Kapitel 12

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Wir gingen alle drei in die Küche, um uns etwas zu erfrischen. 

Der finstere Gedanke an die Verschwundenen, hing über uns wie eine dicke, graue Regenwolke, doch nach und nach lenkten wir uns mit dem neuen Auftrag ab. Annabel erzählte uns, was sie im Internet herausgefunden hatte, als sie heute Morgen an Scotts Computer gedurft hatte. Sie wussten nicht, um was für Kreaturen es sich handelte, aber sie waren fies genug, um in der Zeitung zu landen.

Für einen kurzen Moment kam mir der Gedanke, mir diesen Computer mal auszuborgen und meine Familie zu suchen, aber dann verwarf ich den Gedanken wieder. Was brachte es mir, wenn ich sowieso nicht zurückkonnte, weil ich sie in Gefahr brachte? Es war schwer zu ertragen, aber noch gab es für mich keinen Weg zurück.

Scott tauchte am Nachmittag wieder aus seinem Zimmer auf, aber weder er noch einer von uns machten Anstalten, uns zu unterhalten. Erst als die Dämmerung einsetzte, begann er uns Einzelheiten zu erzählen, über unseren bevorstehenden Einsatz. 

„In einem Vorort von Paris, etwa zehn Kilometer von der Großstadt entfernt, hat man in den letzten zwei Tagen zwei Leichen in ihren Betten aufgefunden- die Todesursache ist den Behörden ein Rätsel. Zudem fehlte diesen Menschen die linke Hand. Wegen dieses grausamen Umstandes wurde die Polizei bereits alarmiert, sie sind also auf den Straßen präsent. Ich warne euch: Keine Mätzchen. Wir werden in den Straßen wache halten. Sollte einem von uns etwas Ungewöhnliches auffallen, dann wird er sofort Meldung machen bei mir. Da es das letzte Mal nicht so gut geklappt hat, ..." er warf Otis einen warnenden Blick zu. „Habe ich uns Funkgeräte besorgt." Er griff in seine riesigen Hosentaschen und zog vier, sehr alt aussehende Walkie-Talkies heraus und reichte jedem von uns eines. Otis sah sehr skeptisch aus, doch angesichts seines Zustands hielt er lieber die Klappe.

An diesem Tag schuf Scott uns das Portal, das uns in die düstere Vorstadt führte. Als wir ankamen, nahm ich direkt Notiz von den dunklen, übel aussehenden Straßen und den spärlichen Lichtern, die dem Viertel einen gefährlichen Charme verliehen.

Otis zog seinen großen Mantel enger, tatsächlich war es hier ziemlich kalt. Seit dem Desaster im Norden, war der Herbst noch stärker hereingebrochen und wehte die braunen, verwelkten Blätter von den immer dürrer werdenden Bäumen.

Annabel zupfte sich ein welkes Blatt aus dem Haar und packte ihren magischen Stab fester. „ Gut. Wie besprochen." Meinte sie, wie um sich Mut zu machen.

Ich hatte ziemlich Schiss.

Da es sich um einen großen Ort handelte, würden wir alle allein losziehen. Sobald wir die Alben fanden, oder sie uns, dann würden wir uns ja schon verständigen können. So weit, so dämlich.

Ich fragte mich, was wohl die französische Polizei dazu sagen würde, einen vermissten Jungen nachts allein auf der Straße vorzufinden- ein Walkie-Talkie aus den Neunzigern in der Hand und mausetot.

Ich schüttelte diesen Gedanken ab und machte mich in die Richtung auf, die ich abchecken sollte. Ich hatte den Marktplatz und den Ortskern abbekommen, die anderen wären also permanent um mich herum.

Otis hatte mir einen besorgten Blick zugeworfen, bevor ich mich auf den Weg gemacht hatte. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich spürte eine hohe Konzentration an Disphantasie und Angst, die in der Luft hing und für mich so offensichtlich war, dass ich mir nicht sicher war, ob ich nicht doch danach greifen konnte.

Nach den ersten fünf Minuten beruhigte sich mein Herzschlag einigermaßen. Ich sah eine Gruppe kleiner Kobolde in einer Hecke sitzen, doch das war nicht relevant für unseren Auftrag. Scott hatte mir erklärt, dass ich viele Dinge sah, manche davon waren echt, andere ebenso gut auch nicht, doch solange sie friedlich waren, würden wir uns nicht weiterhin mit ihnen beschäftigen. Dazu zählte alles Kleinvieh, Kobolde, Feen und so weiter, denn über die war nicht viel bekannt, außer eben, dass sie nicht tödlich oder gefährlich waren. 

Zu gerne wäre ich diesen gewitzten Kreaturen nachgegangen, doch nicht eine Sekunde später, sah ich zwei Polizisten, in Uniform und bewaffnet, die Anstalten machten, den Platz zu überqueren. Ich presste mich an eine Hauswand und war froh, den dunklen, viel zu großen Mantel zu tragen.

Die beiden Herren sprachen langsam und deutlich , doch französisch konnte ich nicht so gut verstehen. Ich hatte in der fünften Klasse angefangen, die Sprache zu lernen, aber die fünfte Klasse war so kurz gewesen für mich, dass ich nur verstand, das der eine Hunger hatte, was natürlich nicht relevant für meinen Auftrag war.

Grade, als sie in eine andere Straße abbogen, rauschte zum ersten Mal mein Walkie-Talkie und ich hob es vorsichtig ans Ohr. 

„ Annabel hier. Alles ruhig. Habe ein paar kleine Holzmännchen gesehen, aber die waren ziemlich niedlich. Over." 

Ich hörte es wieder kurz rauschen, dann meldete sich Scott.

„ Bei mir ist auch nichts zu spüren. Wie ist es bei euch Anderen? Over."

Ich wusste nicht, ob ich mich melden sollte, oder was ich überhaupt sagen sollte. Ich spürte diese Angst überall, aber ... wie sollte man das beschreiben? Vermutlich war ich einfach zu ängstlich für das alles.

Otis Stimme klang ruhig und gefasst,

als er antwortete. „ Bei mir auch nichts. Nur die Polizei, aber die haben mich nicht gesehen. Over" Ich drückte auf den roten Knopf, mit dem ich meine Botschaft absenden konnte. Ich sah mich um, doch die beiden Polizisten waren verschwunden.

„Ein paar Kobolde bei mir. Die Polizei ist auch da..." Wie sollte ich beschreiben, das ich hier ein mulmiges Gefühl hatte? Ich zögerte zu lange, als ich mich selber überzeugen wollte, von meinem komischen Gefühl zu berichten.

Direkt hinter mir in der Straße vernahm ich leise Stimmen. Ich linste über meine Schulter nach hinten. 

Die beiden französischen Polizisten setzten ihren nächtlichen Kontrollrundgang fort. Ich stand immer noch dicht gepresst an der Wand, aber-

 sahen sie jetzt direkt nach vorne, würden sie mich auf jeden Fall entdecken. 

Ich versuchte nicht in Panik zu verfallen, doch stolperte, als ich mich leise davonmachen wollte. 


Hinter mir hörte ich den Einen rufen. 


Ich nahm sofort die Beine in die Hand. 


Und das rettete mir vermutlich das Leben.



Wally Beckett und die TraumjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt