Habt ihr euch jemals vorgestellt wie es ist, ganz allein auf der Welt zu sein ? Nun, als ich elf Jahre alt war wünschte ich mir oftmals, ich wäre allein auf der Welt gewesen.Es ist nicht so, dass ich Menschen nicht mag, ganz im Gegenteil. Sie mögen mich nicht. Außerdem kann ich absolut nicht nachvollziehen, was andere Menschen an der Realität so spannend finden. Als ich elf Jahre alt war, da war das auch schon so.
Ich war das Freak Kind, der Zurückgebliebene. Ich mochte es gerne, allein zu spielen. Ich hätte gerne Freunde gehabt, aber keiner meiner Klassenkameraden wäre dafür geeignet gewesen. Sie waren alle durch und durch so gemein, wie man als Kind nur sein kann.
Als ich in die fünfte Klasse kam, dachte ich, das alles sich ändern würde. Da hatte ich damals falsch gedacht: Kinder, grade wenn man sie nicht kennt, entwickeln schnell Vorurteile. Ich war immer schon ein wenig anders. Ich spielte immer noch gern mit meinen Bauklötzen, ich malte gerne fantastische Dinge und hatte eine blühende, sich ausdehnende Phantasie.
Das erste, was ich tat, als ich in den Klassenraum kam, war die alte mit Stuck besetzte Decke zu bestaunen. Ich wurde geschubst, da ich nicht aufgepasst hatte, wo ich hinging, fiel auf den Boden und brach mir den Arm. Das war mein neuer Start. Meine Eltern sagten dazu nicht viel, außer, das es bestimmt wieder meine Schuld gewesen sei. Das sagten sie immer. Alles war immer meine Schuld. Ich habe zwei ältere Geschwister, einen Bruder und eine Schwester und egal was ich tat, es war meine Schuld. Ich passte nicht auf, ich sah in der Welt herum und ließ mich leicht ablenken. So kam es zu folgender Situation.
Wir machten Sonntags immer Familienausflüge. Ich hasste es total, ich durfte nicht trödeln ich durfte nicht herumschauen und niemand wollte meine Geschichten hören. Ich war schmächtig und schlaksig, sah eher aus wie sechs oder sieben. Wir gingen an besagtem Sonntag auf den Jahrmarkt unserer Kleinstadt, eine Angelegenheit, die an sich schon schlimm ist, weil viele Kinder dich komisch anstarren und dich wirren Wally nennen. Davon mal abgesehen mochte ich es. Ich liebte es, die Buden anzusehen und ihre Streifen zu zählen. Ich stellte mir vor, wie die Leute sonst lebten, wenn sie nicht hinter ihren Wurfbuden und Verkaufsständen standen und albern geschminkt waren. Ich kam immer am Ende des Jahrmarkts und kletterte auf die Bäume, um beim Abbau zuzusehen. Ich stellte mir vor, wie die einzelnen Figuren der Geisterbahnen zum Leben erwachten und die Welt um sich herum verschlungen... also wie gesagt, ich stand auf dem Jahrmarkt herum und starrte die Stände an.
Irgendwann tauchten meine Klassenkameraden in meinem Sichtfeld auf, da war vor allem Der fiese Tom, der mir immer schubste. Tom kam also zu mir, schubste mich, was auch sonst und begann mit seinen dämlichen Freunden über mich zu lachen.
„Schau nur weird Wally... siehst du wieder Gespenster ? Geh doch mit deinem Babykram spielen !" er lachte fröhlich vor sich hin und wie immer in solchen Situationen war ich kurz vor dem Heulen...
Doch dann sah ich es. Es passierte mir nicht zum ersten Mal, dass meine Phantasie mit mir durchbrannte, aber dieses Mal war ich mir absolut sicher. Auf der anderen Seite des Platzes stand ein riesiges, antikes Karussell, mit aus Holz geschnitzten Figuren, die auf und ab wippten und sich unter dem Gewicht der massigen Kinder dahinbogen. Eines der Pferde war unbesetzt und es löste sich von seiner Stange, stieg auf die Hinterbeine und ich meinte, es bis zu mir herüber wiehern zu hören. Dann rannte es davon, aus meinem Blickfeld und ich hörte nur noch das leise Klappern der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster.
„ Was ist los , du Freak ?"
„ Aber habt ihr das denn nicht gesehen ?" Meine Stimme war dünn, brüchig und zitterte, wie immer wenn ich kurz vor dem heulen war.
„ Was gesehen ?" fragte eine Mädchen stimme. Elina Moore war das hübscheste Mädchen aus der Klasse, das konnte sogar ich als nicht-Menschen Kenner feststellen, in der fünften Klasse.
„ D...das Pferd... es ist weggelaufen."
Tom brach in schallendes Gelächter aus. „ OH du hast echt so nen Schaden ! Oh, fängst du an zu heulen ? Wo ist deine Mummy ?"
Ich begann tatsächlich zu weinen. Ich sah zurück zum Karussell. Das Pferd war an Ort und stelle, Es kreiste starr an seiner Eisenstange vor sich hin, ein fettes Kind mit Popcorn auf dem Rücken tragend. Es schien mich traurig anzusehen und ich teilte sein Gefühl, als Tom sich auf mich setzte und meine Taschen durchwühlte.
„ Lass das doch du Blödmann !" Elina Moore tauchte in meinem nun begrenzten Blickfeld auf. Sie zog den blöden Tom bei Seite und begann mit ihrer lieblichen Stimme auf ihn ein zu schimpfen, als ich das gewohnte panische Schreien meiner Mutter von irgendwo her vernahm
„ Wally ? WO bist du?"
Tom sprang schnell auf, Angst hatte er nicht, aber weglaufen konnte er natürlich wie eine eins: Es war nicht das erste mal, dass er mich schikanierte und dann davon kam. Ich stand mühselig wieder auf und klopfte mir mühselig den Dreck von der Hose. Mein Blick fiel zurück auf das Karussell, das nun wieder stillstand.
Es war mittlerweile ziemlich dunkel geworden, es war Herbst, ich hatte die Zeit ein wenig aus den Augen gelassen. Elina war anscheinend mit Tom abgehauen, jedenfalls fand ich mich inmitten einer lärmenden, fremden Menschenmasse wieder. Ich war sehr klein und auch sonst eine ziemliche Heulsuse, wie man sich jetzt denken kann, deshalb war meine erste Reaktion laut loszuheulen.
Um mich herum waren viel zu viele Leute, die ich nicht kannte, die mich nicht bemerkten und auch nicht bemerken wollten. Zum wiederholten Male in meinem Leben nahm ich die Beine in die Hand und wühlte mich unter Ellenbogen, Taschen und anderem Zeug hindurch, in der Hoffnung wieder einen freien Fleck zu finden. Meine Mutter hatte mich ja kurz zuvor gerufen, war vermutlich in meiner Nähe, weshalb ich also in Hysterie verfiel, kann ich nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Ich weiß nur, das ich auf einmal da stand, vor dem Karussell, direkt davor und ich sah das Pferd.
Seine Mähne war in einem goldenen Ton angemalt, sein Körper war blau und grün, glitzerte wunderbar im fahlen Licht der Straßenlaternen. Hier war ein Meister Schnitzer am Werk gewesen. Es schien mich anzusehen, lächelte, für einen kurzen Moment dachte ich, es würde einfach wegrennen und wunderbar frei sein. Doch was ich nun sah, veränderte alles. Für einen Moment schien der ganze Lärm um mich herum wie von ganz weit weg, als ob meine Ohren mit Watte vollgestopft wären. Es ist einer dieser Momente gewesen, in dem man sich selbst atmen hört, einem das Herz bis zum Hals schlägt und man sich fragt, was zum Teufel grade passiert. Eine schwarze, kleine Gestalt huschte an mir vorbei, stürzte sich auf das langsam wieder anfahrende Karussell, ich hörte ein nervöses und gequältes Wiehern, sah grade noch so , wie das kleine arme Pferd stolperte, dann breitete sich das schwarze etwas über ihm aus und mit einem entsetzlichen laut, gab es auf. Eine Hand packte mich, die Hand meiner Mutter .
„ Mensch Wally was..." sie hielt Inne. Ich war am heulen wie ein Baby. „ Das arme Pferd, da war so ein Schatten und der hat es angefallen , ich wollte ihm helfen...aber ich konnte nicht." Tränen liefen mir die runden Pausbäckchen hinab. Meine Mutter machte ein entsetztes Gesicht, ich ging damals noch davon aus, das sie mir meine törichte Geschichte glaubte. Ihr Griff um meine arme verstärkte sich.
„ Wallace James Beckett ! DU sollst keine albernen Ausreden erfinden ! Sieh nur, was du angerichtet hast !" Sie drehte mich wieder um und ich sog scharf die Luft ein.
Am Rand des Karussells lag ein großer bunter Haufen Holz, in viele Einzelteile zerbrochen. Der Betreiber hatte es anscheinend auch bemerkt, denn er kam wutentbrannt auf uns zu gestakst.
„ Sag mal, haben sie sie noch alle ! War ihr Sohn das?"
Die Hände meiner Mutter krallte sich nun in meine Arme, ich war vor Schreck wie gelähmt.
„Es tut mir Leid, Wally tut sowas sonst nie... er ist ein wenig verwirrt." „ Aber da war dieser Schatten..." „ Wally ! Ich habe genug von deinen albernen Geschichten ! Es reicht jetzt ! Du gehst nach Hause, du hast Hausarrest bis auf weiteres."
Sie wandte sich dem grimmig dreinschauenden Mann zu, dessen Bierbauch mich beinahe erdrückt hätte, wenn ich nicht vor ihm zurückgetaumelt wäre. „ Ich gebe ihnen meine Nummer, wir werden für den Schaden natürlich aufkommen. Wally tut es schrecklich leid, nicht war Wally ?" „ Aber Mum, ich war das nicht, das war..." Meine Mutter warf mir einen so scharfen Blick zu, das ich wieder anfing zu weinen, und zwar nicht zu knapp.
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Wally Beckett und die Traumjäger
FantasyDer elfjährige Wally Beckett aus Pennsylvania ist ein bisschen anders. Er sieht Dinge, die andere nicht sehen oder auch gar nicht sehen wollen. Als er dann einen grausamen Mord auf dem Jahrmarkt mit ansehen muss und dann auch noch aus seinem eigenen...