5. Kapitel

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Keiner spricht ein Wort. Der Schock sitzt einfach zu tief. Das hätten wir nicht erwartet. Man hätte zwar mal an diese Möglichkeit denken können, doch ich glaube, allein beim Gedanken daran wäre uns schlecht geworden. Jetzt wissen wir es und ich sehe, wie meiner Mom Tränen in die Augen treten.

„Ähm", komme ich zu Wort, wobei sich meine Stimme krächzend anhört. „Ist dieser, ähm, Tumor... Ist der gut- oder bösartig?" Darauf antwortet Dr. Hudson ruhig, um es mir schonend beizubringen: „Im Moment verursacht der Tumor nicht mehr als die Kopfschmerzen. Allerdings werden diese ja, wie Sie bereits gesagt haben, immer häufiger. Ein Glioblastom ist wirklich bösartig. Wir sollten Sie also so schnell wie möglich operieren. Danach müssen sie sich einer Strahlen- oder Chemotherapie unterziehen, um mögliche Restzellen des Tumors zu vernichten. Ohne Therapie, dazu zähle ich auch die Operation, würde die Überlebenszeit nur zwei Monate betragen und der Tumor ist bereits am Wachsen."

Mom sieht wirklich so aus, als würde sie gleich anfangen bitterlich zu weinen. Ich kann ja verstehen, dass sie sich solche Sorgen macht. Ich bin ihr einziges Kind und wenn ich nicht mehr da sein sollte - ich sollte eigentlich gar nicht damit anfangen -, hätte sie niemanden mehr bei sich. Aber trotzdem will ich nicht, dass sie traurig ist, und so nehme ich mir vor, stark zu sein. Für sie.

„Es wäre wohl am besten, wenn wir Sie die Nacht schon hierbehalten und Sie dann gleich morgen früh operieren", spricht der Doktor weiter. Dann richtet er sich an meine Mutter. „Sind Sie damit einverstanden?" Darauf nickt sie und findet ein paar Sekunden später ihre Stimme wieder: „Ich will, dass es meiner Tochter gut geht. Sorgen Sie dafür, dass ihr nichts passiert." „Das ist unser Job", lächelt er. „Ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie nicht hierbleiben können. Aber kommen Sie doch morgen um 9 Uhr wieder. Da wird Ihre Tochter mit hoher Wahrscheinlichkeit schon wieder wach sein." Erneut nur ein Nicken.

Nachdem ich mich von Mom verabschiedet habe und sie das Zimmer verlassen hat, meint Dr. Hudson noch zu mir: „Ach, fast hätte ich es vergessen: Wir brauchen Sie morgen nüchtern. Das heißt, bitte essen und trinken Sie nach 0 Uhr nichts mehr. Gute Nacht!"

Danach bin ich komplett allein. Auch wenn ich nicht schlafen kann, wenn jemand in meinem Zimmer ist, hätte ich in diesem Moment gerne Gesellschaft. Nach dieser Diagnose brauche ich jemanden zum Reden, um mich irgendwie abzulenken. Aber da dies nicht der Fall ist, mache ich mir Gedanken um meine potentielle Zukunft.

Was wäre passiert, wenn Mom mich nicht ins Krankenhaus geschleppt hätte? Wäre ich dann irgendwann einfach ohnmächtig geworden und... Daran möchte ich schon gar nicht denken. Doch ich tue es und bekomme einen Heulkrampf. Ich bezweifle, heute Nacht einschlafen zu können, aber ein paar Stunden später fallen mir tatsächlich die Augen zu und ich bin weg.

Noch zehn Minuten, bitte! Wer auch immer mich zu dieser Uhrzeit weckt, bekommt es gleich mit mir zu tun. Na ja, wenn ich es dann geschafft habe, meine Augen zu öffnen. Um 6 Uhr stehe ich doch nicht auf! Nicht mit mir.

Dann mache ich meine Augen auf und blicke in das Gesicht einer mir unbekannter Frau und mir fällt wieder ein, dass ich mich ja im Krankenhaus befinde und wohl bald meine OP stattfindet. So wird das eine Schwester sein. „Guten Morgen. Na, sind Sie bereit?", fragt sie und ich würde gerne mit Nein antworten, halte jedoch meinen Mund. „Ich bin hier, um Sie vorzubereiten. Erst mal müssen Sie diese Art Hemd anziehen - ich weiß, ist nicht gerade stylisch, aber das müssen alle tragen, wenn sie operiert werden. Und dann geht es eigentlich auch schon los."

Na toll. Ich habe überhaupt keine Lust darauf. Am liebsten würde ich mich noch einmal aufs Ohr hauen, doch nun muss ich aufstehen und dieses hässliche Ding anziehen. Aber wenn ich genauer darüber nachdenke, hat es auch einen Vorteil, jetzt operiert zu werden. Mein Magen knurrt nämlich bereits ziemlich oft und laut. Irgendwann wäre ich deswegen wahrscheinlich sowieso aufgewacht. Nach der OP kann ich etwas essen.

Dieses Hemd würde ich auf jeden Fall nie wieder freiwillig anziehen. Nicht nur, weil es hässlich aussieht, sondern auch, weil ich mich nackt fühle. Denn der Rücken ist komplett frei. Zum Glück werde ich in einem Rollstuhl und mit einer Decke auf meinem Schoß transportiert.

Ein paar Mal werde ich einfach abgestellt und von einer anderen Person übernommen, bis ich schließlich in einem Vorbereitungsraum lande. Dort bekomme ich noch kleine Gegenstände, deren Name ich nicht weiß, an die Brust geklebt. Bestimmt werden die nachher verkabelt und so kann man meinen Herzschlag und das andere Zeugs überprüfen. Vielleicht sollte ich öfter Grey's Anatomy schauen. Ich habe ja keine Ahnung mehr!

Um mich ein bisschen zu beruhigen, fragt die Frau: „Hast du dir schon einen Traum ausgesucht?" Ich schüttele den Kopf. „Dann überlege dir schnell noch einen!" Nach ein paar Augenblicken erkundigt sie sich erneut: „Hast du jetzt einen?" Diesmal nicke ich. Ohne dass sie etwas sagt, teile ich ihr ihn einfach mit: „Ich will von meinem Lieblingssänger, der sich in mich verliebt, träumen."

Das klingt echt total bescheuert. Ich stelle mir vor, wie sich die Frau ihr Lachen verkneifen muss, aber sie sieht gar nicht danach aus. „Schön", sagt sie nur. „Wir fangen jetzt dann mal an." Und ehe ich mich versehe, werde ich bereits müde - also noch müder, als ich es überhaupt schon gewesen bin - und sinke ins Land der Träume.

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Das Kapitel hat nicht ganz 1000 Wörter und ist somit kürzer als die anderen. Allerdings habe ich euch etwas zu verkünden, das euch sicherlich freuen wird. Mehr dazu später... ;)

One more wish {s.m.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt