- neunundvierzig -

6.4K 221 140
                                    

Ich kann meinen Augen kaum trauen. Ich schaue noch mal hin und überlege, wie wahrscheinlich es ist, dass ich vor lauter Vodka und Weed schon Halluzinationen habe. Mit schnellen Schritten tragen meine Beine mich zur Bar, ohne dass mein Kopf darüber nachgedacht hat, wozu. Ich hätte mir vielleicht mal einen Schlachtplan oder wenigstens ein paar Worte zurecht legen sollen.

Direkt vor den Beiden komme ich zum stehen und starre sie mit fassungslosem Blick an. Als Phil mich bemerkt, dreht er sich zu mir und bekommt einen schockierten Gesichtsausdruck. Sofort steht er von dem Barhocker auf, auf dem er halb stehend halb sitzend verweilte.

Er macht einen Schritt auf mich zu und legt behutsam seine Hände auf meine Schultern. "Ariana", sagt er leise. Seine Hände sind warm und fühlen sich gut an auf meinen Schultern. Phils Nähe hat mir so gefehlt. Mein Blick wandert an ihm vorbei und bleibt auf Vivian kleben, die noch immer lasziv auf dem Barhocker sitzt und mir scheinheilig zugrinst.

Abrupt schlage ich seine Hände weg und blitze ihn aus finster funkelnden Augen an. "Fass mich nicht an!", zische ich durch meine zusammen gebissenen Zähne. "Ist das hier dein scheiß Ernst, Phil?", rufe ich so laut, dass meine Stimme mühelos die Musik übertönt.

Einige Köpfe schnellen neugierig und interessiert zu uns. Phil hasst so ein Verhalten. Er hasst es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und im Mittelpunkt zu stehen. Er ist niemand, der große Auftritte und dramatische Szenen liebt. Also greift er nach meiner Hand und zieht mich nach draußen.

Ich stehe wieder in meinem winzigen Hemdchen in der kalten Nacht, aber diesmal bin ich so voller Adrenalin und Wut, dass mir eher heiß als kalt ist.

"Ist das dein scheiß Ernst, dass du jetzt plötzlich mit Vivian rumflirtest? Stehst du auf sie? Hat sie dich jetzt auch endlich um den Finger gewickelt, die kleine Schlampe?", zetere ich los.

"Stop! Jetzt mach mal halblang", fährt Phil mich an. Dass er so einen Ton anschlägt, ist wirklich selten. Er scheint ebenfalls ziemlich sauer zu sein.

"Anstatt dass du plötzlich wie Phönix aus der Asche aus deiner Versenkung auferstehst und mir hier eine Szene machst, solltest du dir vielleicht mal an deine eigene Nase packen und ganz vorne beginnen", macht er mir eine Ansage. Phil ist stocknüchtern und ich mittlerweile mehr als beschwipst, weshalb es mir schwer fällt, das alles so schnell zu verarbeiten und meine Gedanken klar zu formulieren.

"Was ist los mit dir, Ariana? Wo warst du die letzte Woche? Und wie siehst du überhaupt aus?", fragt er nun deutlich ruhiger.

"Das scheint dich ja sehr zu interessieren, wenn du so schnell Ersatz für mich gefunden hast. Ich dachte wirklich du wärst anders, Phil, aber du bist genau so ein Verräter wie John und wie alle anderen!", keife ich ihn an.

Nun funkeln Phils rehbraune Augen wütend in der Dunkelheit. "Willst du mich verarschen? Was laberst du die ganze Zeit? Drehst du jetzt so ab, weil ich mich zwei Minuten mit Vivian, einer Kommilitonin von mir, an der Bar unterhalten hab, oder was?"

Ich schnaube verächtlich und lache dann sarkastisch. "Eine Kommilitonin? Falls du es vergessen hast, Phil: sie ist die dumme Hure, die mit meinem ersten Freund hinter meinem Rücken gefickt hat. Sie ist die dumme Hure, die sich schon ihr Höschen runterreißt, wenn sie irgendwo "Footballer" hört. Und sie ist die dumme Hure, die schon seit Monaten an dir rum baggert!"

"Ja genau", antwortet er trocken. "Sie baggert schon seit Monaten an mir rum. Und es hat dich noch nie gestört, und ich hab mich noch nie darauf eingelassen. Deshalb verstehe ich dich gerade nicht."

Ich beiße wieder angespannt auf meiner Unterlippe herum, bis ich plötzlich einen metallischen Geschmack verspüre. Ich fasse mir den Mund und betrachte dann das Blut an meinen Fingern.

"Lass das", sagt Phil sanft und streicht mit seinem Daumen federleicht über meine Lippen. Ich gucke hoch und sehe in sein Gesicht, welches wieder ganz weich ist. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

"Du hast dich in der Uni auf ihre Seite gestellt. Und ich habe gehört, dass du dich mit ihr in einem Cafe getroffen hast und ihr augenscheinlich ziemlich viel Spaß miteinander hattet. Und jetzt komme ich in den Club und sehe sie schon wieder an deiner Seite. Wieso machst du das? Wieso gerade sie? Wie kannst du mich so schnell vergessen?", gebe ich verzweifelt von mir und merke, wie mir warme Tränen über die Wangen rinnen.

"Ich hab mich in der Uni auf ihre Seite gestellt, was falsch war, weil ich sauer auf dich war, okay? Ich bin immer noch sauer auf dich. Trotzdem ersetze ich dich nicht, wie kommst du auf so einen Scheiß? Ich bin ein erwachsener Mann und kein kleiner Junge. Ich habe dir doch geschrieben, dass ich mit dir reden will. Aber von dir kam nicht mal eine Antwort. Und ja, ich war wirklich mit ihr in einem Cafe, das stimmt. Aber nur, da wir einen Vortrag über Sozialpsychologie zusammen vorbereiten und halten sollten. Und bevor du fragst: Nein, ich hab sie mir nicht als Partnerin ausgesucht, sondern sie wurde mir vom Prof zugeteilt und ich war genau so wenig darüber begeistert wie du. Und aus Respekt vor dir habe ich dann das Treffen im Cafe vorgeschlagen. Ich wollte nicht auch noch, dass sie bei mir zuhause hockt."

Immer noch heulend sage ich: "Aber Eli hat doch gesagt, dass ihr zusammen da wart und Spaß miteinander hattet und ganz vertraut wart und so.."

"Eli? Was für Eli? Ich kotze gleich", spuckt er mir verächtlich entgegen. Seine Miene verhärtet sich wieder. "Was hast du überhaupt mit dem zu tun, Ariana?"

Ich antworte nicht. Ich will nicht, dass Phil weiß, dass ich mit Elijah kiffe. Ich kann mich der Diskussion jetzt nicht stellen.

"Ariana, kannst du mir mal antworten? Ich verstehe dich nicht mehr, ehrlich. Egal wie sehr ich es versuche, dein Verhalten ist mir ein Rätsel. Es war doch alles gut zwischen uns, wir waren uns nah und plötzlich bist du Lichtjahre entfernt von mir. Jeder Blinde sieht doch, dass es dir beschissen geht. Du bist total ausgemergelt, dürr und blass. Isst du überhaupt noch was? Und dann diese tiefen Schatten unter deinen Augen, als hättest du seit Wochen nicht mehr geschlafen.."

Ich unterbreche ihn: "Danke Phil. Ich hab verstanden, dass ich scheiße aussehe!"

Phil verdreht die Augen. Er greift nach meiner Hand und einen Moment lang lasse ich zu, dass meine Hand in seiner liegt.

"Darum geht es doch gar nicht! Dir geht es ganz offensichtlich ziemlich schlecht und du hast dich nicht einmal bei mir gemeldet! Dann tauchst du plötzlich hier auf, als wäre nie was passiert und wirfst mir vor, dass ich was mit Vivian habe, aber jetzt mal ganz ehrlich: es war dir die ganze letzte Woche egal was mit uns ist, was mit mir ist. Dir war alles egal. Du hast mich einfach im Dunkeln tappen lassen. Ich weiß bis heute nicht, was in der Nacht mit John war. Du machst deinen verdammten Mund nicht auf, Ariana! Wie lange soll ich denn noch warten? Ich ertrage deine Heimlichtuereien nicht mehr!", sagt er immer lauter und wütender.

Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Ich senke meinen Blick zu Boden. Ich kann die Enttäuschung in seinem Gesicht nicht mehr ertragen. Ich weiß, dass er Recht hat und ich hasse mich selbst dafür.

Phil streicht sanft mit seinem Daumen über meinen knöchernen Handrücken. "Ich flehe dich an, Ari. Gib mir doch ein Wort, ein Zeichen. Gib mir irgendwas, womit ich was anfangen kann, verdammt!"

Ich kann ihm nicht mal in die Augen sehen, als ich mit brüchiger Stimme sage: "Es tut mir leid, Phil. Ich weiß, ich habe dir weh getan und ich weiß, ich tu dir gerade weh. Und du musst mir glauben, dass ich mich dafür selbst hasse. Ich wünschte, ich könnte mit dir reden, aber ich kann nicht. Nicht jetzt."

Dann ziehe ich sanft meine Hand aus seinem Griff, lasse ihn stehen und verschwinde in die dunkle Nacht.

_____________________________

Meine Lieben,

Ein extra langes Kapitel.

Wie sehr hasst ihr Ari gerade?

Und seid ihr jetzt immer noch Team Phil oder wieder? Oder war's das jetzt für euch? 😁

Eure Gedanken?

Dieses Kapitel möchte ich meiner süßen xanna_unerkanntx widmen. Ich hoffe, es hat dich ein wenig abgelenkt. Danke dir für all deine lieben Worte immer ♡

A.

Ariana Where stories live. Discover now