16.12. - Felix

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Kurz vor Weihnachten 2008Eigentlich hätte Felix der glücklichste Mensch auf dieser Welt sein müssen, denn wäre alles wie geplant gelaufen dann wäre Nora in drei Tagen zurück gewesen. Doch nichts war gelaufen, wie sie es geplant hatten. Vor drei Monaten war Nora nach England geflogen um dort als Au-pair zu arbeiten. Fest hatte sie Felix versprochen sie würde an Weihnachten wieder da sein. Er hatte die Tage gezählt, die Stunden, die Minuten. Denn immerhin war das ja auch ihr Fest, das Fest welches schon so oft für besondere Momente gesorgt hatte. Ihren ersten Kuss hatten sie gemeinsam erlebt, und auch ihr erstes Mal. Und eigentlich wussten sie beide, dass sie wie für einander bestimmt waren, doch es kam alles so anders. Nora hatte Felix allein gelassen. Zumindest fühlte sich das für den großen Blonden so an. Und er war verdammt wütend auf sie, als sie ihm gerade in diesem Moment eröffnet hatte das sie ihren Englandaufenthalt um weitere sechs Monate verlängern würde. Es war nicht mal die Tatsache allein, dass sie an Weihnachten nicht da war. Es war verdammt nochmal die Tatsache das sie jemanden kennen gelernt hatte. Einen anderen Mann. Wie konnte sie ihm das bloß antun?


Drei Monate zuvor."Nori bitte... musst du wirklich nach England fliegen?", fragte Felix mit verzweifelter Stimme. "Ja, muss ich", antwortete sie nüchtern."Aber warum?", wollte er wissen, kannte doch aber die Antwort genau. Sie hatten schon so oft darüber gesprochen. Er hatte sie bestärkt, wusste, dass die Zeit ihr gut tun würde. Doch jetzt... so kurz bevor sie wirklich los musste... Minuten bevor ihre Wege sich trennen würden, hatte sich seine Meinung dazu drastisch geändert. "Weil ich das mehr als alles andere möchte Felix... Ich dachte wir unterstützen uns gegenseitig", erklärte sie in ernstem Ton, und sah Felix mit einem Blick an der absolut keinen Widerspruch duldete. "Ich unterstütze dich ja... aber was mach ich denn ohne dich?" Schnell blinzelte er die kleine Träne weg die sich so trügerisch in seinem Auge gesammelt hatte. Nora bemerkte es, lächelte ihn ganz sanft an und umarmte ihn ganz fest. "Du wirst es überleben", nuschelte sie in seinen Pullover, presste sich an ihn, sog noch einmal diesen Duft ein, den Duft von zuhause. "Pass auf dich auf, Kleine", flüsterte Felix ihr ins Ohr, gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn und ließ sie gehen. Obwohl sie nicht zusammen waren, zerbrach Felix' Herz gerade in tausend kleine Stücke. Er litt wie ein Hund, und das alles nur weil seine beste Freundin für ein paar Monate weg war. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr redete er sich selbst ein, dass es Quatsch war deswegen so einen Aufstand zu machen. Tief im Herzen aber war er trotzdem verletzt. Zwei Flugstunden später war Nora gelandet, ihre Gastfamilie holte sie am Flughafen ab. Nett begrüßten sie sich, und machten sich schließlich auf den Weg in ihr 'neues Zuhause'. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber sie vermisste Felix leider jetzt schon. Seine blöden Sprüche, seine überaus dummen Witze, und ja am meisten fehlte ihr sein Geruch. Manchmal, wenn sie alleine in seinem Zimmer gewesen war, war sie zu seinem Kleiderschrank geschlichen, nur um sich ein Shirt zu klauen, aber das würde sie Felix wohl nie verraten. Gedankenverloren saß sie in ihrem neuen Zimmer und versuchte sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Sie war in einem neuen Land, stand vor einer neuen Herausforderung, sie erfüllte sich hiermit einen großen Wunsch. Und je länger sie über alles nachdachte, desto müder wurde sie. Die Tage vergingen, die Arbeit mit den Kindern machte Nora wirklich viel Spaß, und auch die fremde Sprache fiel ihr nun deutlich einfacher zu sprechen. Von Tag zu Tag fühlte sie sich heimischer, begann sogar schon, auf englisch zu denken. Ab und zu unternahmen sie gemeinsam mit der ganzen Familie Dinge. Sie gingen oft in den Park, oder in die Shopping Plaza ein Eis essen. Und genau so ein Tag war heute. Zusammen mit ihren Gasteltern und deren Kinder saßen sie in einem kleinen Café. Seit einigen Minuten beobachtete Nora einen dunkelhaarigen jungen Mann der die Nachbartische sauber machte. Gelegentlich sah auch er sie an, grinste sie mit einem Tausend-Watt Lächeln an und machte sich dann wieder an die Arbeit. Jedes Mal blickte sie schnell auf ihr Eis, wurde knallrot. Nora war fasziniert von ihm, das merkte auch Trixie ihre Gastmutter, die ihr mit einer eindeutigen Geste klar machte das Nora zu ihm gehen sollte. "Ask him, he seems to be nice!", ermunterte sie Nora. Und nach einigem Zögern nahm sie all ihren Mut zusammen stand auf, und fiel über ihre offenen Schnürsenkel, genau vor die Füße des süßen Dunkelhaarigen. Peinlich berührt sah sie nach oben, und entdeckte eine Hand die sich ihrer entgegen streckte. "Danke, tut mir leid", murmelte Nora schnell und bemerkte erst dann, das ihr gegenüber sie nicht verstehen konnte. Doch zu ihrer Überraschung verstand er sie ziemlich gut . "So süßen Mädels wir dir helf ich doch gern", sagte er mit einem schiefen Grinsen und zwinkerte ihr kurz zu "Darf ich wissen, wie du heißt?" "Ich... ich bin Nora", stellte das rothaarige Mädchen verlegen fest. "Tim" sagte er und reichte ihr zur Begrüßung die Hand."Bist du auch Au-pair? Oder machst du Work-and-Travel?", fragte sie mit zittriger Stimme."Nein ich studiere hier und wohne im Wohnheim... vielleicht... also... wenn du mal Lust hast... und auch mal wieder deutsche Stimmen hören möchtest... kannst du mich ja mal besuchen kommen", seine Augen blitzten dunkel auf. Aus seiner Hosentasche zog er seinen Servierblock, aus seiner Brusttasche einen Stift und so schrieb er ihr seine Nummer auf."Ähm... ja... danke..." Verlegen strich sie sich eine Strähne hinter das Ohr. Wenn dieser Kerl nicht sofort aufhören würde zu grinsen bekäme sie weiche Knie. Wieder vergingen die Tage in England, sie Wochen, und ehe sie sich versah waren ihre drei Monate fast zu Ende. Aber wollte sie das? Mit Tim hatte sich ernsthaft etwas entwickelt, er hatte sie quasi komplett in seinen Bann gezogen. Sie konnte jetzt nicht einfach hier weg gehen. Doch ein Gedanke war da immer noch in ihrem Kopf. Ein Mensch der von jetzt auf gleich ihre Pläne ins Wanken bringen könnte. Mit klopfendem Herzen wählte sie die Nummer, wartete auf das Freizeichen und keine zwei Sekunden später hörte sie seine Stimme. Felix Stimme. "Nori", sagte er mit so viel Freude in der Stimme das der Kloß in ihrem Hals immer größer wurde. "Felix ich muss dir was sagen...", fiel sie direkt mit der Tür ins Haus. Sie hatte keine Lust auf langes Geplänkel. Doch jetzt war sie doch still. Sie traute sich gar nicht diese Worte auszusprechen, hatte viel zu große Angst vor seiner Reaktion. "Nora was ist passiert geht's dir gut?" Sofort hörte sie die Sorgen in seiner Stimme. "Ja, Felix... mir geht es hier verdammt gut... viel... zu gut... um nach Hause zu kommen." Am anderen Ende der Leitung war Stille. "Felix, ich bleibe länger hier... Trixie und Jeff brauchen mich noch, ich spiele so gern mit den Kindern, sie sind mir so ans Herz gewachsen... und... es gibt da jemanden." Jetzt war es raus. Mit einem Mal wurde ihr ganz schwindelig. Sie bemerkte jetzt erst, dass sie für längere Zeit die Luft angehalten hatte. "Du verarschst mich doch!", knurrte er. Er war wütend. "Nein...", seufzte sie leise."Nora bitte sag mir, dass das alles ein dummer Witz ist..." Er klang so verzweifelt, hoffte so sehr, dass es ein Scherz war, doch Nora musste ihn enttäuschen. "Ich kann hier jetzt nicht so einfach weg... versteh doch, dass ich mich hier wohl fühle..." jetzt war sie diejenige die verzweifelt war. Doch es brachte alles nichts. Felix hatte aufgelegt. Er war verletzt, und das auch zurecht. Er konnte einfach nicht mehr mit ihr reden, konnte kein Wort mehr ertragen. Und er wollte sie wirklich nicht anschreien. Denn was wirklich zählte war Nora, und vor allem, dass sie glücklich war. Gedankenverloren starrte Felix die Wand an. Er war wütend, traurig, verletzt. Wie sollte er denn jetzt Weihnachten feiern ohne sie? Und vor allem machte ihn die Vorstellung fertig, dass sie mit irgendeinem Kerl Weihnachten feierte, und dass dieser Kerl sie sicherlich küssen würde... sie anfassen würde. Wieso durfte ein anderer das haben was Felix sich so wünschte? Er musste hier raus, konnte nicht länger in seinem stickigen Zimmer bleiben. Also zog er sich an, lief zum Kiosk und kaufte sich Alkohol. Kirschwasser. Er hasste es. Aber Nora... nicht.Der Weg vom Kiosk zum Park war nicht weit und doch kam Felix sich vor, als hätte sich das Universum heute gegen ihn verschworen. Überall wo er hin sah, knutschen die Pärchen, machten Schneeballschlachten, oder tranken Glühwein auf dem kleinen Weihnachtsmarkt im Park. Es war zum Kotzen. Am Schlossteich öffnete er den Schnaps und setzte an. Der erste Schluck brannte wie Feuer und mit ihm kamen leider auch die Erinnerungen an eine ganz bestimmte nacht hoch. Felix wollte das alles nicht in seinem Kopf haben. Sollte sie doch mit ihrem Typen rummachen. Felix brauchte keine Nora um glücklich zu sein. Er hatte doch seine Freunde. Die Zeit verging und die Flasche wurde leerer. Und Felix somit auch immer betrunkener. Mittlerweile war es dunkel geworden. Torkelnd machte er sich auf den Weg zum Proberaum in dem die Jungs fleißig probten, nur einer hatte die meiste Zeit gefehlt. Er selbst. Die letzten Wochen war er kaum da gewesen. Dementsprechend war es nicht gerade überraschend, dass die Jungs ihn nicht mit offenen Armen empfingen als er mit einer gewaltigen Alkoholfahne in der Tür stand. "Was machst du denn hier?", grummelte Karl verdammt angepisst. "Ich.. wollte meinen Freunden halloooo sagen.. ", lallte er, und hielt sich dabei am Türrahmen fest damit er nicht umkippte. "Wir haben dir doch gesagt, dass du hier nicht mehr her kommen sollst, du Idiot!" Karl wurde lauter, doch Till unterstütze seinen Bruder. "Mensch Karl, du siehst doch, dass es ihm nicht gut geht. Hör auf ihn auch noch fertig zu machen!" Behutsam legte Till Felix einen Arm um die Schulter und bugsierte ihn vorsichtig auf einen Stuhl. "Jaaa... von mir aus. Wir Proben jetzt aber weiter. Du bleibst einfach auf deinem Stuhl sitzen und gibst keinen Ton von dir", bestimmte Karl eindringlich und forderte die anderen dazu auf weiter zu spielen. Plötzlich wurde ihre Musik von einem lauten Schluchzen unterbrochen. Überwältigt von den Ereignissen der letzten Stunden und dem Alkohol, heulte Felix wie ein kleines Kind. "Verdammt Felix was ist los?", fragte nun auch Steffen ernsthaft besorgt. "Sie bleibt einfach weg", erklärte er mit brüchiger Stimme. So hatten ihn seine Freunde noch nie erlebt."Nora bleibt in England?", fragte Till erstaunt. "Ja weil sie da jetzt mit irgendeinem Wichser zusammen ist" Felix legte all seine Wut in seine Worte. "Fuck... was eine blöde Kuh", stellte Karl trocken fest. "Ist... ist sie nicht. Nur... ich... ich vermisse sie so und... ich bin ihr einfach egal..." Felix ließ sich gar nicht mehr beruhigen, war so gefangen in seiner Wut. "Dann flieg nach England und zeig diesem Arsch wessen Mädchen Nora ist!", meldete sich jetzt auch Max zu Wort, und in Felix wuchs eine Idee. Was, wenn er wirklich zu Nora fliegen würde, und ihr klar machen würde, dass es in seinem Leben nur sie gab?In den darauffolgenden Nächten träumte Felix immer nur von dieser einen Situation. Er würde vor ihrer Tür stehen, und ihr sagen, dass er mit ihr zusammen sein wollte, doch leider endete dieser Traum jedes Mal mit dem Klingeln seines Weckers. Das war ein Zeichen. Felix musste einfach zu ihr fliegen, auch wenn seine Mutter furchtbar traurig war, fand sie es verdammt mutig von ihrem Sohn, dass er für dieses eine Mädchen so viel tat. Fest entschlossen fuhr er zum Flughafen, im Gepäck ein Flugtickets das er sich ein paar Tage zu vor besorgt hatte. Zum Glück hatte er sich damals die Adresse von Noras Gastfamilie aufgeschrieben sonst wäre er nun völlig verloren. Der Flug verlief ohne Komplikationen, in England regnete es, es war das pure Klischee. Mit dem Bus gurkte er eine gefühlte Ewigkeit durch die immer gleich aussehenden Straßen von London, bis er endlich an der gewünschten Haltestelle ankam. Von hier bis zum Haus waren es nochmal etwa zehn Minuten Fußmarsch, und Dank Felix grandiosen englisch Kenntnissen schaffte er es erst nach einer gefühlten Ewigkeit am Haus anzukommen. Kein Auto stand in der Einfahrt, und er hatte schon geglaubt sie wäre gar nicht zuhause. Was, wenn sie gerade bei diesem Kerl war? Doch er konnte und wollte darüber jetzt nicht länger nachdenken. Fest entschlossen drückte er die Klingel, und der Anblick der sich ihm beim Öffnen der Tür zeigte, verschlug ihm Sprache.

Adventskalender mit KWhere stories live. Discover now