6. Mina

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Irritiert sehe ich ihn an, was erwartet er von mir? Dass ich ihm sage, dass eine Scheidung nicht so schlimm ist? „Weißt du...", beginne ich stockend. „Ich kann dir deine Entscheidung nicht abnehmen, ich kann dir nicht sagen, was du machen sollst. Aber welche Optionen hast du? Nicht viele oder? Einfach verheiraten bleiben und so tun als wäre alles in Ordnung? Das ist es aber nicht. Oder die Ehe annullieren lassen, aber dafür müsstet ihr höchstwahrscheinlich lügen. Oder euch eben eingestehen dass die Ehe vorbei ist und die Scheidung einreichen. Natürlich will die Kirche das nicht, aber ist das nicht etwas was du mit Joelle ausmachen solltest und mit Gott. Sofern es ihn denn gibt.", füge ich leise hinzu.

Er sieht mich nachdenklich an. „Bei dir klingt das alles so einfach, so leicht. Das und das sind meine Optionen, mach das. Aber... Ich habe ihr vor Gott die Treue geschworen, habe gesagt in guten und in schlechten Tagen bei ihr zu sein und..."

„Sie zu lieben und zu ehren bis dass der Tod euch scheidet, ich weiß. Das haben wir uns auch geschworen, uns hat der Tod geschieden und ich wünschte wir hätten vielleicht früher die Reißleine gezogen, dann wären wir alle am Ende glücklicher gewesen. Ich weiß, es ist schwer, vor allem wenn man so gläubig ist wie du, wie ihr. Vor zwei Jahren hätte ich vielleicht ähnlich gedacht, da hätte ich hier gesessen und dir eine Moralpredigt darüber gehalten dass man alles schaffen kann, wenn man nur will. Die Mina von heute sagt dir, dass man sich manchmal einfach auch eingestehen muss wenn man gescheitert ist. Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbeleiben! Steh auf, geh weiter! Liebe dein Leben, liebe die Menschen um dich herum, aber mach weiter! Nichts ist schlimmer als liegenzubleiben oder auf der Stelle zu treten. Haie sterben, wenn sie nicht schwimmen wusstest du das? Sie müssen immer in Bewegung bleiben um zu überleben. Aber vielleicht solltest du einen der Mönche ansprechen. Sie haben immer ein offenes Ohr für Sorge und Probleme und ich weiß dass sie mir damals mit 17 sehr geholfen haben."

Nachdenklich sieht er mich an. „Warst du schön öfter hier?"

„Als Jugendliche. Meine Kirchengemeinde hat ganz enge Beziehungen hier zum Kloster und da waren Alex und ich ab und an hier. Irgendwann ist Kirche dann uncool geworden und später mit den Kindern... Es passte dann einfach nicht mehr. Ich bin das erste Mal seit fast 20 Jahren hier."

„Wirst du auch mit einem der Mönche reden?", fragt er mich.

„Ich? Warum sollte ich?", irritiert sehe ich ihn an, er schmunzelt und nippt an seinem Tee.

„Nun, wer von uns beiden zweifelt denn grade an Gott, an allem? Da wäre ein Gespräch mit einem Mönch doch perfekt oder?", er zwinkert mir zu und steht auf um sich noch ein Brötchen zu holen. „Möchtest du auch noch was?"

Ich schüttele den Kopf, das eine Brötchen liegt mir wie ein Stein im Magen. Ich denke über Paddys Worte nach, vielleicht sollte ich das wirklich tun, mit einem der Mönche sprechen, andererseits, was wollen sie mir erzählen? Etwas über den allmächtigen Gott? Der alles richtet und dessen Entscheidungen nie falsch sind? Darüber dass Lene und Ben es gut haben, weil sie schon bei Gott sind? Unbewusst schnaube ich, so etwas kann und will ich mir nicht anhören.

„Mina? Bist du noch anwesend?", er fuchtelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum und ich zucke zusammen.

„Ich.. Ja... Natürlich bin ich noch da. Sorry, ich war in Gedanken."

„Du warst bei deinen Kindern?", traurig sieht er mich an und ich nicke zögerlich. „Ich stelle mir das schrecklich vor! Und ich kann gut verstehen, dass du zweifelst, es würde mir nicht anders gehen denke ich."

Skeptisch mustere ich ihn. Zweifeln? Er? Er der im Kloster war, der so einen unerschütterlichen Glauben hat.

„Wollen wir ein paar Schritte gehen? Ich glaube etwas frische Luft täte mir grade gut.", sagt er sanft und reicht mir seine Hand. Ich nicke und stehe auf, ignoriere aber die angebotene Hand. Die ersten Minuten im Park gehen wir schweigend nebeneinander her.

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