- Ohne alles -

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Die Tage wurden nicht nur deutlich kühler sondern auch spürbar kürzer. Der wunderschöne Spätsommer verabschiedete sich und wechselte sein Kleid. Die ersten Blätter waren zu Boden gefallen und jene die noch hingen, waren in den schönsten Herbstfarben gemalt. Das stürmische hamburger Wetter zog sich immer weiter aus. Es wurde Nass und ungemütlich.
Die passende Kulisse zu Saskias Gefühlsleben. Nach ihrem Berlintrip fühlte sich alles nur noch falsch und bedeutungslos an. Die Wohnung in der sie noch notfristig wohnte, die Arbeit auf die sie keinen Fokus mehr legte, Sally, ihre beste Freundin, die den Anschein hatte, sich immer weiter von ihr zu distanzieren. Doch am schlimmsten war ihr Gefühlschaos. Marc und Lukas. Die zwei Männer die ihr Leben bereicherten und nun so schwer machten.
Da war Marc, ihr Ex. Der übers Telefon mit ihr schluss gemacht hat, weil Saskia ihn belogen hatte und ein unglücklicher Zufall ihn glauben ließ, sie konsumiere Drogen - und dann war da Lukas, Alligatoah, Musiker. Für den sie nach Berlin fuhr. In die alte Heimat, die sie eigentlich für immer abgeschworen hatte. Er drehte ihr leben für eine Woche völlig auf den Kopf und dann platzte die Seifenblase, weil es für beide aussichtslos erschien, die Gefühle, die da waren zu manifestieren.

Ihre Rückreise war nun schon fünf Tage her. Diese Zeit fühlte sich an wie Jahre. Nach dem telefonat, hatte sie nichts mehr von ihm gehört, aber jeden Augenblick gehofft, das ein Lebenszeichen eintrudelte. So kam es, das sie sich oft erwischte, wie sie ihren Whatsapp Messenger öffnete, auf Lukas Namen tippte und schaute wann er das letzte mal Online war. Sie wünschte sich so sehr, das er sich melden würde, traute sich selber aber nicht, ihm zu schreiben. Sie wollte nicht wie eine Klette wirken. Wie ein kleines Mädchen das am Rockzipfel hing. Nein das würde ihr stolz nicht erlauben. Lieber litt sie leise für sich.

Lukas verkroch sich daheim in die Studioarbeiten des neuen Trailerpark Albums. Unzählige Notizen, Blätter und Reminder flogen überall herum. Das war seine Art den überblick zu behalten und doch kam es oft vor, das der Kopf leer war. Das waren diese Momente an den er sich wünschte mit Saskia durch den Wald zu laufen. Sich inspirationen durch Gespräche, Emotionen oder Gefühlen zu holen. Doch war da niemand um ihn. Er war alleine und alles was an Saskia erinnerte, das war die leere Ginflasche, die noch genau da stand, wo sie diese letztmalig abgestellt hatte. Er wusste, wie schwer sie es aufgenommen haben muss, als er ihr mitteilte, dass aus den beiden kein "wir" werden würde. Schließlich liebte er seinen Beruf und dieser wiederum ernährte ihn. Und so zog alles seine Kreise. Aber war das wirklich ein Grund gewesen?
Lukas stand auf, lief ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und griff nach der Flasche. Musterte sie und schwelgte in erinnerungen an den ersten Kuss. Er erinnerte sich, wie er sie zum tanzen aufforderte und die ganze Nacht zärtliche Momente austauschten

"Ich habe deine Nummer nicht gelöscht
Und wenn ich ehrlich bin
Ich denke ab und an daran zu schreiben
Was ich hier alles veränderte
Ich weiß, wie dich ein kurzes: "Hi wie gehts dir." aus der Bahn wirft
Vielleicht gehts dir ja gut, doch es dauert bis mir das klar wird
Ich will dich leben lassen
Will das du glücklich bist
Und seit dem Abschied gibt es wohl kein Zurück für mich
Ich hab das alles nicht geplant und überdacht"*1

Es war ein bittersüßer schmerz. Wie oft hatte Lukas überlegt ihr zu schreiben? Wie gern hätte er gewusst was sie macht und wie es ihr geht. Sie fehlte ihm genau so wie er ihr...

Saskia öffnete die Haustür und war froh, dem stürmischen Wetter gerade entkommen zu sein. Es war Freitagabend und sie hatte den nächsten Tag frei bekommen, da sie zu einer Wohnungsbesichtigung wollte.
Der Briefkasten war so leer wie ihr Magen. Zumindest das sollte sich ändern, also lief sie schnell die Zwei Etagen hoch und blieb erschrocken vor der Wohnungstür stehen. Zum Teufel wieso standen da Kisten und Koffer vor ihrer Wohnung. War jemand ausgezogen? Beim genaueren hinschauen erkannte sie den Koffer. Es war ihrer.
"Oh Fuck", flüsterte sie und biss sich auf die Lippe, dann versuchte sie aufzuschließen. Doch der Schlüssel ließ sich nicht ins Schloß setzen. Sie probierte es immer und immer wieder. Dabei wurde sie zunehmend unruhiger. Bis sie irgendwann anfing zu klopfen und zu klingeln.
"Marc?", rief sie:"Marc mach auf!" keine Reaktion. Oder doch? Hatte sie nicht gerade was gehört? "Marc verdammte scheiße, was soll der Scheiß?"
Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Konnte es noch schlimmer kommen? Was hat sie der Welt getan um so in den Arsch getreten zu werden?
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Marc schaute sie nahezu hasserfüllt an:" Was?"
"Wie was? Was soll der scheiß Marc? Du kannst doch nicht einfach meine Sachen zusammenpacken und das Schloß wechseln."
"Klar kann ich das, siehst du doch!", er wirkte so unfassbar kalt. So hatte sie ihn nie erlebt.
"Wo soll ich denn hin?", wisperte sie.
"Das hättest du dir ersparen können, wenn du keine Drogenbraut geworden wärst. Guck dich doch mal an, wie erbärmlich du aussieht. Und deine verfickten Klamotten rochen nach Gras. Was willst du mir erzählen?"
"Marc..:"
"Bla bla.. Nichts mehr Marc!", Er reichte ihr einen Umschlag:" Das ist die hälfte deiner Kaution und eine Auszahlung für die Möbel. Setz dir davon einen Schuss oder was weiß ich. Ich habe dich auch direkt offiziell aus dem Mietvertrag gekündigt, die Kopie ist ebenfalls im Umschlag. In dieser Wohnung ist nichts mehr, was dir gehört."
Sie blickte mit toten Augen zu ihm. Das konnte doch nur ein mieser, verfluchter Albtraum sein.
Aus dem Hintergrund hörte sie eine bekannte Stimme:"Lass dir die Schlüssel geben!"
Es war Fabrizio's Stimme. Sallys Freund. Steckte sie auch da mit drin?
Wortlos tauschten sie Umschlag gegen Schlüßel, dann fiel die Tür Ein letztes Mal ins schloss. Hinter der Tür hörte man, wie Marc sich freute und die Jungs scheinbar auf diese Aktion angestoßen hatten.

Völlig überfordert stand sie nun mit all den Klamotten, Kisten und dem Koffer wie ein häufchen elend ganz allein da. Nun konnte ihr nur noch Sally helfen. Sie griff zum Telefon.

"Naaaa", dröhnte es an Lukas seinem Ohr.
"Yo Timi, was geht?"
"Du ich hab den Beat überarbeitet, aber ich finde irgendwas passt daran noch nicht. Kannst du dir das mal anhören?"
"Yo, schicks mir per Mail. Bin aber gerade nicht zuhause!", er wirkte monoton.
"Was machst du?"
"Lauf etwas durch die gegend. Muss den Kopf frei kriegen."
Tim ahnte schon, das es sich hierbei nicht um das Trailerpark Album handeln würde:" Gehts um Saskia?"
"Ach Tim..:", versuchte er vom Thema abzulenken, doch sein Freund ließ nicht locker.
"Ich möchte nur wissen wie es ihr geht. Ob sie mit der Situation klar kommt."
"Mensch, sie ist doch keine 14 mehr, wo man sich von der Brücke stürzen will wenn eine Beziehung nicht klappt."
"Nein aber trotzdem ist sie Sensibel. Ach ich weiß auch nicht. Vielleicht mache ich mir auch grundlos einen Kopf, aber irgendwie habe ich ein komisches Gefühl."
"Okay pass auf. Ich schreibe ihr mal wie es ihr geht und sage dir dann bescheid. Hilft dir das?"
"Denke schon. Danke Tim!"
"Timmmäää meldet sich gleich zurück!"
Damit beendete er das Gespräch.

"Sally? Ich bins Sas!"
"Hey, na was los?"
"Was los ist? Ich hocke hier im Hausflur mit gefühlten 30 Kisten und Kartons, die dein Kerl und Marc schön heute gepackt haben während ich mit dir einen Kaffee getrunken habe in der Mittagspause... Marc hat das Schloß ausgetauscht und mich aus den Mietvertrag streichen lassen. Sally ich bin ohne Wohnung!"
"Nicht dein ernst? Das haben sie wirklich gemacht?", entfuhr es Sally. Saskia riss die Augen weit auf:" Sag mir bitte nicht du hattest auch nur die leiseste Ahnung davon?", tränen schossen in ihre Augen. Das konnte nicht sein, Sally war doch ihre beste Freundin.
"Du ich hab damit nichts zu tun. Ich wusste nur das Fabrizio und Marc sich heute treffen wollten, weil sie zusammen was vor hatten. Aber nicht was. Das musst du mir glauben."
"Ich fass es nicht. Was soll ich denn jetzt machen Sally?", sie schlurzte.
"Ich kann dich mit dem Auto abholen. Deine Kisten verfrachten wir erstmal in dem Gartenhäuschen meiner Eltern. Das steht jetzt eh bis nächstes Jahr leer. Das ist kein problem. Und da kannst du auch erstmal übernachten. Ist halt nur ne kleine Gartenlaube, aber sonst wüsste ich nicht wie ich dir helfen könnte. Fuck man!"
"Das würdest du tun?"
"Ich bitte dich. In 20 Minuten bin ich da. Trag du schon mal alles runter."
"Danke", weinte sie ins Handy.
Das Tim ihr geschrieben hatte, bemerkte sie erstmal noch nicht....

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*1 Das W - Tattoo

Neue UferWhere stories live. Discover now