HANGSANG

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Es war halb acht, als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss und Yoongi mir zurückhaltend in meine vier Wände folgte. „Und du bist sicher, dass ich hier bleiben darf?" Er streifte sich seine Schuhe ab und sah sich um. „Ja, keine Sorge. Wenn ich etwas sage, dann meine ich es so." Er nickte und lugte um die Ecke ins Wohnzimmer. Ich lächelte. Er erinnerte mich an ein kleines scheues Reh, dass seine neues zu Hause erkundete. „Kannst dich ruhig umsehen. Es gibt hier zwar nichts Interessantes, aber bitte." Ich machte eine einladen Handbewegung in Richtung Wohnzimmer und er lief an mir vorbei. Währenddessen lief ich in Küche und setzte Wasser für einen Tee auf. „Möchtest du auch einen Tee?", fragte ich und hörte Worte der Zustimmung aus dem Wohnzimmer.

Nach einer Weile kam ich mit zwei dampfenden Tassen in den Raum und erblickte Yoongi wie er bewundernd vor der Wand stand, die mit ganz vielen Bildern bestückt war. In der ganzen Wohnung war das meine Lieblingswand. Sie spiegelte alles, was ich war wider und in gewisser Weise konnte man, wenn man genau hinsah auch meinen halben Lebenslauf aus ihr herauslesen. „Wer ist das?" Yoongi deutete auf ein Bild, auf dem ein junger Mann abgebildet war. Er lächelte in die Kamera, während er einen Arm um mich gelegt hatte. „Das ist Kwon, mein Bruder." Ich drückte ihm die heiße Teetasse in der Hand und merkte deshalb nicht, wie Yoongi kurz den Kopf schüttelte, um ein paar Tränen zu vertreiben. „Und das?" Er deutete auf ein Bild, welches ganz links hing. „Das bin ich", erklärte ich lächelnd. Er sah mich verwundert an. „Du tanzt?" Ich schüttelte schnell den Kopf. „Ich habe getanzt." „Du siehst gar nicht aus wie ein Tänzer." Er legte den Kopf schief und musterte mich mit wachsamem Blick. „Nein? Wie sieht denn ein Tänzer deiner Meinung nach aus?" Er zuckte die Schultern. „Anders." Er ließ sich, nachdem er mir einen fragenden Blick zugeworfen hatte, welchen ich mit einem Nicken beantwortet hatte, auf mein Sofa fallen.

„Warum hast du aufgehört?", fragte Yoongi nach einer Weile. Ich zuckte die Schultern. „Ich studieren gerade und muss arbeiten, da habe ich keine Zeit und auch kein Geld dreimal die Woche zum Training zu gehen." Er blickte ausdruckslos an die Wand und nickte. „Ja, wenn wir doch mehr Zeit hätten, wäre alles viel einfacher."

„Willst du mir was erzählen?", fragte ich ihn, doch er schüttelte nur den Kopf. „Es war nur eine Feststellung. Ich mache so etwas oft. Depressive Sätze in den Raum werfen." Ich nickte und trank einen Schluck aus meiner Tasse. Ich wusste nicht wirklich, was ich jetzt antworten sollte, weshalb ich einfach schwieg.

„Wollen wir vielleicht Nummern austauschen?", fragte ich nach einer Weile der Stille. „Warum?" „Du musst natürlich nicht, aber dann können wir schreiben und ein bisschen in Kontakt bleiben, wenn du magst." Er zuckte ratlos die Schultern. „Okay, wenn du meinst." Ich gab ihm mein Handy und er tippte seine Nummer ein. „Darf ich dich auch anrufen?", fragte er, als ich dasselbe bei ihm gemacht hatte. „Klar, nur kann es sein, dass ich nicht ran gehe, aber ich werde mein Handy auf laut stellen, versprochen." Er lächelte leicht. „Wow." „Was denn?"

„So etwas Nettes hat seit einem Jahr niemandem mehr zu mir gesagt und ich muss es erstmal verarbeiten." Ich schluckte und blickte ihn von der Seite an. Er saß da und er schien nicht wirklich zu merken, wie geschockt ich ihn gerade musterte. Er saß da und blickte an die Gegenüberliegende Wand, nahm ab und zu einen Schluck von seinem Tee und schien in seiner eigenen Welt zu sein.

„Ich geh' mal dein Bettzeug holen", verkündete ich nach einer Weile. „Soll ich dir helfen?", fragte Yoongi, als ich gerade aufstand. „Nein, passt schon, bleib einfach sitzen." Der Jüngere nickte und folgte meiner Aufforderung. Dennoch hörte ich, als ich gerade einen frischen Kissenbezug aus dem Schrank kramte, wie er aufstand und in die Küche lief. Etwas klimpere leise in seinen Händen und ich ging davon aus, dass er die beiden leeren Teetassen aufräumte.

„Ist es okay, wenn du auf der Couch schläfst?" Er nickte und griff sich den Deckenbezug. „Ja, klar. Dankeschön." So bezogen wir gemeinsam das Schlaf-Sofa und unterhielten uns derweil. Es war erst halb neun und so langsam merkte ich, wie mein Magen begann, zu knurren. „Hast du Hunger?", fragte ich ihn und nachdem er kurz die Hand auf seinen Bauch gelegt hatte, nickte er freudig. „Ja, ich habe seit heute Mittag nichts mehr gegessen." Ich verschwand im Flur und griff mir mein Handy. „Lust auf Pizza?" „Ja. Ich liebe Pizza." Ich lächelte und warf froh, dass ich ihn wenigstens für ein paar Minuten aufheitern konnte. „Welche magst du denn haben, du kannst dir eine aussuchen." Er überlegte nicht lange. „Salami!" Ich grinste. „Die esse ich auch am liebsten."

Nachdem ich die Bestellung aufgeben hatte, hieß es warten, zwar nicht für sehr lange, aber dennoch. Yoongi und ich vertrieben uns die Zeit, indem ich ihm etwas aus der Zeit erzählte, in der ich noch getanzt hatte. Auch er erzählte mir einiges, allerdings nicht so etwas Persönliches.

Schließlich saßen wir gemeinsam am Küchentisch, jeder hatte seine Pizza
- in einem Karton - vor sich liegen und so aßen wie stillschweigen unser Abendessen.

„Ich habe ewig keine Pizza mehr gegessen", verkündete er zufrieden nach dem ersten Stück und sah mich zufrieden an. „Echt? Pizza ist mein Leben. Ich bestelle mindestens jede Woche einmal, weil ich sonst irgendwann Entzugserscheinungen kriegen würde." Er lachte und zum ersten Mal an diesem Tag schien das Lachen echt und nicht so halbherzig, wie sonst. Es freute mich, weshalb ich ebenfalls begann breit zu grinsen.

„Brauchst du noch irgendetwas?", fragte ich Yoongi, als er auf dem Sofa lag und lauthals gähnte. „Nein, danke Hope. Ich bin zufrieden." „Gut, wenn etwas ist, du weißt, wo du mich findest." Ich löschte das Licht und gerade, als ich die Tür schließt wollte, meldete er sich noch einmal. „Hope?" Ich öffnete die Tür wieder und das Licht des Flurs fiel in einem dünnen Spalt in das Zimmer. „Ja?" „Du wirst deinem Namen echt gerecht, danke." Ich lächelte und musterte ihn ein paar Sekunden mit einem brüderlichen Blick.

„Du bist süß. Gute Nacht, Yoongi. Schlaf gut."

Ich ging schließlich auch ins Bett und als die Wohnung im Dunkeln lag, kam ich zu dem Schluss, dass der Tag, trotz ein paar unerfreulichen Ereignissen eigentlich ganz gut gewesen war. Ich hatte Yoongi wiedergesehen, ich hatte mich seiner angenommen und ihm einen Platz für dich Nacht gegeben. Ich war mir nicht sicher, ob ich es bei jedem gemacht hätte, denn wie Jin schon festgestellt hatte, war ich immer sehr darauf bedacht anderen zu helfen, auch wenn ich selbst dabei das etwas zu kurz kam. Ich drehte mich auf die Seite und starrte an die Gegenüberliegende Wand. So lag ich bestimmt eine halbe Stunde da, bevor mir langsam die Augen zufielen und ich in einen tiefen Schlaf glitt.

„Nein! Du darfst nicht sterben! Bleib hier!" Ich schreckte hoch und richtete mich kerzengerade in meinem Bett auf. Für eine Sekunde hatte ich dieses unangenehme Brennen in meinen Augen, bevor sie sich an die aufrechte Haltung gewöhnten. „Bitte! Das kannst du mir nicht antun!", hörte ich Yoongis Stimme wieder verzweifelt flehen. Dann hatte ich mir das von vorhin also nicht eingebildet. Ich schwang die Füße über meine Bettkante und stand kurz darauf in meinem Zimmer. Kurz musste ich mich in der Dunkelheit orientieren, bevor ich mir meine Handy-Taschenlampe anschaltete und in den Flur trat. Durch das Licht der Taschenlampe wurden lange Schatten an die Wand geworfen, was etwas beklemmend aussah. Doch ich kümmerte mich nicht weiter darum, sondern öffnete leise die Tür und lugte zu Yoongi hinein. Er lag da, die Decke hatte er mit den Füßen beiseite getreten und weinte leise. „Warum?", entkam es ihm verzweifelt. Er schien einen ziemlich schlimmen Traum zu haben. Ich tappte zu ihm rüber und stupste ihn sanft an. Sofort riss er die Augen auf und blickte panisch um sich. Seine Haare hingen ihm schweißnass in die Stirn und auch sonst sah er ziemlich gerädert aus. „Wo bin ich? Wo ist er?", als er mich entdeckte, erstarrte sein Gesicht für eine Millisekunde. Ich griff beruhigend nach seiner Hand. „Es ist alles gut Yoongi. Du bist bei mir in der Wohnung." Er atmetet erleichtert auf. „Ist alles in Ordnung?", fragte ich weiter und er nickte. „Ich habe nur schlecht geträumt, tut mir leid, dass ich die geweckt habe." Er sah mich entschuldigend an. „Schon okay. Brauchst du ein Glas Wasser?" Er nickte. „Das wäre nett." Ich richtete mich wieder auf und lief zurück in die Küche, um ihm ein Wasser zu holen.

„Hier." Ich reichte es ihm, er nahm es dankend an und er trank es in einem großen Zug aus. „Danke Hope", bedankte er sich wieder, als er das Glas neben sich abstellte. „Möchtest du über den Traum sprechen? Das hilft." Er schüttelte sofort den Kopf. „Es geht schon, danke." Ich nickte verständnisvoll. Ich konnte ihn verstehen. Ich hätte auch niemandem, den ich erst seit zwei Tagen kannte meine schlimmsten Träume offenbart. „Okay, dann versuch' noch ein bisschen zu schlafen, ja?" Er nickte, ich wuschelte ihm einmal durch seine Haare und stand auf. „Wenn was ist, komm rüber oder schrei einfach, ich komme dann." Ein Lächeln der Erleichterung schlich sie auf seine Lippen. „Danke." Ich schenkte ihm noch ein breites Lächeln, bevor ich das Zimmer wieder verließ und in mein eigenes warmes Bett zurückkehrte.

Hope World | YoonseokWhere stories live. Discover now