Kapitel 23

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„...Bis der Graf sturzbestrunken war! Und das auf einem öffentlichen Anlass! Greta sagt, er habe ziemlich unschöne Sachen gesagt, darum hat ihn der König auch aus dem Schloss bringen lassen." Marie, eine der Frauen, die mit uns arbeitete, erzählte gerade den neusten Klatsch aus dem Schloss. Eigentlich war ich nicht sonderlich interessiert daran, doch sie sprach so laut, dass es jeder in der Waschküche mitbekam. Anscheinend war das auch so gewollt, denn jeder schien sehr interessiert an den Erzählungen zu sein, während die Arbeit verrichtet wurde. Kopfschüttelnd fragte ich mich, ob das wohl überall so war. Ob Angestellte in Adelshäusern oder dem Königshaus aus Lavinia wohl genauso gerne Gerüchte austauschten. Vielleicht gehörte das ja einfach dazu? Vielleicht war das ja ein Weg für diese Menschen, aus ihrem langen, anstrengenden Alltag herauszukommen und ein wenig zu entspannen...

„Wie heldenhaft!" betonte eine der Frauen beeindruckt. Was war daran so heldenhaft? Der König hatte nur jemanden rauswerfen lassen. Oder hatte ich etwas verpasst, weil ich nicht zuhörte? Vermutlich. Eigentlich interessierte es mich ja auch gar nicht. „Ich habe gehört, der König soll den Grafen höchstpersönlich an den Ohren hinausgeschleppt haben, als er versucht hat, sich an einer der Dienerinnen zu vergreifen!" pflichtete eine Andere bei. Also ging es doch noch um dasselbe Thema. Nun musste ich den Frauen rechtgeben. Falls es so war (worauf man sich bei Tratsch nie verlassen konnte), war das wirklich äußerst anständig und... ja, wenn man so will auch heldenhaft von dem König. Sofie, die neben mir am Waschtrog stand und ein Laken schrubbte, dachte das wohl ebenfalls. Sie sagte nichts dazu, aber der bewundernde Glanz in ihren Augen verriet sie.

„Apropos: Habt ihr gemerkt, dass sich der Prinz in letzter Zeit irgendwie anders verhält?" warf Marie ein. Das Mädchen war im selben Alter wie ich und Sofie. Wir hatten ein paarmal miteinander gesprochen, aber gut kannte ich sie nicht. Eine Frau nickte. „Ja, es ist wirklich seltsam. Neulich habe ich sein Bett neu beziehen müssen, und da ist er plötzlich reingekommen. Ich hatte schon Angst er würde mich anschreien, weil ich mich habe blicken lassen. Schließlich müssen Angestellte die Zimmer säubern, wenn sich niemand darin befindet, sodass sie nicht stören. Aber nichts! Er war sogar sehr freundlich und hat sich entschuldigt, dass er mich bei der Arbeit stört!" Einige der Frauen schnappten nach Luft. „Nein!" riefen einige. „Doch!" bestätigte eine Weitere. „Ich habe es auch gemerkt!" „Wie kann das sein? Was hat ihm plötzlich diesen Sinneswandel gegeben?" Sofie fing plötzlich an zu grinsen. „Vielleicht hat ihm jemand mal die Meinung gesagt." Dabei sah sie zu mir. „Oder jemand hat ihm den Kopf verdreht." Überrascht über ihre Worte lief ich rot an und sah weg. So ein Blödsinn...

„Mal was anderes:" Unterbrach Tina, eine etwas ältere Frau im Kreis, das Gespräch. „Habt ihr gehört, dass heute eine Konferenz gehalten wird? Hier im Schloss?" „Eine Konferenz? Wieso das?" wollte Marie neugierig wissen. Tina hatte ein nachdenkliches Gesicht aufgesetzt. „Ich bin nicht ganz sicher. Es scheint etwas ernstes zu sein. Ich weiß nur, dass sehr hohe Herren kommen, auch aus anderen Ländern. Nur ausgewählte Diener dürfen dabei sein. Und es geht das Gerücht um, dass es etwas mit Lavinia zu tun hat." Ich erstarrte. Mit Lavinia? Was war mit Lavinia? War dort etwas vorgefallen? Ein Ziehen in meinem Bauch ließ mich schlimmes ahnen. Schluckend starrte ich auf das Waschwasser vor mir. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Wann findet diese Versammlung denn statt? Und wo passen denn bitte so viele wichtige Herren rein?" Tina antwortete schulterzuckend: „Heute Nachmittag im Konferenzsaal." „Und worum geht es genau?" wollte Sofie interessiert wissen. Wieder zuckte Tina mit den Schultern. „Das ist streng geheim."

Damit war das Thema für die Frauen abgehakt. Während sie bereits begannen über ein neues Thema zu sprechen, sah Sofie fragend zu mir. „Du kommst doch aus Lavinia. Hast du eine Ahnung, worum es da gehen könnte?" Als Antwort zuckte ich mit den Schultern und machte mich wieder an die Arbeit, um die Schuld in meinem Gesicht zu verbergen, die meine Lüge bewies. Oh ja, ich hatte eine Ahnung worum es gehen könnte. Und ich betete dafür, dass sich meine Vorahnung nicht bestätigte...

Am Nachmittag sollte ich eigentlich nur schnell einen Korb voll Wäsche bei den Zimmern der Angestellten im Westflügel abstellen und dann wieder zurück in die Waschküche gehen. Aber etwas hielt mich auf. Ich ging zufällig an der Tür zum Konferenzsaal vorbei... und konnte nicht weitergehen. Zu groß war die Neugier. Zögerlich blieb ich vor den zwei geschlossenen Flügeltüren stehen, die in den Saal führten. Sie waren türkis und mit filigranen goldenen Ranken verziert. Sollte ich? Lauschen gehörte sich nicht, und eigentlich war es auch nicht meine Art, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen. Andererseits ging es hier um mein Land, also war es keine fremde Angelegenheit. Und ich musste einfach wissen, was los war, sonst würde ich noch wahnsinnig werden! Dieses Argument überzeugte mich schließlich, mein Ohr an eine der Türen zu legen und angestrengt zu lauschen.

„...irgendetwas neues, Botschafter? Ihre Nachricht hat uns zutiefst beunruhigt." erklang die Stimme des Königs, dessen bedrückte Stimmung sich in seiner Stimme widerspiegelte. „Ja, Hoheit: Im Süden gab es Unruhen. Einzelne Dörfer wurden überfallen und ausgeraubt, vereinzelt gibt es auch Tote." Mein Herz sackte nach unten. Kurz herrschte Stille. „Wisst ihr, wer das getan hat?" wollte König Elias wissen. Der Botschafter schien zu zögern, bevor er schließlich antwortete: „Wir... Einige von uns glauben, dass es die Rebellen waren." Stille. Mir wurde schlecht. Meine Hände verkrampften sich, und mein Blick fiel auf die Narbe an meinen linken Unterarm. Sie schien plötzlich zu brennen wie Feuer. Geistesabwesend verdeckte ich sie mit meiner rechten Hand und konzentrierte mich wieder auf die Gespräche im  Inneren des Saals. Im Moment war es mir sogar egal, ob man mich erwischen würde.

„Habt Ihr Beweise dafür?" wollte der König wissen. Seine Stimme ließ vermuten, dass auch er äußerst beunruhigt war. „Oder Zeugen? Menschen, die das Aussehen der Täter beschreiben können?" „Die meisten Menschen wurden getötet oder bewusstlos geschlagen, bevor sie etwas merken konnten, Herr. Allerdings sagen die wenigen, die ihre Angreifer gesehen haben, dass sie zwar ihre Gesichter verdeckt hielten, jedoch alle eine Schlange auf den Hals tätowiert hätten." Mir wurde schwindelig. Ich musste mich gegen die Tür lehnen, um nicht hinzufallen. Bilder rasten auf mich ein, doch ich versuchte sie wegzuschieben. Stattdessen hörte ich weiter. „Wie sollen wir nun vorgehen?" wollte eine fremde Stimme, vermutlich ein Berater, wissen. „Schickt vorerst ein paar Soldaten in diese und umliegende Dörfer als Schutz." Der König machte erneut eine kurze Pause, bevor er weiter sprach. „Konntet Ihr den König von Lavinia kontaktieren?"
Mein Herz blieb stehen, ich vergaß zu atmen.
In diesem Moment ging die Tür auf und jemand trat heraus. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück zur noch geschlossenen Tür und starrte den Mann vor mir mindestens genauso verdattert an, wie er mich.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt