Kapitel 16

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(Zwischen dem letzten und diesem Kapitel ist ein wenig Zeit vergangen)

Wenn man einige Zeit an einem Ort ist entwickeln sich gewisse Tagesphasen, unabhängig der vorbestimmten Handlungen. Diese Handlungen für uns beide waren aufstehen, duschen und essen, das war es. Doch diese Phasen dazwischen waren emotionale Abschnitte. Man wacht auf neben der Person, neben der man am liebsten aufwachen würde - es war der Erste. Irgendwann im Laufe des eingesperrten Tages und als diese zweite Phase, hielt ich die Protokolle in der Hand. Es war immer dasselbe, wenn er mit mir über seine Schmerzen reden musste und heute war ein Tag, derselbe wie jeder andere.

Also?, fragte ich doch er beobachtete nur seinen Schoß, verschlossen und gedankenverloren. Nie wollte er von seinem physischen Zustand reden. Er verwandelte die Finger einzeln und die Katzenkrallen tauchten wie eine Welle auf, was in der letzten Frage des Protokolls verlangt wurde. „Ich weiß, dass du das kannst, du musst es mir nicht mehr zeigen. Aber bei dieser ersten Frage müssen die wissen, was für Schmerzen du hast", und ich wollte es auch wissen, wie ein Verzweifelter. „Kopf." „Was?" „M-Mein Kopf tut weh." Kopfschmerzen, wurden auf das Papier gekritzelt, dann stand ich auf, befeuchtete Tücher und brachte sie zurück.

„Komm?", fragte ich vorsichtig und ich lehnte mich gegen das Holzgestell des Bettes. Bedingungslos krabbelte er zwischen meine Beine wo sein Bauch von meinen linken Armen umschlungen und sein Rücken an mich gezogen wurde. Ich drückte das kaltnasse Tuch gegen seine Stirn und er seufzte auf. „Weiter?" „Muskeln." Ich ignorierte den wartenden Stift. „Wieso?" Plötzlich schien er nervös zu werden, versuchte sich aus der Umarmung zu befreien, wimmerte als er es nicht so hinbekam. „Lou." Ich würde so vieles dafür geben um zu wissen was passierte wenn er bei seinen Ärzten ist. „Schau her", murmelte ich. Er blickte sich um, lehnte sein Gesicht nach hinten gegen meinen Arm der ihn hielt. Ich küsste ihn ohne zu zögern auf die Lippen, spürte die warme Form und fühlte den Mut und die Ewigkeit um mich herum, die nur Louis mir gab. Es machte mich so unsagbar glücklich, dass es seine Lippen waren, die ich küsste und wie er in die Berührung hineinschmolz. Es war so besonders, alles Schlechte gab es nicht mehr.

Ich lächelte auf ihn hinab, auf die leichtoffenen Lippen, schüchternrote Wangen als er dann meine Hände wieder um seinen Körper zog. „Wieso?", hauchte ich gegen den nervös verspannten Hals. Er zog sich tiefer in meine Umarmung, ruhte seine Wimpern auf seiner geröteten Haut aus und fing an von Reflextests, mit heißer, durch seine Muskeln brennender, Elektrik, zu reden. Leise, sodass es nur wir zwei waren, die seine Worte je zu hören bekamen.

Die nächsten Phasen des Tages hatten dunklere Nuancen. Irgendwann, kurz vor unserer getrennten Zeit wurde klar, dass wir gegen die Regeln verstießen, wenn ich ihn in das Zimmer ohne Bett brachte, in das er eigentlich gehörte. Ich stand im Operationsraum eines Arztgebäudes, dabei war ich kein Arzt und auch nicht bereit diese Bilder zu sehen. Auf der Seite, auf einem Tisch, lag der tote Fischschwanz des Mädchens, in der Länge durchgeschnitten und voller lebloser, malst kräftiger Muskelbänder. In der Mitte war nun ein wehrlos schreiender Junge mit verwachsenen hellbraunen Krakententakel, die Augen in Ruhepausen immer wieder auf diesen abgeschnittenen Fischschwanz fallend.

Die berühmte Phase der Verdrängung folgte, wenn ich mich durch die drehenden und abendlich faul leuchtenden Gänge bewegte. Wenn ich so darüber nachdenke, ich hab Tracie seit einer Woche nicht mehr gesehen. Sie war diese Zeit auch bei keinem Treffen der Rebellen dabei. Was war mit ihr los? Sollte ich sie besuchen? Meine Konzentration fiel zusammen und ich musste mich an der Tür stützen als ich aufschloss, um Louis wieder zu sehen. Ich fühlte mich unendlich müde.

Bei diesem Abendtreffen der Rebellen heute ging es wieder hauptsächlich um mich, den armseligen Nicht-Arzt und weitere Details meiner Wahrnehmung. Jeden Tag musste ich auf immer mehr Dinge achten. Sind dort Überwachungskameras? Verschlossene Türen? Elektrische Türen? Wie viele Schlüssel tragen die Leute herum? Gibt es Anführer der Ärzte oder Leiter der ganzen Kolonie? Ich versuchte mich heute stärker zu konzentrieren, die Fragen präziser zu beantworten, doch das fehlende Gesicht von Tracie, dass ich heute bemerkt hatte, war so ablenkend wie der Gedanke Louis jedes Mal nach der schlimmsten Tageszeit im Arztgebäude alleine zu lassen.

Hoffnungsschimmer (Kapitel 4-24)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt