TEIL 2

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it's not that i don't have words to say

i just don't wanna be the one

that speaks them


Montag, 08:20 morgens

„Niall, darf ich kurz Mama von deinem Handy anrufen?"

„Klar. Nur noch das Level ..." Ich sehe ihm über die Schulter zu, während er das 917. Level von Candy Crush mit Bravour meistert. „Yes!", macht er und will gerade das Nächste starten, als ich ihn daran erinnere. „Grüß sie lieb von mir", sagt er und reicht mir das Handy.

Ich telefoniere nicht lange mit meiner Mutter, frage sie nur, ob sie Zayns Nachricht bekommen hat, erkläre ihr, dass es uns gut geht und sie sich keine Sorgen machen muss. Sie klingt müde, aber erleichtert. Niall dreht sich in seinem Sitz zu mir um und formt mit den Lippen das Wort Grüße. „Oh, und wunderschöne Grüße von Niall." Mama lässt ihn und die Jungs zurück grüßen und verabschiedet sich dann, weil sie zur Arbeit muss. Ich gebe Niall sein Handy zurück. Liam sitzt stumm auf dem Fahrersitz und lauscht dem Radio. Draußen hält Louis sich gerade den Bauch vor Lachen über etwas, das Zayn gesagt hat. Ich reibe mir über das Gesicht.

Als ich ein paar Minuten später aus dem Auto steige, ist die Luft frisch, aber der Himmel hat sich etwas erhellt. Zu meiner Linken erstreckt sich die Raststätte, in die langsam aber sicher Leben einkehrt. Die Autos stehen so dicht beieinander, dass geradeso die Türen noch aufgehen. Unsere direkten Nachbarn scheinen noch zu schlafen. Ich strecke mich, lasse meine Arme knacken und höre Louis' Lachen. Er und Zayn sitzen auf einer Bank. Ich drehe mich nach rechts und klettere über die Absperrung, die den Parkplatz vom Wald trennt. „Hey Harry, wohin willst du?"

„Nur ein bisschen die Beine vertreten."

„Ich komme mit."

„Ist schon okay."

„Ich will aber." Louis murmelt etwas zu Zayn, das ich nicht verstehe und läuft mir hinterher. Er holt mich ein und hakt seinen Arm bei mir unter. „Seit wann läufst du so voller Tatendrang in ein abgesperrtes Gebiet rein? Ist das ne neue Phase von dir?"

Ich muss lachen, obwohl mir bis eben nicht danach zumute war. „Krass, was?"

Er nickt stolz. Die großen, von Regen getränkten Bäume ragen über uns und schwanken leicht im Wind, aber ich höre kein Knacken, kein Reißen von Holz, das darauf hinweisen würde, dass hier ein Baum im Begriff ist, umzustürzen. „Wenn wir erschlagen werden, ist es deine Schuld. Sag mal, kommst du nachher mit duschen? Ich hab ein bisschen Schiss, falls mich doch jemand erkennt und meint, Nacktfotos von mir zu machen oder so."

„Wollte Zayn nicht mit?"

Er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich frage dich. Man, bin ich müde."

Als wir so weit gegangen sind, dass die Bäume dichter werden und man die Raststätte nur noch durch die Blätter erahnen kann, wird Louis ruhiger, weniger aufgedreht. Es ist, als würde etwas in ihm ganz still werden, wenn wir nur zu zweit sind. Er lässt seine Hand an meinem Arm herunterrutschen, um unsere Finger miteinander zu verschränken. Während wir gehen, sehen wir immer wieder zurück, um ganz sicher zu sein, dass wir die Raststätte nicht aus den Augen verlieren. „Ziemlich mitgenommen alles", murmelt er. „Sieh mal, da drüben."

Wir erreichen einen großen, morschen, umgestürzten Baum. Die Blätter sind durch den Sturm teilweise abgefallen und liegen auf dem Waldboden verstreut. Die riesigen Wurzeln ragen aus der Erde. Darunter klafft ein Loch im Boden. Louis stemmt sich hoch und setzt sich auf den Stamm. Ich hebe einen dünnen Ast auf und werfe ihn in eine Baumkrone. Es raschelt und ein Vogel fliegt heraus und davon.

Louis summt eine Melodie. Ich denke an die vergangenen Tage und daran, dass dieses Abenteuer bald vorbei ist, wir wieder in Betten schlafen, wieder gut frühstücken und frische Kleidung anziehen können. Es ist keine vierundzwanzig Stunden her, seit wir losgefahren sind, aber durch den unruhigen Schlaf und das Nichtstun hängen die Stunden tief in unseren Knochen. Man sieht es an den Schatten unter Louis' Augen, den zerstrubbelten Haaren, den Bartstoppeln und dem Klecks Suppe auf seinem T-Shirt. Ich lasse meine Muskeln knacken, räuspere mich und setze mich mit etwas Abstand neben ihn auf den Baumstamm. „Kennst du das, wenn du lieber in einer unangenehmen Situation stecken bleibst, als zu gehen, weil du weißt, dass sonst der Spaß auf jeden Fall vorbei ist?", frage ich.

„Klar. Eine unangenehme Situation kann immer besser werden. Wenn man einfach geht, verpasst man das." Ich nicke. Louis bückt sich und pflückt einen Pilz. Er dreht ihn in seiner Hand und betrachtet ihn. Wir schweigen in den Wald hinein. „Was müsste denn passieren, damit sich das hier für dich lohnt?", fragt er schließlich.

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung."

Er lächelt. Sieht tiefer in den Wald hinein und dreht den Pilz immer wieder in seiner Hand. Ich spüre den Wind durch die Bäume ziehen. Schließlich dreht Louis sich zu mir, hievt sein Bein quer über den Stamm, um sich mir vollkommen zuzuwenden. „Wir haben uns ziemlich gut verstanden die letzten Tage, oder?"

„Wir verstehen uns doch immer gut."

„Ja, klar. Aber noch besser als sonst."

Ich versuche, keine Miene zu verziehen. „Wie meinst du das?"

„Ich meine ..."

Ein Ast knackt und Zayn taucht neben einem Baum auf. „Hi", sagt er und balanciert sich auf einem etwas größeren Stock, versucht mit beiden Füßen darauf zu stehen. „Ich soll euch sagen, dass ihr nicht so weit in den Wald gehen sollt, wegen ... den Bäumen, oder so."

„Liam sagt das?"

„Jap, Liam sagt das. Sie haben den Wald nicht umsonst abgesperrt." Louis nickt und sagt nichts und auch ich sage nichts. Eine Weile herrscht ein seltsames Schweigen und Zayn scheint zu bemerken, dass er gerade ein Gespräch unterbrochen hat. „Oh, sorry Jungs. Ich gehe wieder", murmelt er und dreht sich um, aber dann stemmt sich Louis von dem Baumstamm hoch und landet gekonnt auf seinen Füßen.

„Warte, ich komm mit." Er wirft den Pilz in den Wald und geht auf Zayn zu. „Du hast nicht gestört. Wir haben nur darüber geredet, wie lieb wir uns alle haben."

Er hakt sich bei Zayn ein, so wie eben noch bei mir und schlendert mit ihm zurück in Richtung Parkplatz. Er sieht nicht zurück und er wartet auch nicht auf mich. Ich bleibe noch einige Sekunden sitzen, starre in den Wald hinein und lausche meinem eigenem Atem, bevor ich ihnen folge. 

if my heart beats any harderWhere stories live. Discover now