- achtunddreißig -

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Ich laufe John völlig orientierungslos hinterher, ohne zu wissen, wohin. Ich bin immer noch am Rande einer Panikattacke und rechne damit, dass sie mich jeden Moment einholt. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben und tief ein- und auszuatmen, doch es gelingt mir nicht.

John bugsiert mich auf den Beifahrersitz seines roten Sportwagens, der zum Glück weiter hinten auf dem Parkplatz steht. Er selbst lässt sich auf den Fahrersitz fallen, steckt den Schlüssel ins Schloss und fährt die Fenster herunter.

Dann zündet er eine Zigarette an und reicht sie mir. Dankbar nehme ich sie entgegen, stecke sie zwischen meine Lippen und inhaliere den blauen Qualm.

John zündet sich ebenfalls eine Zigarette an, pustet den Rauch in die Luft und sieht mich ernst an. "Du musst mit ihm reden, Ariana."

"Das Thema haben wir doch gestern schon durchgekaut", stöhne ich kraftlos und kratze unruhig mit meinen Nägeln an den Nähten meiner Jeans herum.

"Das stimmt, aber anscheinend hat dieses Gespräch nichts gebracht. Stattdessen lässt du Phil in dem Glauben, dass wir wieder zusammen sind. Also nicht, dass mich das stören würde.." Er macht eine bedeutungsschwere Pause und grinst schief.

"Spaß beiseite. Du bist gerade dabei dir alles mit ihm zu versauen, und das ist beschissen genug, aber Phil ist auch mein Freund. Wir spielen Football zusammen. Ich weiß, in deinen Augen ist das alles nur Spaß und Freizeitvergnügen, aber wir haben hart dafür gearbeitet, zu den Giants zu kommen. Das hat uns beide Blut, Schweiß und Tränen gekostet und ich will mir das echt nicht durch deinen Rosenkrieg versauen lassen."

Ich schnippse den Zigarettenstummel aus dem Fenster und schweige.

"Wenn du es nicht machst, mache ich es", beschließt er trotzig.

Ich funkele ihn wütend an. "Drohst du mir etwa, John?"

Starr erwidert er meinen Blick. "Ich setze dir nicht die Pistole auf die Brust und stelle dir ein 24-stündiges Ultimatum, aber du musst mit ihm reden. Je schneller, desto besser - für alle Beteiligten."

Ich schüttele vehement den Kopf und beiße mir verzweifelt auf die Unterlippe. "Das ist vielleicht besser für dich, aber ganz bestimmt nicht für mich! Doch was wundert es mich - du selbst warst schon immer alles, was dich interessiert!", schreie ich ihn an. Dann steige ich wütend aus dem Auto und knalle die Tür zu.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich Phil und Vivian, die gemeinsam aus der imposanten Eingangstür kommen. Vivian himmelt ihn mit ihren Blicken an und strahlt übers ganze Gesicht wie ein Honigkuchenpferd. Blöde Bitch.

"Willst du mich eigentlich verarschen, Ariana?", ertönt Johns Stimme plötzlich hinter mir. Ich zucke erschrocken zusammen und fahre zu ihm herum.

"Das frage ich mich auch", gebe ich giftig zurück.

"Du willst es einfach nicht begreifen, oder? Ich will dir nur helfen! Wie kann man nur so stur sein, verdammt", ruft er aufgebracht. Seine Augen verengen sich und sein Kiefer spannt sich bedrohlich an.

Ich hole tief Luft und beiße mir auf die Zunge. Wenn ich nicht will, dass Phil und Vivian auf uns aufmerksam werden und das Drama aus erster Reihe betrachten, muss ich mich dringend zusammenreißen.

So ruhig ich kann antworte ich: "Danke, John, aber ich will deine Hilfe nicht. Ich brauche weder deine, noch Phils Hilfe. Ich bin schon immer alleine klargekommen und das wird mir wieder gelingen."

Phil und Vivian haben ihr Gespräch unterbrochen haben und beobachten uns interessiert. Auf dem Gesicht der Blondine liegt ein schadenfrohes Grinsen. Dumme Hure.

Ich lasse meinen Exfreund stehen und gehe davon. "Bleib stehen", knurrt er. Seine Stimme hat mittlerweile einen aggressiven Unterton angenommen.

Wütend blitze ich ihn an. "Und wenn nicht? Verrätst du mich dann? Wäre ja nicht das erste Mal, der billige, blonde Beweis steht da vorne und glotzt sensationsgeil hier rüber."

Ich will nur noch weg. Weg von John, weg von Vivien und weg von Phil. Aber John lässt mich nicht. Er packt mich grob an meinem Handgelenk und hält mich bei sich. "Lass mich los", zische ich mit klopfendem Herzen. Er ignoriert mich stur. "Lass mich los!", schreie ich nun und probiere mich wie eine wildgewordene Furie von ihm loszureißen.

Mein Stresslevel steigt sekündlich bis ins Unermessliche. Wieder fühle ich mich eingeengt und mein Herz beginnt zu rasen. Ich schlage mit der anderen Hand gegen seine steinharte Brust und schreie: "Lass mich jetzt endlich los! Lass mich los!" Es ist mir mittlerweile egal, was all die Leute um uns herum denken. Ich habe sie schon lange ausgeblendet.

Tränen füllen meine Augen. Wieder steigt diese lähmende Panik in mir auf. Mir wird schlecht, Speichel sammelt sich in meinem Mund, meine Hände werden feucht.

Ich muss hier weg, verdammt.

In dem Moment ertönt eine tiefe Stimme neben mir: "Was ist hier los?" Phils braune Augen mustern mich aufmerksam. Ich bin schon lange nicht mehr dazu in der Lage, rational zu denken. Ich bekomme keine Luft mehr und habe das Gefühl, um mein Leben kämpfen zu müssen.

Mit letzter Kraft bettel ich: "Lass mich bitte los John, bitte! Ich kriege keine Luft mehr, verdammt!" Tränen laufen über mein Gesicht.

John sieht mir tief in die Augen, dann lässt er endlich meine Hand los.

Zornig wendet er sich an Phil und baut sich bedrohlich vor ihm auf. "Da, hast du das gehört? Du bist doch so klug, du Musterstudent. Dann zähl mal eins und eins zusammen, vielleicht kommst du selbst auf des Rätsels Lösung, denn Ariana wird dir wohl nie die Wahrheit sagen."

John tritt noch einen Schritt näher an Phil heran, sie stehen beinahe Stirn an Stirn. "Denkst du wirklich, ich würde sie ficken, wenn ich weiß, dass du in sie verliebt ist? So ein Hurensohn bin ich nicht. Und wenn du das nächste Mal ein Problem mit mir hast, sei ein Mann und sprich mich darauf an, anstatt dir irgendeine Scheiße zusammenzureimen!"

Völlig in Rage wendet er sich nun wieder mir zu und randaliert weiter: "Und du Ariana, du kannst mich am Arsch lecken. Ich mache mich nicht weiter zum Affen. Du willst mit offenen Augen in dein Unheil rennen? Mach! Ich gucke mir das nicht mehr an."

Dann steigt er wütend in sein Auto und fährt mit quietschenden Reifen davon.

Langsam, wie in Zeitlupe, hebe ich meinen Kopf und blicke in Phils Gesicht. Verwirrung zeichnet sich in seinen Zügen ab, doch in seinen Augen sehe ich Enttäuschung und Schmerz. Ich starre ihn an, tief in seine Augen, während tausend Worte in mir aufsteigen, die ich nicht aussprechen kann. Die Stille schmerzt und ich verachte mich dafür.

Ohne ein Wort drehe ich mich um und gehe. Phil bleibt stehen, folgt mir nicht, hält mich nicht zurück. Es tut weh, aber zugleich bin ich erleichtert. Ich möchte nur noch nachhause, alleine, in Sicherheit sein und hemmungslos weinen.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt