Alltag

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Es war schwer zu sagen wie spät es war als ich aufwachte, denn draußen hatte sich der Novemberregen noch nicht verkrochen und so kam kein Licht durch das kleine, alte Fenster.

Nicht, dass es so viel zu erleuchten gegeben hätte. Das schlauchförmige Zimmer wurde fast komplett durch die alte, grüne Schlafcouch eingenommen auf der ich lag. Daneben stand ein antik aussehender Schrank und an der Wand hingen alte Kunstdrucke.

Es dauerte eine Sekunde bis ich mich erinnerte wo ich war und was geschehen war. Immerhin hatte ich keine Kopfschmerzen mehr und fühlte mich weniger hilflos als noch gestern Nacht.

Es war seltsam still. Mein ganzes Leben hatte ich in London gewohnt. Aufzuwachen ohne die Geräusche der Stadt in meinen Ohren machte, dass ich mich einsam fühlte.

Ich hatte mich schon in einige dämliche Situationen gebracht, aber die hier landete eindeutig auf Platz eins der Liste. Und doch war da etwas Kleines in mir, das insgeheim froh war, dass ich nicht in der alten Wohnung über Miras Laden aufgewacht war. Ich musste völlig verrückt geworden sein.

Immerhin war ich auf dem besten Weg abzutauchen und es gab weit und breit nicht eine Person, die ich anrufen wollte, um ihr zu sagen, dass ich okay war. Nicht gerade eine Auszeichnung für mein bisheriges Leben.

Ich stand auf und zog mir meine Jeans von gestern an. Ich würde unbedingt neue Klamotten brauchen. Bei dem Gedanken daran, dass wahrscheinlich gerade ein paar Polizisten durch meine Sachen wühlten wurde mir flau.

Ich verließ mein Zimmer und stieg leise die Treppe runter. Unten sah ich, dass Olivias Tür offen war.

Ihr Zimmer war nicht viel größer als meins. Abgesehen von einem Bett und einem Tisch auf dem sich Bücher und Klamotten stapelten, war es leer.

Olivia saß auf ihrem Bett, die Augen stur auf ihrem Laptop, die Haare zu einem lockeren Dutt auf dem Kopf getürmt.

"Morgen. Na ja, eher Mittag"

Sie hatte nicht Mal aufgesehen. Ihre Stimme war überraschend rau.

"Morgen", antwortete ich zögerlich.

"Hier", ohne mich anzusehen warf sie mir einen kleinen Beutel zu, "Zahnbürste und so. Haben Rosa und ich heute Morgen besorgt. An deine Sachen kommst du ja erst Mal nicht ran."

Ich fing den Beutel.

"Danke."

"Unten steht auch eine Tasche Klamotten für dich. Rosa hat ein Auge für so was."

"Ähm... Okay."

Wir schwiegen und ich war mir nicht sicher, ob Olivia schon wieder vergessen hatte, dass ich in ihrer Tür stand. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste fragen:

"Die Sachen, die du über mich rausgefunden hast... Was weißt du noch?"

"Alles, was in deinem Polizeibericht stand", antwortete sie, immernoch tippend in einem gleichgültigen Tonfall.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Dann wusste sie auch von Lily.

Auf einmal hatte ich es ziemlich eilig ins Bad zu kommen.

Wie war ich in diese ganze Sache reingerutscht? Ich starrte unzufrieden in den kleinen, halb zerbrochenen Spiegel über dem Waschbecken während ich mir die Zähne putzte. Vor ein paar Stunden hatte ich mich noch auf meiner Nachtschicht gelangweilt und jetzt war ich offensichtlich zu einer professionellen Einbrecherin mutiert. Obwohl "professionell" noch zur Debatte stand.

Ich brauchte dringed einen Kaffee.

Die Küche war genauso winzig wie der Rest des Hauses. Ein langer, schmaler Tisch stand mitten im Raum, ein paar Pflanzen sammelten sich am Fenster, das den Blick auf den Wald freigab. Es roch nach frischem Kaffee. Am Tisch saßen Rosa und Pyotr. Sie hatten offensichtlich gerade über etwas diskutiert, doch als ich den Raum betrat, hörten sie sofort auf zu sprechen.

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt