Kapitel 19

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„Harry?", ich musterte die Umgebung wachsam, achtete auf alles und auf das Ziel, suchte verzweifelt nach Zusammenhängen zwischen den immer gleich aussehenden Türen und Fließböden und den immer selben Schränken, voll von Protokollordnern, zu finden. Suchte nach etwas Bekanntem im immer gleichen Lampenrhythmus und Türenrhythmus beim zügigen Gehen, doch alles war so unbekannt wie sinnlos.

Denn ich war bisher nur einmal in diesem Teil des Arztgebäudes gewesen und bei diesem einen Mal konnte ich nur durch den Wegweiser einer defekten Lampe zurückfinden. Sie hatten in der Zwischenzeit die Lampe repariert und wir gingen, mir voran ziellos geführt, um Ecken die immer gleich schienen, durch Gänge, weil wir uns nicht trauten durch Türen zu gehen. Versuchten uns irgendwie an den Nummern zu orientieren, die in einen unbekannten Zifferbereich übergegangen waren.

„Harry, wo geht es lang, wo sind wir?", Kadirs normalerweise stolze, wachsame Stimme hatte eine Spur von Angst in ihrer Höhe. Der Computermann murmelte die Nummern der Türen: „98, 97, 96...", ein wenig später, „113, 114, 115, wo sind wir?" und ich führte uns drei um noch mehr Ecken, immer schneller rauschten die Lichter über mich hinweg, die Türen an mir vorbei und ich sah meine Füße wie sie die Bodenfließen schneller erklommen, schneller, weil uns nichts andres überblieb, bevor wir alle weggeschwemmt werden würden. Ich lief gerade aus aber es schien sich alles im Kreis zu drehen, schneller und schneller. 
„Verdammt, ist alles okay?", ich spürte den Sog an den Schultern und die Härte einer Wand an meinem Rücken als er mich dagegen drückte. Vor Schwindel gelähmt sah ich sein südländisches Gesicht vor mir, die schönen Lippen, die Sommersprossen die über seine Haut aufblühten, die springend suchenden braunen Augen, die Stummheit seiner sprechenden Lippen. Die Wand lehnte sich nach hinten, wurde schräg bis sie wie eine Rutsche steil abfiel und mich kopfüber in die Schwärze leitete.

...

..

.

„Er wird okay?"
„Ja wird er."
„Sicher?"
„Interessiert es euch denn nicht, wie die Mission gelaufen ist?"
„Also eigentlich-"
Eine Tür brach auf, mein ganzer Körper fing an ungemütlich zu Stechen. Die ganzen Menschen die vom Nichts her kamen machten mir Kopfschmerzen.
„Er ist gerade zusammengezuckt!"
„Wie geht es Harry?"
„Es geht ihm gut, zum letzten Mal."
„Hey, wieso ist sein Hybrid hier?"
„Erklär ich später. Bin ich die letzte, die hier eingetroffen ist?"
„Ja", sagten gleich mehrere Stimmen auf einmal.
„Tut mir Leid. Kadir wie weit seit ihr gekommen?"
„Wir konnten die Kameras bei allen Hauptgängen befestigen, die  etwa im 200m Umkreis des Haupteingangs waren. Dann konnten wir noch einige neue Bereiche durchlaufen, sie sind schon auf der Karte verzeichnet. Aber ins Arztgebäude müssen wir trotzdem noch einmal, um den ganzen Plan zu beenden."
„Naja", seufzte sie, „das ist besser als gar nichts."
„Ist alles okay, Chris? Du siehst besorgt aus."
„Es ist nur... Lasst den armen Jungen nicht noch einmal mitgehen. Er hat schon ein paar Dinge gesehen, die wir nicht sehen wollen. Es ist verständlich unter solchen Umständen eine Panikattacke zu bekommen, das darf ihm niemand übel nehmen."
„Du hast Recht." „Stimmt." „Armer Harry." „Leute, ich glaube er wacht gerade auf!"
„Harry, Louis ist hier!"

Mein Herz fing auf einmal an wieder lebendig zu werden, drückte das Blut überall hin und als ich stöhnend meine Hand zum Kopf hob, fühlte ich feuchtewarme Papiere auf meiner Stirn aufgeschichtet, rau an den Stellen, an denen man sie nicht befeuchtete. Ich nahm die Papiere hinunter, richtete mich auf, glitt mit dem Blick durch den Raum, indem wir Rebellen uns immer treffen, über die lächelnden Gesichter der jungen Mädchen und die sorgenvollen und prüfenden Blicke von Kadir und Chris. Doch die schmalen Schultern, die kleinen Hände auf seinem Schoß und die wunderschönen hellblauen Augen verschluckten meine ganze Aufmerksamkeit. Der Katzenjunge brauchte seine Katzenohren nicht um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Hoffnungsschimmer (Kapitel 4-24)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt