- sechzig -

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Ich habe schon oft gehört, dass man vor dem ersten Treffen mit den Eltern seines neuen Freundes das gleiche Gefühl hat, wie vor einem Besuch beim Zahnarzt. Man befürchtet, dass es weh tun könnte und hat Angst davor. Außerdem sehnt man sich danach, es endlich hinter sich zu bringen, weil man so angespannt ist und unbedingt einen guten Eindruck machen will.

Als ich Johns Eltern kennengelernt habe, war ich süße sechzehn Jahre alt und da wir zusammen zur Schule gegangen sind, kannte ich sie ohnehin schon. Wirklich Gedanken darüber sie beeindrucken zu wollen, habe ich mir auch nicht gemacht. Da ich ständig bei John zu Besuch war, habe ich mich schnell sehr wohl bei ihnen gefühlt und sie wurden zu einer Familie für mich.

Die Situation mit Phils Eltern ist hingegen eine ganz andere. Ich bin zwar nervös und angespannt, aber auch voller Vorfreude auf das Treffen. Dass ich wir uns heute Vormittag bereits kurz beschnuppern konnten, erleichtert die ganze Nummer obendrein.

Phil lenkt seinen grauen Sportwagen auf den Parkplatz eines edlen Restaurants und parkt das teure Auto galant in eine freie Lücke.

Er dreht den Schlüssel im Schloss herum, greift sanft nach meiner Hand und schaut mir tief in die Augen. "Bist du aufgeregt?", fragt er sanft.

"Ein wenig."

"Brauchst du nicht. Meine Eltern sind entspannt und außerdem kenne ich niemanden, der dich nicht mag."

Verlegen lächele ich ihn an.

"Dann lass uns mal reingehen", fordert er mich auf.

Wir steigen aus, Phil greift nach meiner Hand und wir laufen gemeinsam zum Eingang des Restaurants.

Das Restaurant ist modern und schick, mit glatten, minimalistischen Linien und bodentiefen Fenstern, die die Skyline der Stadt einrahmen. Die Einrichtung kombiniert stilvolle, neutrale Farben mit Akzenten aus Glas und Metall, während dezente Beleuchtung eine warme, einladende Atmosphäre schafft. Offene Regale mit Designer-Dekor und eine elegante, zentral platzierte Bar runden das stilvolle Ambiente ab.

Kein Etablissement, in dem ich sonst so abhänge.

Ich drücke Phils Hand ein bisschen fester und er streicht aufmunternd mit seinem Daumen über meinen Handrücken.

Phils Eltern sitzen bereits an einem runden Tisch vor der riesigen Glasfront und lächeln erfreut, als sie uns bemerken.

Der Abend verläuft entspannt, während wir uns durch ein raffiniertes 5-Gänge-Menü arbeiten. Wir beginnen mit einer leichten Amuse-Bouche, gefolgt von einer kunstvoll angerichteten Vorspeise aus Jakobsmuscheln auf einem Erbsenpüree. Als Hauptgang wird ein zartes Lammkarree mit Rosmarin und Rotweinjus serviert, begleitet von karamellisierten Babykarotten und einem Kartoffelgratin. Das köstliche Dessert, ein Schokoladensoufflé mit Beerenkompott, sorgt für einen krönenden Abschluss.

Phils Eltern sind wie erwartet sehr höflich und stellen mir einige interessierte Fragen, aber ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, von ihnen verhört zu werden.

Richard erzählt einiges über seine Firma und ich erfahre zum ersten Mal, dass er früher selbst ein erfolgreicher Footballspieler war. Als Phil begonnen hat Football zu spielen, hat Richard ihn und seine Mannschaft sogar trainiert, bis Phil irgendwann zu einem besseren Verein gewechselt ist und begann, Football als Leistungssport zu betreiben.

Mittlerweile spielt er in der NFL und es ist nicht zu überhören, dass sein Vater darauf sehr stolz ist, während er seine Mutter hingegen besonders mit seiner feinfühligen Art und seinen herausragenden Noten im Studium begeistert.

Phil sind die Lobpreisungen seiner Eltern sichtlich unangenehm und er bemüht sich immer wieder, schnell das Thema zu wechseln und das alles herunterzuspielen.

Als wir nach dem Essen nach draußen treten, bedanke ich mich ausschweifend bei Richard und Olivia für die Einladung, das leckere Essen und den schönen Abend. Phils Mum umarmt mich herzlich und ich bin ein weiteres Mal überwältigt von der Wärme, die die elegante Frau ausstrahlt.

"Wir sehen morgen wieder, nicht wahr, Ariana?", richtet sie zum Abschied ihr Wort an mich. Morgen? Mein Herz schlägt schneller. Was ist morgen?

"Morgen hat Phil doch ein Spiel. Richard und ich werden zuschauen, wirst du nicht da sein?"

Fuck, das habe ich total vergessen. Meine Gedanken driften zu dem Treffen mit Elijah, das ich heute verabredet habe. Irgendwie muss ich beides hinkriegen. Ich will Phil auf keinen Fall enttäuschen.

"Natürlich, ich komme auch", antworte ich schnell, da ich die erwartungsvollen Blicke der drei auf mir spüre.

Als ich kurz darauf wieder in Phils Auto sitze, checke ich mein Handy und sehe, dass ich eine Nachricht von Elijah bekommen habe. "Wann treffen wir uns morgen?", leuchtet mir in schwarzen Buchstaben von meinem Sperrdisplay entgegen.

Phil parkt den grauen Sportwagen aus und fädelt ihn in den fließenden Verkehr ein, als ich merke, dass er mir einen prüfenden Seitenblick zuwirft. Schnell sperre ich mein Display wieder und drehe mich zu ihm.

"Also, wann ist dein Spiel morgen?", frage ich ihn ziemlich auffällig. "Um 17 Uhr ist Kick-Off", antwortet er nüchtern, sein Blick auf die Straße gerichtet. "Hmm", mache ich und beobachte ihn.

Er ist konzentriert, aber gleichzeitig wirkt er abwesend. Plötzlich dreht er für einen kurzen Moment seinen Kopf zu mir und fixiert mich mit seinen braunen Augen, in denen ein undefinierbarer Ausdruck liegt.

"Wieso fragst du? Hast du noch was vor?", fragt er mich direkt. "Ja", antworte ich ehrlich. "Und was?" Er zieht die Augenbraue hoch und wendet sein Gesicht wieder der Straße zu.

Jetzt ist der entscheidende Zeitpunkt gekommen. Soll ich lügen oder die Wahrheit sagen? Erzähle ich ihm von dem Treffen mit Elijah oder halte ich lieber den Mund?

"Ich wollte mich mit Emily treffen", gebe ich leise von mir und schäme mich augenblicklich für diese Lüge.

"Mit Emily? Achso..", murmelt Phil. Er ist so komisch.. Ahnt er was?

"Ja, wir haben uns schon lange nicht mehr getroffen und wollten essen gehen", plappere ich nervös drauf los.

"Kommt Emily denn nicht zum Spiel?", fragt Phil kritisch. "Sie ist eigentlich immer da."

"Ich weiß es gar nicht genau, ehrlich gesagt. Ich muss sie noch mal fragen. Ich glaube sie wollte sich vorher treffen, ich schreibe ihr gleich noch mal", antworte ich unsicher.

In einem unbeobachteten Moment antworte ich Elijah schnell: "13 Uhr bei mir."

Mich überkommt ein mulmiges Gefühl, als ich die Nachricht abschicke. Vermutlich sollte ich das lieber lassen, aber die Neugier auf Elijahs Erklärung ist zu groß. Er ist mir ans Herz gewachsen in den letzten Wochen und ich will nicht wahrhaben, dass er so ein Arsch ist.

Den Rest des Abends verbringen Phil und ich auf der Couch und schauen "Southpaw" auf Netflix, den Phil ausgesucht hat. Die Stimmung zwischen uns ist angespannt, und ich kann nicht abschütteln, dass er möglicherweise ahnt, dass ich ihn belüge.

Während ich den Film kaum wahrnehme, kreisen meine Gedanken die ganze Zeit um meine Entscheidung, und ob ich das Treffen doch noch absagen oder bei Phil mit offenen Karten spielen soll. Mein schlechtes Gewissen nagt an mir, während ich immer wieder mit mir selbst kämpfe.

Elijah hat mir nochmals geantwortet und sich bedankt, woraufhin ich nur mit "Passt schon" reagierte.

Als der Film endet, schaltet Phil eine Late-Night-Show ein, während ich vorgebe müde zu sein, und mich ins Schlafzimmer zurückziehe, erleichtert darüber, alleine einschlafen zu können.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt