Kapitel 19

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Ich lag auf dem Bett in meinem Zimmer. Seit Stunden starrte ich nur an die Decke. Ich dachte an nichts, mein Kopf war leer. Genau wie das Loch in meiner Brust, dass bereits vor Tagen aufgerissen wurde und einfach nicht kleiner werden wollte. Irgendwann hörte ich, wie meine Zimmertür sich knarzend öffnete, doch ich sah nicht auf. „Tia?" Noch bevor er meinen Namen sagte, wusste ich bereits, dass er es war. Ich antwortete ihm nicht. Sah nicht hin, sondern starrte einfach weiter. Das erneute Knarzen der Tür verriet mir, dass sie sich wieder schloss. Ich dachte, er wäre wieder gegangen. Hätte aufgegeben, wie alle anderen, die in den letzten Tagen versucht hatten mit mir zu sprechen. Aber da hörte ich wieder seine Stimme: „Kleine, bitte sieh mich an." Der flehende Ton in seiner Stimme überzeugte mich, mich aufzusetzen und meinen Kopf in seine Richtung zu bewegen. Da stand er. Seine braunen Haare waren wie immer in einen tiefen Pferdeschwanz gebunden, seine Kleidung war wie sonst auch tadellos, doch die dunkelbraunen Augen spiegelten ein ganz anderes Bild. Sie zeigten mir, dass auch er traurig war und sich alleine fühlte. Trotz seinen 17 Jahren und seinem sonst so erwachsenen Auftreten wirkte er nun eher wie der kleine Junge, der er mal war. „Du musst das nicht alleine durchstehen." sagte seine sanfte, tiefe Stimme. Die ganzen letzten Tage hatte ich jeden von mir gestoßen, mich eingeschlossen und versucht selbst klarzukommen. Ich wusste nicht genau was es war, doch plötzlich fühlte ich die Sehnsucht, die ich die ganze Zeit unterdrückt hatte. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich diese Zeit nicht alleine durchstehen konnte, nicht durchstehen wollte! Zitternd sprang auf und rannte in seine wartenden Arme, die mich fest umschlossen. Mein Gesicht presste sich gegen seine Brust. Ich drückte ihn so fest ich konnte an mich, und zum ersten Mal spürte ich so etwas wie einen kleinen Trost. Eine kleine Naht, die das Loch in meinem Herzen ein wenig verkleinerte. „Schon gut..." flüsterte er beruhigend, während er meinen Kopf streichelte. „Ich verspreche dir, dass ich dich niemals alleine lassen werde."

Keuchend riss ich die Augen auf. Wieder war ich verschwitzt, meine Gesichtshaut spannte sich und war ausgetrocknet von den heißen Tränen, die ich im Schlaf geweint hatte. Ein paar Minuten verstrichen, bis ich aufhörte zu zittern. Dann warf ich einen prüfenden Blick zu meiner Zimmergenossin. Sie schlief tief und fest. Kein Wunder, ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass es noch mitten in der Nacht war. Das Zimmer kam mir in meinem Zustand plötzlich erschreckend klein vor. Und warm. Entsetzlich warm. Ich fürchtete zu ersticken. Kurzerhand stand ich darum leise auf, zog mir eine Wolljacke über mein leichtes Nachtkleid und schlüpfte in meine Schuhe, bevor ich leise das Zimmer verließ. Die Flure des Schlosses waren dunkel, nur das durch die Fenster scheinende Mondlicht spendete etwas Licht. Trotzdem fand ich mich ganz gut zurecht, als ich durch die Gänge hinaus auf den Schlosshof und in den Garten lief.

Die Tatsache, dass ich im Halbdunkel alleine draußen war und keine Menschenseele zu sehen war, sollte mich eigentlich beunruhigen. Wenn nicht sogar angsteinflößend sein. Das wäre es auch bestimmt gewesen, wenn ich mich nicht auf die wohltuende Ruhe konzentriert hätte, die die kühle Nachtluft mir spendete. Ja, ich hatte immer schlechte Träume, aber dieser hier war bis jetzt am Schlimmsten. Meine Träume brachten mir Erinnerungen, die ich unterdrücken wollte. Diese Erinnerung war eine der Schmerzhaftesten, denn sie bestand aus einer einzigen Lüge... Um den aufsteigenden Kloß zu unterdrücken, konzentrierte ich mich mit geschlossenen Augen auf die Geräusche der Nacht. Irgendwo hörte ich Grillen zirpen, und eine Eule durchbrach zwischendurch die Stille. Die Geräusche wirkten so beruhigend, dass ich eine Weile einfach dastand, tief einatmete und den langsam wieder einkehrenden inneren Frieden genoss.

Kurz blieb ich noch so stehen, bis ich mir sicher war, wieder entspannt hineingehen zu können. Dann machte ich mich auf den Rückweg. Im Schlosshof angekommen, nahm ich eine Bewegung wahr. Sie kam von der Schlossmauer. Unsicher blieb ich stehen und sah genauer hin. Eine einzelne Silhouette kletterte auf die Mauer. Kurz ergriff mich Panik. Ein Eindringling? Dann aber kletterte die Person geschickt wie eine Katze von der Mauer auf einen niedriger gelegenen Turm und von dort aus in ein Fenster hinein. Dabei wurde der Fremde kurz vom Mondlicht beleuchtet. Auch, wenn die Person zu weit weg war um genaueres zu erkennen, war ich mir doch ziemlich sicher, dass sie eine dunkelgrüne Hose und ein beiges Leinenhemd getragen hatte. Mit der Kleidung und den dunkelbraunen Haaren sah die Person verdächtig nach einem gewissen Prinzen aus. Erleichtert setzte ich meinen Weg darum fort und kam einige Minuten später wieder in meinem Zimmer an. Die Wärme dort wirkte nun nicht mehr erdrückend, sondern angenehm wärmend nach der kühlen Luft eben. Ohne weitere Probleme schlief ich wieder ein.

Sound of SilenceWhere stories live. Discover now