Kapitel 8

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Vier volle Stunden auf die abscheulichen Kreaturen zu warten, wäre schön gewesen, im Vergleich zu dem, was tatsächlich passierte. 

Was mir erst im Nachhinein klar wurde: Wir waren auf der nördlichen Halbkugel- Hier ging die so gut wie Sonne gar nicht unter -irgendwann. Folglich spielte es keine Rolle, ob es dunkel war oder nicht. Damals kam ich auf die unfassbar tolle Idee, das keine Nacht auch hieß, das keine Alben erscheinen würden.

 Tja, wie soll ich sagen: 

Sie kamen doch.

Eine Weile lang hatte ich mich voller Angst unter einem Fensterbrett im Garten versteckt und zitternd gehofft, dass mich niemand entdecken würde. Ich hörte aus dem Haus unterschiedliche Stimmen: Hier lebte eine Familie mit Kindern, vermutlich sogar welchen in meinem Alter. Ich wünschte mir so sehr, einfach zu ihnen zu gehen , mit ihnen zu spielen, einfach mal wieder in Kontakt mit anderen Menschen zu sein ... aber ich hatte viel zu viel Schiss, um mich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. 

Auch wurde es immer kälter: Otis Umhang war nicht der Beste und ich begann, zu meiner Angst auch noch vor Kälte zu zittern. Wren Otis war jetzt deutlich länger als ein paar Minuten weg und ich wollte grade anfangen, mich echt zu beschweren, als ich einen kalten Windzug in meinem Nacken spürte. Und dann wusste ich es, als ob ich mich selber hätte sehen könnte, von ganz weit weg. 

Es saß auf dem Fensterbrett. 

Es war bereit zu klettern und sich auf seine Opfer zu stürzen. Es spürte mich vermutlich genau so, wie ich es spürte. 

Ein giftspeiender Alb, ein verhältnismäßig kleiner- ein unglaublich hässliches Wesen mit ledrigen Flügeln und gelb funkelnden Augen. Ich lugte vorsichtig nach oben. 

Tatsächlich sah ich seine gekrümmten Krallen, die sich regelrecht in das Holz bohrten. Warum zum Teufel griff es mich nicht an ? Ich konnte mich nicht verteidigen und mich würde auch niemand vermissen, geschweige denn finden, hier tief oben im Norden. 

Kalter Schweiß rann über meine Stirn.

Plötzlich ruckte es und die Krallen hinterließen tiefe Kerben im Holz, als der Alb sich vom Fensterbrett abstieß. Für die beinahe scheußlichsten zwei Minuten meines Lebens kauerte ich dort unter dem Fensterbrett, atmete panisch und konnte mich nicht rühren. 

Ich vernahm ein splitterndes Geräusch, wie von Fensterglas, das in tausend Scherben zersprang und dann vernahm ich einen markerschütternden Schrei. 

Das ließ mich aus meiner Starre erwachen und ich taumelte ein paar Schritte nach vorne in das perfekt geschnittene Gras. Das Fenster im zweiten Stock war in tausende Teile zersplittert, die  auf den Boden niederregneten wie tödliche Schneeflocken. 

Ich wollte schreien und wegrennen, aber meine Beine ließen das nicht zu. 

Einen Augenblick später hörte ich tapsende Klauen am Fensterrahmen entlangtasten. Ein blutverschmiertes Maul, das mich widerlich grinste lugte um die Ecke, dann setzte das Vieh zum Sprung an. 


Und so saß es auch schon auf mir und ich hörte mich selbst verzweifelt schreien.



Wenn man von einem Alb direkt angegriffen wird sollte man eines nicht tun: in Panik verfallen. Oftmals muss man sie mit einer Mischung aus körperlicher und geistiger Kraft vertreiben, wenn man denn körperliche Kräfte besitzt. Phantasie ekelt sie tierisch an, aber das heißt nicht, dass sie immer ausschließlich davor zurückschrecken. Manche Alben schlagen ihre Klauen in dich und beginnen dir deine Phantasie abzusaugen und zurück bleibt nur diese schwarze Leere, DIsphantasie, andere, wirklich fiese Genossen, brauchen dich bloß anzusehen. 

Alben wie dieser, der auf mir saß , der bevorzugten es zu beißen. So ein Alben-Biss ist recht unangenehm, oftmals mit Albträumen und körperlichen Auswirkungen wie – jetzt kommts- Durchfall und Übelkeit verbunden. BIst du der Träumende, den sie sich ausgesucht haben, dann bist du natürlich tot. 

Ich zappelte also wild und schrie noch lauter, als das Ding mich biss und noch einmal biss und alles was ich tun konnte, war Wren Otis, den vermaledeiten Verräter,  zu verfluchen, weil er mich verdammt nochmal alleine zurückgelassen hatte. 

Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, die Phantasie in mir nicht benutzen, ich war einfach viel zu geschockt. Nach dem vierten Biss wurde ich dann endlich ohnmächtig, sodass mich nur noch die bösen Träume verfolgen konnten, die es mir bescherte.

Die gute Nachricht zuerst: ich überlebte. Die Schlechte: Ich verbrachte meine nächsten drei Tage ausschließlich im kalten Badezimmer auf dem Boden und brach mir die Seele aus dem Leib. 

Ganz abgesehen von der beißenden Wut, die ich auf Otis hatte. 

Scott hatte ihn mächtig zusammengefaltet, das hatte ich durch drei Wände gehört und seitdem hatte er auch noch nicht mit mir gesprochen. Ich hätte gern gewusst, was er sich dabei gedacht hatte, mich einfach so stehen zu lasse. Annabel sagte mir mit finsterer Miene, dass man sich bei Ausflügen niemals alleine lassen dürfte. Und schon gar nicht, wenn einer von uns ein Neuer war und keine Waffen trug.

 „Er ist manchmal einfach dumm." Meckerte sie und half mir, aufzustehen um mein Gesicht zu waschen. 

Ich sah anders aus, als ich mich in Erinnerung hatte. 

Viel Erwachsener. 

Meine Augen waren tief eingefallen, meine Lippen schmäler aufeinander gepresst als sonst. Meine Haare fielen mir ins Gesicht, da ich schon lange keinen Friseur mehr besucht hatte.

 Annabel lehnte sich lässig wie immer gegen die Wand und sah mich durch den Spiegel an. 

„Jetzt hast du es bald geschafft...du verträgst ziemlich viel Alben Schmodder." Ich runzelte die Stirn. Sie lachte nur beherzt. „ DU weißt schon... wenn sie dich beißen oder so..." Ich nickte, doch fand es lange nicht so lustig wie sie. 

Ich betrachtete mich noch einmal im Spiegel. Die Bisse würden schöne Narben geben , die ich wohl nie wieder los würde. Wenn ich jemals nach Hause zurückkehrte, würde ich das erst mal erklären müssen. 

„Was ist mit der Familie passiert ?" fragte ich leise. Annabel klimperte mit ihren langen Wimpern. „Nachdem wir dich haben schreien hören sind wir sofort hinterher. Wir haben den Alb noch erwischt, aber... die Frau hat es nicht geschafft." 

Es fühlte sich an, als ob mir jemand in den Magen getreten hätte. 

Eine Frau war tot. 

Meinetwegen. 

Ich hatte genau gewusst, dass der Alb dort saß und ich hatte nichts unternommen, um ihn aufzuhalten. 

Erneut übergab ich mich und Annabel stütze mich. „ He, es ist nicht deine Schuld. Manche können eben auch wir nicht retten."

 „ Ich hätte etwas tun können:" murmelte ich benommen. 

Annabel lachte. „ Unbewaffnet ? Schätzchen, dass du nochmal überlebt hast ist ein Wunder ! Du hast doch gesehen, was er mit dir angerichtet hat, oder nicht ?" 

Da hatte sie auch wieder recht. Was konnte ein Pimpf wie ich denn ausrichten... „ Am besten wäre Otis gar nicht weggegangen." Fuhr sie im Plauderton fort.

 Wenn ich an Otis dachte im Moment, brodelte unfassbare Wut in mir auf. 

„ Wenn er dabei gewesen wäre, dann hätte diese Frau überleben können. Er ist so ein Idiot." „Das ist er." Pflichtete ich ihr bei.

 Annabel legte mir eine Hand auf die Schulter. 

„Ich denke mal du bist soweit jetzt durch. Willst du heute Nacht noch mal bei mir übernachten?"

 „Heute Nacht ? Am liebsten für immer." Hörte ich mich peinlicherweise sagen. Annabel grinste und ich wurde rot. Eigentlich hatte ich ja nur gemeint, nicht bei Otis schlafen zu wollen, auch wenn das bis jetzt gut funktioniert hatte. Mein Vertrauen ihm gegenüber war komplett weg und das sollte etwas heißen, denn ich war ein unfassbar leichtgläubiger Mensch.


Wally Beckett und die TraumjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt