicht wirklich, was das bringen sollte, andererseits interessierte es ihn schon irgendwie, was das für eine Frau war, die Poss derart ins Schwärmen brachte. Deshalb zuckte er mit den Schultern und nickte.

Sie schlenderten durch die ruhigen Wohnquartiere östlich des Min und erreichten schliesslich die Het-Speiche. Auf der tagsüber völlig überlaufenen Strasse war nicht mehr viel los um diese Zeit, aber sie wurde gesäumt von grossen Gasthäusern für die Händler aus aller Welt, die sich hier einquartierten, während sie ihre Ware auf den nahen Märkten verkauften. Poss steuerte eines der Gebäude an, dessen Fenster hell erleuchtet waren, und trat ein. Der Geruch von Essen, der Falrey entgegenwaberte, liess seinen Magen knurren, noch bevor er die Schwelle überschritten hatte. Trotz seiner Grösse wirkte das Lokal gemütlich, an den Tischen sassen Gruppen von Händlern und Reisenden, nahmen ihr Abendessen zu sich, stiessen auf gemachte Geschäfte an oder vertrieben sich die Zeit mit Kartenspiel. Poss schritt zwischen ihnen hindurch, begrüsste den Wirt an der Theke, der ihm freundlich zunickte, und erklomm dann die Treppe am hinteren Ende des Saals, die in die oberen Stockwerke hinaufführte.

Im zweiten Stock hielt Poss inne und drehte sich zu Falrey um. „Ich weiss nicht genau, was du dir für Umgangsformen gewohnt bist", meinte er. „Aber Marella ist keine von den Huren, die du auf der Strasse antriffst. Sie ist eine Dame mit Stil. Also sei anständig."

Falrey nickte nur. Nicht, dass er etwas anderes vorgehabt hätte, aber schliesslich wusste Poss nichts über seinen Hintergrund, er kannte nur Jaz. Und auch wenn der sich zumindest Frauen gegenüber im Allgemeinen korrekt verhielt, war sein Verhalten doch nicht unbedingt, was man als anständiges Benehmen bezeichnen konnte.

Er folgte Poss, als er den kurzen Korridor hinunterging, an eine Tür klopfte und eintrat. Das erste, was Falrey auffiel an der Wohnung dahinter, war ihre Grösse. Der Raum, in den sie eintraten, war sicher doppelt so gross wie Emilas Küche und Durchgänge an der Rückwand gaben den Blick frei auf zwei weitere Zimmer, während sich auf der rechten Seite ein dünner Vorhang im leichten Wind bauschte, der über einen Balkon von draussen hereinstrich. Das zweite war die Einrichtung, die sich in Bezug auf Geschmack durchaus mit dem Eingangsbereich des Taubenhauses messen konnte. Teppiche bedeckten gute Teile des Bodens, entlang der Wände reihten sich mehrere Kommoden, über denen ein Bild hing, das eine sanftgeschwungene Küstenlandschaft mit Kiesstränden zeigte. Die Mitte des Raumes wurde eingenommen von zwei gepolsterten Sofas und einem niedrigen Tischchen, das den Bereich dazwischen ausfüllte.

Niramun II - Mörder und BastardWhere stories live. Discover now